Скачать книгу

Sie ein.“

      Wieder schritt Vincus voran in die prachtvolle Halle. Die Säulen aus weißem, kalten Stein leuchteten und brannten fast in den Augen. Wenn auch nur ein winzigster Lichtstrahl sich jemals in diese Halle verirren würde, wären alle Nocturnen, die sich darin aufhielten, blind, dessen war sich Vincus sicher. Mächtig standen die Säulen wie Soldaten an der Seite, steinerne Riesen, in Reih und Glied. Unverschiebbar wachten sie über das Geschehen zu ihren Füßen. Mehrere Reihen in schier unendlicher Weite erstreckten sie sich, die Decke war von unten kaum sichtbar, so hoch war der Raum.

      Erst am Ende des Saales hörten die Säulen plötzlich auf. Dort befand sich eine riesige Plattform, auf der Ketauro den Altar des Ophras hergerichtet hatte. Es war ein schlichter eckiger Stein aus schwarzem Granit, der in völligem Gegensatz zum weißen Saal stand. Es fehlte nur noch das Brautpaar, das sich noch Zeit ließ. Zeit, für die Vincus dankbar war, denn vielleicht hatte er noch einen rettenden Einfall. Die Minuten verstrichen. Plötzlich, in der Stille des feierlichen Moments, krachte es gewaltig am anderen Ende des Saals. Alle schauten gebannt auf die Eindringlinge, allen voran hinkte Baribas. Für eine Sekunde leuchteten Vincus' Augen, unsichtbar für alle anderen. War das die Rettung?

      Kapitel 7

      Naxbil schlich zufrieden die Gassen der Unterstadt entlang. Er hatte bekommen, was er wollte. Seine Wahl war auf zwei reizende Geschöpfe gefallen, die ihn und sich selbst bis zum Letzten verwöhnt hatten. Die sexuellen Fähigkeiten, die Namenlose bereits in so jungen Jahren besaßen, erstaunten ihn immer wieder. Hemmungslose körperliche Liebe schien ihnen ins Blut geimpft. Beide Nocturninnen waren wunderschön gewesen, eine schlanke schwarzhaarige mit festen Brüsten, die andere eine üppige Blondine mit sanften Kurven. Die Zeit war in diesem unscheinbaren Haus wie im Flug vergangen und er war erstaunt, dass es bereits so spät war. Die Beiden musste er unbedingt wiedersehen, auch wenn es schwierig werden würde, denn ihre Namen kannte er nicht.

      Naxbil kam in einen Teil der Stadt, in dem es wie in den meisten lauter zuging. Es wurde sogar immer voller, so dass Naxbil drängeln musste, um voranzukommen. Er wollte eigentlich nur noch in die Oberstadt, auf dem schnellsten Weg hier weg. Noch hatte er drei Stunden Zeit, bevor die Sonne aufging und die lange Nacht beendete, doch hatte er keinen weiteren Grund zu bleiben. Die Enge störte ihn anfangs nicht, er wusste, dass die Stadt hier unten überbevölkert war. Je weiter er lief, desto dichter standen die Nocturnen zusammen, ein selbst für diesen Ort ungewöhnlicher Auflauf. Jetzt hörte er es auch, jemand sprach im Dialekt der Unterstadt, eine etwas andere Form im Vergleich zur Oberstadt. Die Endungen zogen sich in die Länge, Ausdrücke und Worte waren verschieden, denn in den Jahrhunderten der Trennung und der geringen Vermischung waren zwei Sprachen entstanden, auch wenn beide noch genug Gemeinsamkeiten hatten, um sich zu ähneln.

      Naxbil hatte diese Sprache der Unterstadt bereits vor langen Jahren lernen müssen, denn noch mehr als das falsche Gewand konnte ihn der falsche Dialekt zur jeder Zeit überall verraten. Er sprach ihn fast perfekt und nur manchmal, in seltenen Momenten, hielten Namenlose für einen Augenblick inne, bevor sie die Gedanken an einen Hochgeborenen in ihrer Welt mit einem Kopfschütteln verscheuchten.

      Naxbil ärgerte sich bereits, dass er diesen Weg gewählt hatte. Es war der kürzeste, doch jetzt standen zu viele Nocturnen im Weg. Auch zurück konnte er nicht mehr, denn hinter ihm hatten sich die Reihen geschlossen und drängten nach vorne, wo er, gefangen zwischen der Meute, kaum noch einen Fußbreit vorankam. Eine röhrende Stimme, eindringlich und beinahe monoton, bedrängte seine Ohren. Diese Stimme wurde immer lauter, er konnte bereits Satzfetzen verstehen, auch wenn er den Sprecher noch nicht sehen konnte. Es fielen Worte wie „Aufruhr“, „Unterdrückung“ und „Sklaverei“ und langsam dämmerte es Naxbil, dass er in einen der berüchtigten Aufstände der Namenlosen hinein geraten war. Der Sprecher sprach weiter, „Ungerechtigkeiten“, „Hunger“, „Befreiung“. Es gefiel Naxbil gar nicht, denn wo das enden würde, wusste der Sohn des Vincus genau. Die Armee würde rasch Wind von der Sache bekommen und einrücken, dabei alles kurz und klein schlagen, was sich ihnen in den Weg stellen würde. Die Meute begann jetzt, den Sprecher zu unterstützen, Rufe feuerten ihn an, stimmten ihm zu und die Stimmung wurde mit jeder Sekunde aggressiver. In Naxbil wuchs bereits eine leichte Panik heran, er wollte jetzt so schnell wie möglich hier heraus, zurück in die sichere Oberstadt, doch seine Bewegungen waren jetzt vollends zum Stillstand gekommen. Statt sich in Richtung Ausgang zu bewegen, schob ihn die Masse langsam und unaufhaltsam in eine Richtung, die ihn von seinem Ziel immer weiter entfernte. Neben ihm begannen die Nocturnen, alles, was sich als improvisierte Waffe eignen konnte, aufzusammeln, Holzlatten, Eisenstangen, Steine. Die Rufe wurden immer lauter, Naxbil war mitten in den Aufstand geraten. Bislang hatte er so etwas immer nur von Erzählungen gekannt. Die Propaganda der Oberstädter berichtete in unregelmäßigen Abständen über Revolten in der Unterstadt, die die glorreiche Armee unter todesmutigem Einsatz ohne viel Federlesens zunichtegemacht habe. Dass dabei Heldengeschichten entstanden, war Teil des Plans, Gladicus gehörte immer dazu, Worte wie „Krieg“ und „Schlacht“ fielen leicht, auch wenn selten mehr als zwei Dutzend Namenlose involviert waren.

