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Nun, Kirin hatte gesehen, wie schnell sich seine Ergebenheit in Gleichgültigkeit verwandeln konnte. Vielleicht hätte ihn das beunruhigen sollen, doch tatsächlich war ihm diese Haltung viel lieber als das kriecherische Gehabe der anderen Hofbeamter, die während des Kampfes um die Hauptstadt nicht geflohen oder getötet worden waren und sich jetzt mit dem neuen Herrscher zu arrangieren versuchten. Kirin traute keinem von ihnen über den Weg, eine Einstellung, die immer mehr zur Gewohnheit wurde.

      »Wen erwarten wir?«, fragte er. »Wie viele?«

      Aderuz räusperte sich. »Abgesandte zweier Adelsfamilien, die sich aus dem Exil zurückmelden, Exzellenz, dazu hochrangige Vertreter der Handwerkerzünfte. Außerdem möchten einige Abgesandte der östlichen Länder bei Euch vorsprechen.«

      Kirin mühte sich, eine gleichgültige Miene beizubehalten. »Gut«, sagte er, obwohl ihm gar nicht danach war. »Dann hätte ich jetzt gerne mein Bad.«

      Aderuz verbeugte sich und ging hinaus, und Kirins Blick kehrte zu seinem Spiegelbild zurück. Sein Aussehen war ein weiterer Punkt auf der unerschöpflich langen Liste von Gründen, aus denen die Arachinen ihn hassten. Er sah nicht aus wie einer von ihnen, war zu hell, zu blond, zu blauäugig, kurz: Zu ostländisch. Nicht, dass Galihl Phalaér dem typischen Bild eines Arachinen entsprochen hätte: Wie Kirin hatte er weder das dunkle Haar noch die schwarzen Augen oder die gebräunte Haut seines Volkes gehabt, aber er war in Aracanon geboren und zweifelsfrei der Sohn einer arachinischen Großfürstin gewesen, außerdem der beste und gnadenloseste Schwertkämpfer, den sein Land je gesehen hatte. Kirin war erst vor wenigen Monden in dieses Land gekommen, während er zuvor eine durch und durch ostländische – und bürgerliche – Erziehung durchlaufen hatte. Ein Jahr Unterricht in arachinischer Kampfkunst hatte keineswegs einen überragenden Krieger aus ihm gemacht, und selbst die Sprache des Westlandes bereitete ihm hin und wieder noch Schwierigkeiten. In den Augen der ostländischen Politiker und Krieger mochte er ein Held sein, einer, der die schlimmste Gefahr abgewendet hatte, die dem Kontinent seit Jahrzehnten gedroht hatte, der einen Tyrannen getötet und viele Völker aus der Sklaverei befreit hatte – für dieses Volk hier war er nur jemand, der einen beliebten Herrscher gemeuchelt und jedwede Chance, das größte und mächtigste Land des Kontinents zu werden, zunichte gemacht hatte.

      ›Wären mir diese Bedingungen klar gewesen, als ich hierherkam‹, dachte er, ›hätte ich mir dann die Krone auf den Kopf setzen lassen?‹

      Ja, das hätte er. Er hatte noch viel schlimmere Wahrheiten gekannt als diese und hatte zugelassen, dass man ihn krönte. Jetzt musste er zusehen, wie er damit fertigwurde – wenn möglich, ohne umgebracht zu werden.

      Die Diener kamen, um ihn ins Badezimmer zu führen, wobei sich ihnen unterwegs zwei Palastkrieger anschlossen; die hochgewachsenen, in schwarzsilberne Uniformen gekleideten Soldaten bereiteten Kirin immer noch Unbehagen, doch da Kirin ihren letzten Herrn in einem ehrenvollen Kampf besiegt hatte, war er in ihren Augen ein größerer Kämpfer als Galihl es gewesen war, und nach arachinischer Sitte mussten sie ihm dafür Respekt zollen. Außerdem war er für sie Bluterbe des Hauses Phalaér, was sie zu unbedingter Treue verpflichtete.

      Offiziell zumindest hieß es so; Kirin war sich bewusst, dass viele der ‹Windreiter’ genannten Soldaten Galihl verehrt hatten, und ihm war auch klar, dass in dieser Hinsicht früher oder später Schwierigkeiten auf ihn zukommen würden, welcher Art auch immer. Diese Krieger jedoch, die jetzt seine Leibwache bildeten, waren von seinem Mitstreiter und persönlichen Freund Rhùk ausgewählt worden, und daher war auch er entschlossen, ihnen zu vertrauen.

      Der einstige Windreiter und Überläufer Rhùk vertraute praktisch niemandem außer seinen eigenen Schwertern, und dass er diese Männer und Frauen ausgewählt hatte, über Kirins Leben zu wachen, hieß eine ganze Menge.

