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eine Spur zu stark zeigte, denn das Lächeln in ihrem Gesicht breitete sich aus wie eine überschwappende Welle. Doch Pelleus war zu sehr mit der Absage der Zeremonie und dem Stolz über die Wichtigkeit seines Sohnes beschäftigt, um derlei mikroskopische Zeichen zu bemerken. Vincus hingegen nahm es wahr. Er fragte sich, wie er seiner Tochter begegnen sollte. Bislang war das im Grunde egal, denn die Heirat würde stattfinden, sobald Gladicus von seinem blutigen Ausflug zurückkehren würde. Es war ausgeschlossen, dass das noch in dieser Nacht geschehen würde, denn nur noch wenige Stunden trennten sie vom Sonnenaufgang.

      Daher wandte sich Vincus an seine Gäste:

      „Liebe Freunde und Weggefährten, Ihr habt es gehört. Unser tapferer General muss seinem Volk dienen und ist in aller Eile dem Ruf nach Hilfe gefolgt. Wir bleiben zurück und gedenken seiner, der sein Leben für unser aller Sicherheit aufs Spiel setzt. Meine untröstliche Tochter (er wusste nicht, ob er es wirklich so meinte oder ob der Sarkasmus seinen Weg längst in seine Worte gefunden hatte) wird auf ihren Bräutigam warten und sich zurückziehen. Da uns nur noch wenige Stunden dieser Nacht verbleiben, schlage ich – Euer Einverständnis vorausgesetzt, werter Pelleus – vor, die Zeremonie auf die morgige Nacht zu verschieben. Wir alle wollen uns gleich nach Sonnenuntergang wieder hier im Saal einfinden, um den Bund zu beschließen und die göttliche Wahl zu ehren. Ketauro, ich hoffe, du hast gegen diese Verzögerung nichts einzuwenden. Du hast selbst gesehen, dass wir keine andere Wahl hatten und ich hoffe ebenfalls, dass das göttliche Gesetz diese kleine Verzögerung verzeiht.“

      Ketauro schaute stolz und wichtig in die Runde:

      „Macht Euch keine Sorgen, alter Freund, diese Verzögerung ist von Ophras selbst gesandt. Morgen, gleich früh in der Nacht, wollen wir einen erneuten Versuch starten. Hoffen wir, dass Gladicus gesund und mit einem weiteren Sieg zu uns zurückkehrt. Ich werde für ihn beten.“

      Ketauro sprach so feierlich er konnte und beschloss damit die Versammlung. Pelleus brummte zwar unzufrieden, denn er war ein Mann der Tat, der eine Geschichte so schnell wie möglich hinter sich zu bringen gedachte, doch auch seine Hände waren gebunden. Die Borjas gaben sich auf natürliche Weise ebenfalls mit der Verzögerung zufrieden, waren gespannt wegen des Plans, den Vincus ausgeheckt hatte. Der Tragus selbst hatte Zeit gewonnen, es war mehr als er noch vor wenigen Minuten zu hoffen gewagt hatte, doch das Problem war nur hinausgezögert worden, eine Lösung weiterhin nicht in Sicht.

      Während er die Gäste verabschiedete, verschwand Juchata in ihren Gemächern. Zuerst legte sie die kostbaren Hochzeitsgewänder ab, viel zu hastig, so dass die eine oder andere schwarze Perle vom Bustier sprang, doch konnte sie es nicht länger ertragen, dieses Spiel weiter zu spielen. Mit aller Kraft warf sie das zusammengeknüllte Kleid in die Ecke. Nach der Wut folgte Verzweiflung. Die Worte von Calavus hallten in ihr wider, fast war sie geneigt, ihren Entschluss zu bedauern, verwarf diese Idee, holte sie dennoch nach einer Sekunde wieder an die Oberfläche, um sie erneut zu zerkauen und diese zum Anlass zu nehmen, sich Vorwürfe zu machen. Alles war so verwirrend, so aussichtslos. Auf eine für sie annehmbare Lösung vermochte sie nicht zu kommen.

      Ihre Gliedmaßen wurden mit jeder Sekunde schwerer, die Verzweiflung immer schlimmer, die bald einer sanften Depression wich. Kaum noch war sie in der Lage, sich zu bewegen, lag auf ihrem Himmelbett, die roten Tücher hingen lustlos vom Gestänge.

      Sie nahm das Bild ihrer Mutter, ein winziges, in Öl gemaltes Werk eines namenlosen Künstlers, der es kurz vor ihrem Tod erschaffen hatte. Ihre Mutter Marletta war gestorben, als sie vier war. Sie erinnerte sich kaum noch an sie. Juchata sprach manchmal mit ihr, hatte das Gefühl, ihr nahe zu sein, sie zu verstehen und selbst verstanden zu werden. Sie wusste nicht viel von ihr, nur dass sie immer schon kränklich gewesen war und eine Epidemie, die zu dieser Zeit in der Unterstadt wütete, nicht überlebt hatte. Oft schon hatte sie sich gefragt, warum ihre Mutter ihr so wenige Sachen hinterlassen hatte. Das Bild war Juchata am wichtigsten. Mit dem Inhalt der Schatulle, eigenartige Flaschen, schwerer Schmuck und Amulette, konnte sie nichts anfangen. Wahrscheinlich hatte ihr Vater nach ihrem Tod alles vernichtet, um sich nicht all zu lange mit der Erinnerung zu plagen.