      Doch das, was Naxbil jetzt erlebte, schien anders, größer, denn als er auf einen der wenigen größeren Plätze kam, auf dem er den Sprecher von Weitem auf einem zusammen gezimmerten Podest sah, wurde ihm bewusst, dass es Hunderte, wenn nicht gar Tausende sein mussten, die diesem Aufruf nach Ungehorsamkeit gefolgt waren. Irgendjemand drückte ihm eine rostige Stange in die Hand, wahrscheinlich ein altes Brecheisen, das bereits völlig verbogen war. Die Enge bedrückte ihn. Während er die Berührungen seiner beiden Gespielinnen heute Nacht genossen hatte, waren ihm die versehentlichen Kontakte mit den vor Schweiß triefenden Namenlosen jetzt so unangenehm, dass er am liebsten wild um sich geschlagen hätte. Doch es half nichts, er stand mitten in der Menge, die immer aufgeregter wurde und sich weiter in Bewegung setzte. Laut seinen Berechnungen liefen sie in Richtung Haupttor, die am meisten bewachte Anlage in der Oberstadt. Eine militärische Narrheit, die selbst Naxbil erkannte, denn er wusste um die Uneinnehmbarkeit dieser Festung.

      Er versuchte sich erneut, gegen die Vorwärtsbewegung zu wehren, bemüht, sich aus der Masse zu befreien, die ihm jedoch keine Wahl ließ. Sie schob ihn unaufhaltsam weiter. Immerhin wurde die Gasse etwas breiter, was jedoch nur eine teilweise gute Nachricht war, denn sie befanden sich auf der Hauptstraße, die direkt in Richtung Verderben führte – die Oberstadt. Wie in einem Fluss, in dem er mitgespült wurde, bemühte sich Naxbil, zumindest aus der Mitte an die Seite zu kommen. Es gelang ihm nur mit größter Mühe. Nachdem er seinen Körper immer wieder nach links gedrückt hatte, befand er sich jetzt fast direkt an der Häuserwand, in der Hoffnung, irgendwo in eine kleine Gasse entschwinden zu können. Doch aus allen Winkeln drängten Nocturnen mit ihren hoffnungslos unterlegenen Waffen in Richtung Stadttor.

      Naxbil geriet in Panik, versuchte stehen zu bleiben, sich in eine Nebenstraße hinein zu schieben, nur um wieder weiter in die Mitte der Hauptstraße gedrückt zu werden. Von hinten hörte er die Anfeuerungsrufe des Anführers, der der Meute gefolgt war, um deren Aggression weiter zu schüren.

      Die Situation war brenzlig und Naxbil bereute und verfluchte seine Lust nach Vergnügen, die ihn in diese Lage gebracht hatte.

      Er sah noch nichts, doch konnte er ein ohrenbetäubendes Donnern vernehmen. Plötzlich war alles still, niemand rührte sich mehr, denn der Schreck saß allen in den Knochen. Naxbil kannte das Geräusch, nur ein einziges Mal hatte er es gehört. Es war das Krachen der Scharniere. Vor ihnen öffnete sich das Tor zur Oberstadt, was so selten geschah, dass es jedes Mal donnerte, wenn sich das Eisen aus seinem Schlaf befreite.

      Es war ein schlechtes Zeichen, denn es hieß, dass die Armee bereitstand, diese Revolution zu zermalmen. Dann geriet die Masse in Bewegung, erst langsam wie eine tiefe Welle, die sich die Kraft über Tausende von Phrakten im Ozean holt, um dann wie rasend an der Küste zu zerschellen. Sie drückte von vorne, die Wand aus Nocturnen hinter ihm gab jedoch nicht nach. Sie hielt dagegen, wich zu langsam zurück. Schon spürte Naxbil einen gewaltigen Druck in der Brustgegend, die Schreie und das Knacken um ihn herum nahm er zwar wahr, dass es sich dabei um nachgebende und splitternde Knochen handelte, verstand er nicht.

      Er wich so gut es ging zurück. Langsam geriet die Masse hinter ihm in Bewegung. Der Druck auf seinen Brustkorb

Скачать книгу