      Zu Kirins Erstaunen war auch Asusza unter ihnen, eine Verwandte des ehemaligen Großfürsten und einer seiner obersten Generäle. Er erinnerte sich daran, Rhùk nach den Gründen für diese Ernennung gefragt zu haben. Dieser hatte erwidert: »Die Herrin Asusza dient dem Land und ihren Waffengefährten – sie ist den Ehrenverpflichtungen eines Windreiters unterworfen und wird sie nicht brechen. Das ist auch der Grund, warum Galihl sie am Leben gelassen hat, als er daran gegangen ist, den ganzen Rest seiner Verwandtschaft auszulöschen.«

      Mittlerweile hatte Kirin sich daran gewöhnt, Frauen in Rüstungen zu sehen, weil diese Eigenheit zur Kultur Aracanons gehörte – aber Asusza war noch immer etwas Besonderes: Einen Meter neunzig groß, überragte sie Kirin um fast einen Kopf. Dazu war sie wahrscheinlich doppelt so schwer wie er und hatte Muskelpakete, die viele ihrer Waffenbrüder schwächlich aussehen ließen. Als Kirin ihr – wie allen anderen Windreitern Nardéz‹, die sich nach der Niederlage im Thronsaal versammelt hatten – den Treueeid abgenommen hatte, hatte sie sich mit ihrer massigen Faust auf die Brust geschlagen und verkündet: »Ich schwöre, Eurem Befehl zu gehorchen und an Eurer Seite und um Euer Leben zu kämpfen bis ich sterbe.« Das todernste Gesicht, das sie dazu gemacht hatte, hatte nichts über ihre wahren Gefühle verraten, geschweige denn, wie sie darüber dachte, dass Kirin gerade ihren Cousin getötet hatte. Kirin hatte Galihl im Kampf besiegt und war jetzt Großfürst, das war alles, was Asusza wissen musste.

      Kirin betrat das Badezimmer, gerade als einer der Diener die Schleuse öffnete und heißes Wasser in die im Boden eingelassene Steinwanne laufen ließ. Ganz Aracanon war durchzogen von Adern heißen Wassers, das von den Vulkanen im Süden des Reiches herrührte. Geschickte Architekten und Gelehrte hatten es in die Häuser geleitet, sodass die Anwesen der Reichen ständig mit warmem Wasser versorgt wurden. Im Winter, so hatte man Kirin versichert, seien kaum Feuer nötig, um die Zimmer zu wärmen, weil das heiße Wasser in den Wänden und Böden die Räume aufheizte. Seufzend ließ sich Kirin in die Wanne gleiten und schloss die Augen. Das Wasser war zu heiß und verbrühte ihm fast die Haut, aber es war ihm gleich; es brannte die Kälte aus ihm heraus, die sich wie eine Faust um sein Herz geschlossen hatte. Obwohl er wusste, dass er sich beeilen sollte, ließ er sich Zeit mit dem Bad und kam erst heraus, als seine Finger schrumpelig wurden.

      Der Diener, der ihm das Wasser eingelassen hatte, kam ihm entgegengeeilt, um ihm einen Mantel umzulegen. Kirin musterte die silbernen Stickereien auf dem orangen Tuch, das der Junge trug, und wieder zog sich sein Magen zusammen; ›Sklaven‹, dachte er. ›Nicht Diener, Sklaven.‹

      Die Arachinen hielten seit hunderten von Jahren Sklaven, ebenso wie ihre Nachbarländer und der frühere Sitz der Großkönige, Fallonia, doch er, der im freien Norden des Kontinents aufgewachsen war, konnte und wollte sich nicht an diesen Gedanken gewöhnen. Besonders nicht, wenn er an Szarell dachte und daran, was mit ihr geschehen war. Diese Menschen waren Spielzeuge für ihre Herren, nichts weiter. Und wie sehr sie ihrem Willen unterworfen waren, das hatte sich ihm nach der Einnahme von Nardéz erst richtig gezeigt: Hunderte Palastsklaven hatte man tot aufgefunden, mit aufgeschnittenen Kehlen, hingerichtet wie Schlachtvieh. Vielleicht hatte man sie daran hindern wollen zu fliehen oder wollte einfach dafür sorgen, dass kein anderer in ihren Besitz kam. Noch immer waren jedoch genug übrig, um den Palastbetrieb in Gang zu halten, und wenn Kirin es, was allerdings nur selten vorkam, über sich brachte, sich ihre Gesichter genauer anzusehen, bemerkte er dort nie Wut oder Traurigkeit. Kirin aber erinnerte sich zu gut daran, wie die Arachinen ihr eigenes Volk zur Perfektion und vollkommenen Beherrschung erzogen, um zu glauben, dass das, was er sah, der Wahrheit entsprach. Diese Leute hatten gelernt, widerspruchslos zu gehorchen und ihre Emotionen zu verbergen, das war alles.

      »Danke, du brauchst das nicht zu machen«, wiegelte er den Versuch des Sklavenjungen ab, ihn mit einem Handtuch trocken zu reiben. »Ich kann mich schon selbst fertigmachen. Du kannst gehen, wenn du willst.«

      Der Junge erwiderte seinen Blick, und in diesem einen Moment sah Kirin das erste echte Anzeichen von Gefühl: Blanke Verwunderung, vermischt mit Entsetzen.

      ›Er denkt, es ist ein Trick‹, vermutete Kirin und zwang sich zu einem Lächeln. ›Irgendeine gemeine Falle, um ihn dazu zu bringen, einen Fehler zu machen, für den er bestraft wird.‹

      »Du hast das sehr gut gemacht, aber ich brauche deine Hilfe nicht mehr. Du kannst dich ausruhen gehen.«

      Sofern das möglich war, wurde durch diese Worte die Angst in den Augen des Jungen nur noch

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