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harten Stein der Straße und unter den Füßen der Flüchtenden. Auch Naxbil spürte, wie sich seine Kehle langsam vor Angst zuzog. Er schob und drückte, um zu überleben. Ohne Vorwarnung fühlte er einen Ruck, hinter ihm war eine ganze Gruppe hingefallen. Naxbil taumelte. „Jetzt nicht stürzen.“ ging ihm durch den Kopf, denn niemand würde jetzt auf irgendjemanden achten, der auf der Erde lag. Mit einiger Mühe konnte er sich auf den Beinen halten, trat dabei auf weichen, unebenen Untergrund, der lebendig und schmerzerfüllt unter ihm aufheulte. Er kümmerte sich nicht darum, stürzte weiter, konnte sich umdrehen und sah bereits den großen Platz mit dem Podest vor sich, das ihn immer mehr an ein Schaffot erinnerte. Hier hatte er etwas mehr Raum, doch die Masse nahm ihm noch immer den größten Teil der Sicht. In seiner Aufregung konnte er sich nicht orientieren, längst reagierte er nur noch auf die äußeren Ereignisse, anstatt in aller Ruhe nach einem Ausweg zu suchen.

      Dann kamen sie, die Horden aus der Oberstadt. In ihren glänzenden, schwarzen Rüstungen preschten sie vor. Erst die Kavallerie auf den Meganten, die Megantorier, vor der jeder panisch floh. Das bestätigte die Gefährlichkeit der Situation, denn die Meganten waren die mächtigste Waffe der Armee, furchterregend ihr Gebrüll und das schwere Getrampel versetzten alle in Angst und Schrecken.

      Die sechsbeinigen, stahl-gepanzerten Monster hieben wild um sich, ihre langen Hälse aufgerichtet, nach Beute spähend, die gewaltigen Zähne in der kurzen Schnauze gruben sich bereits in das Fleisch der Feinde. Ihre Reiter waren nicht weniger furchterregend. Ebenfalls stark gepanzert, klirrend und scheppernd, schlugen sie mit ihren scharfen Klingen auf die Namenlosen ein.

      Voller Panik sah Naxbil sich um, nach allen Seiten stoben die Unglücklichen auseinander. Schon lag der Geruch von Blut in der Luft, Naxbil meinte es sogar zu schmecken, den eisernen Geschmack auf der Zunge. Keine drei Phrakten von ihm entfernt wütete eines dieser Biester. Er sah, wie es einen Namenlosen im Genick packte. Der versuchte sich zu befreien, schreien konnte er nicht, doch der erschrockene, verzerrte Gesichtsausdruck sprach ohne Laute. Der Unglückliche wusste, dass er verloren war, der Tod selbst hatte ihn am Kragen. Lange musste er nicht leiden, denn ein plötzliches Krachen zeigte an, dass das Genick gebrochen war. Eine Sekunde später saß der Kopf nicht mehr auf dem Rumpf, der weiße Megant mit seiner schwarzen Rüstung war über und über mit blauem Blut beschmiert. Den Kopf hatte er hinuntergeschluckt, Naxbil sah das runde Etwas den langen Hals des Meganten hinunter rutschen. Er erschauerte, kaum in der Lage sich zu rühren. Der Reiter auf dem Untier lachte laut, ein Lachen, dass wie der Donner ertönte und sich über den ganzen Platz legte. Ein wahrer Riese, der das Licht des Mondes verdunkelte, seine kräftige Gestalt in einer ebenfalls schwarzen Rüstung versteckt. Das Visier, das Gesicht und Hals schützte, war einer Megantenschnauze nachempfunden. Wie aus einem Traum wachte Naxbil auf, vernahm die entsetzlichen Schreie der Namenlosen, die um ihn herum zu Dutzenden zermalmt wurden. Die Armee hatte sogar Phospirabomben eingesetzt, jenes Material aus Phiro und Ralis, das im richtigen Verhältnis vermischt heißer als die Hölle und völlig lichtlos und unsichtbar brannte. Nur mit Phosphira konnte der harte Stahl geschmiedet werden, den Naxbil jetzt vor sich sah.

      Lichtlos brannten die Phosphirabomben, die Lebendige oder Tote entzündeten. Der Gestank drang in Naxbils Nase. Rauch legte sich über den Platz, der bereits angefüllt war mit zuckenden Leibern und verzweifelten Namenlosen, die noch immer versuchten, dem Massaker zu entkommen.

      Der Megant hatte Naxbil entdeckt, und wenn der Reiter ihn nicht mit einer ruckartigen Bewegung der Zügel zurückgehalten hätte, wäre jetzt sicher auch Naxbils Kopf auf dem Weg in einen der drei Mägen des Meganten. Das Tier jedoch gehorchte seinem Besitzer, senkte den Kopf, ohne dabei Naxbil aus den Augen zu verlieren. Die gelben, schmalen Pupillen leuchteten, strahlten Gier und Gewalt aus, die jederzeit bereit dazu waren, sich auf die Beute zu stürzen. Langsam stieg der Kämpfer vom Monster, die stählerne Rüstung klirrte laut. Der Krieger strich mit seinen eisernen Pranken über die roten Federn auf seinem Helm, sein Lachen ertönte immer noch, doch klang es jetzt heller.