      Sie schaute auf das Bild, fühlte langsam, wie sich ihre Lebensgeister erholten. Sie rekelte sich auf den Laken, war zwar von einem Lächeln noch weit entfernt, doch das Bild half ihr, wieder zu sich zu finden.

      Sie stand auf, legte den Rest ihrer Kleidung ab und entledigte sich somit sämtlicher Zeugen dieser schicksalhaften Nacht. Splitternackt setzte sie sich wieder auf das Bett, sah sich im Spiegel und musste lachen. Es war ein dunkles Gelächter, von dem sie nicht sagen konnte, wo es herkam. Ihre festen Brüste schaukelten bei jedem ruckartigen Atmen, ihr leicht geöffneter Mund entließ das meckernde Geräusch einer bösen Ahnung. Plötzlich war es vorbei, Tränen flossen ihre Wangen hinunter. Sie sah sich, doch wie aus der Ferne, denn die Person, die sie anblickte, schien nicht mehr sie selbst zu sein. Sie war es nicht, die gelacht hatte, sie war es nicht, die weinte.

      Oder doch?

      Die Kontrolle war schon längst geschwunden und hatte starken Emotionen Platz gemacht, die sie beherrschten und die sie nicht verstecken konnte. Nach diesen schwierigen Augenblicken in einer Welt, die sie nicht kannte, kam sie wieder zurück in die Realität.

      Jetzt musste sie zu ihrem Vater, um ihn zur Rechenschaft zu ziehen. Es war ein Spiel, das er gespielt hatte. Sie hatte es angenommen, jedoch nicht nach seinen Regeln gespielt. Es geschah ihm recht. Plötzlich bedauerte sie es nicht mehr, so gehandelt zu haben. Sie wusste auch, dass diese Heirat mit Gladicus niemals zustande kommen, dass sie lieber sterben als sich diesem Schwachkopf hingeben würde. Jahrelang hatte sie getan, was ihr Vater von ihr verlangt hatte. Nun war der Moment gekommen, ihn zu überwinden.

      Es blieb nicht viel Zeit, um sich aus dem Staub zu machen. Sie zog sich an, zwängte sich wieder in ihr Korsett. Ihre schwarze Hose hatte sie rasch zugeknöpft. Die Haare bändigte sie diesmal zu einem Megantenschwanz, der sie nicht behinderte.

      Auch wenn sie fest entschlossen war, diesen Ort, der so lange Zeit ihr zu Hause gewesen war, so schnell wie möglich zu verlassen, zögerte sie. Langsam packte sie einige Sachen, überlegte hin und her, was sie mitnehmen sollte, bevor ihr klar wurde, dass sie nach Gelegenheiten suchte, länger zu verweilen. Wieder setzte sie sich aufs Bett, überlegte, was sie eigentlich machen wollte. Wohin sollte sie gehen?

      Aus der Stadt hinaus, doch niemand wusste, was sie dort erwartete. Wo sollte sie sich vor dem Licht schützen, wovon sollte sie sich ernähren? Gab es etwas außerhalb dieses Ortes? So viele Jahre hatte sie hier gelebt, niemals war ihr der Gedanken gekommen, irgendwo anders hinzugehen, denn die antiken Sagen berichteten von grauenhaften Ungeheuern und tödlichen Schrecken, die sie außerhalb der Heimatstadt erwarten würden. Aber war nicht die größte Gefahr besser als ein Leben in Gefangenschaft an der Seite von einem Ehemann, den sie nicht liebte? Wurde der Tod selbst nicht zu einer süßen Option, wenn sie an die Ketten der Gesellschaft dachte, in die eine Nocturnin bereits seit ihrer Geburt unausweichlich gelegt war? Wieder erschien alles hoffnungslos, wieder fühlte sie die aufkeimende Traurigkeit, die unausweichlich wieder in erstarrender Depression enden würde. Sie nahm das Bild ihrer Mutter, das ihr ein weiteres Mal half. Als steckte ihr gesamter Mut in diesem winzigen Gemälde, drückte sie es an ihr Herz. Sie würde gar nichts mitnehmen außer den wenigen Dingen, die ihre Mutter ihr hinterlassen hatte. Das Bild verstaute sie in ihre Ledertasche, ebenso die kleine Schatulle. Auch wenn sie keine Ahnung hatte, wie ihr diese geheimnisvollen Gegenstände helfen sollten, tat sie es trotzdem. Den Dolch von ihrem Vater steckte sie in ihren breiten Gürtel, sonst ließ sie alles zurück.

      Die schlurfenden Schritte hörte sie bereits von Weitem. Baribas näherte sich ihrem Gemach. An ihm gab es jetzt keinen Weg vorbei, denn der Flur war die einzige Möglichkeit, zur Treppe zu gelangen. Sie fluchte laut, verwünschte sich selbst für die verschwendete Zeit. Fünf Minuten eher und sie wäre nicht mehr hier gewesen. Stattdessen hatte sie gezögert, den Augenblick der Flucht verpasst. Insgeheim jedoch war sie Baribas dankbar, der ihre Entscheidung zur Ungehorsamkeit vereitelt hatte. Sicher wollte ihr Vater mit ihr reden. Vielleicht war es besser so. Der Diener würde noch einige Minuten benötigen, bevor er ihr Zimmer erreichte. Diese Zeit nutze Juchata, um sich auf die Begegnung mit Vincus vorzubereiten. Sie würde ihm die Stirn bieten, sich seinen Wünschen widersetzen. Sie versuchte,

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