      Naxbil fiel auf die Knie, er wusste auch nicht genau warum. Was jetzt geschehen würde, lag nicht mehr in seiner Hand. Seine Angst war verflogen, denn es gab nichts, was er noch fürchten musste. Sein Leben war nichts mehr wert, eigentlich hätte ihn der Megant bereits verspeist haben müssen, so dass jede weitere Sekunde seines Lebens ab jetzt ein Geschenk war. Und innerlich bettelte er nach vielen dieser Geschenke, auch nur für einige Sekunden mehr auf dieser Welt wäre er bereit, alles zu tun. Er flehte zu Ophras, zu dem er seit seiner Kindheit nicht mehr gebetet hatte. Er versprach in seiner Not, den Namenlosen zu helfen, wenn Ophras ihn aus dieser Zwickmühle befreien würde. Dieser Gedanke war der Erste, denn das Leid, die Angst, der Schmerz und der Tod lagen nur wenige Phrakten von ihm entfernt.

      Der Riese vor ihm hatte seine Hand auf das Visier gelegt, das Lachen war verstummt.

      „Was immer auch geschieht, oh Ophras, hilf mir“ dachte Naxbil, bevor er in das Gesicht des Hochgeborenen schaute...

      Kapitel 8

      Der Bote kam zur rechten Zeit. Zumindest empfanden Vincus und sicher auch die Borjas diese Störung als Genugtuung oder auch als Zeichen. In voller Kampfmontur zeigte sich der Hochgeborene, Antricio, der Sohn der Pesiphonia Chikato und Adjutant des Gladicus, somit Mitglied des Megantorions, der Elite - Einheit, die Gladicus führte. Diese Stoßtruppe war immer an vorderster Front zu finden, brach die Formationen der gegnerischen Truppen auf und bildete die stärkste Einheit in der Armee. Egal wie groß die Truppenstärke des Gegners, die Megantorier hatten schon zahlenmäßig weit überlegene Aufstände der Namenlosen in Windeseile aufgerieben. War die Formation des Gegners erst einmal gestört, konnten die Infanteristen den Rest erledigen, meist nur noch eine Frage von Grausamkeit und Zeit.

      Der Soldat hatte eine dringende Botschaft für Gladicus, der gerade im Hochzeitsgewand durch den Saal schritt. Die beiden redeten kurz, dann wandte sich der General an die Anwesenden.

      „Meine Verehrtesten, die Kunde hat mich erreicht, dass ein gewaltiger Aufstand die Unterstadt erschüttert. Meine Anwesenheit ist umgehend erforderlich, daher bitte ich, mich zu entschuldigen. Ich weiß, dass es ein ungünstiger Zeitpunkt ist, doch die Situation ist so brenzlig, dass ich nicht zögern kann. Vater (er wandte sich eher an Vincus als an Pelleus), bitte sorgen Sie dafür, dass wir die Zeremonie so bald wie möglich nachholen.“

      Verflogen war seine Unterwürfigkeit, er wirkte beinahe größer als er war. Sein stolzer Körper streckte sich, wirkte gigantisch neben den anderen. Jetzt fühlte er sich sichtlich wohler in der Rolle des Generals, der seine Worte plötzlich eloquent wählt. Selbstsicher und würdevoll schritt er davon, ließ die beunruhigten Gäste zurück. Juchata traf Gladicus, als dieser gerade hinaustreten wollte. Sie strahlte in ihrem schwarzen, seidenen Gewand, ihr durchsichtiger Schleier konnte das Rot der feurigen Haare nicht verdecken, das unter dem Stoff hervor schien wie die nie gesehene, untergehende Sonne in den Bergen selbst.

      Gladicus, für einen Moment überwältigt und geneigt, die Revolte anderen zu überlassen, riss sich förmlich von ihrem Anblick los. Zuerst jedoch nahm er ihre Hand:

      „Juchata, meine Gattin, ich habe keine Zeit für Erklärungen. Bitte verzeihen Sie mir, Ihr Vater wird mit Ihnen reden. Ich bin untröstlich, doch kehre ich wieder, sobald ich kann. Ich verspreche, es wird nicht lange dauern.“

      Abrupt ließ er sie los und drehte sich um, denn er wusste, wenn er nur eine Sekunde länger in dieses wundervolle Gesicht schauen würde, wäre er nicht mehr in der Lage, seine Pflicht zu erfüllen. So stark waren seine Gefühle, dass er wankte. Doch dann fing er sich, schritt voran, Antricio folgte ihm. Baribas schaffte es gerade noch, das Tor zu öffnen, sonst wäre Gladicus sicher hindurch gelaufen wie durch harmloses Gestrüpp. So aber krachte die Pforte hinter ihnen zu und ließ die verwirrten Familien zurück.

      Als Erstes fingen sich die Borjas. Pelates nickte Vincus mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck zu. Pelleus wirkte enttäuscht, mit seinem ihm verbliebenen Arm gestikulierte er, während er sich für etwas entschuldigte, von dem selbst er wusste, dass es für einen General wie Gladicus sogar in dieser privaten Situation kein Zögern gab. Die Pflichterfüllung stand an oberster Stelle, alles andere hatte sich unterzuordnen. Jeder im Saal wusste das, niemand war böse, was sicherlich zum großen Teil daran lag, dass niemand außer Pelleus

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