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Vom Winde verweht. Margaret Mitchell
Читать онлайн.Название Vom Winde verweht
Год выпуска 0
isbn 9783753197203
Автор произведения Margaret Mitchell
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Unter all den aufgeregt lächelnden Mädchen und leidenschaftlich debattierenden Männern war offenbar nur einer, der nicht aus der Ruhe zu bringen war. Scarlett sah Rhett Butler an einen Baum gelehnt dastehen, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Seit Mr. Wilkes ihn verlassen hatte, war er allein und hatte, als das Gespräch sich erhitzte, kein Wort mehr gesprochen. Unter dem kurz geschnittenen schwarzen Schnurrbart verzogen sich spöttisch die roten Lippen, ein Strahl belustigter Geringschätzung glomm in den schwarzen Augen, als höre er prahlenden Kindern zu. Ein unangenehmes Lächeln, fand Scarlett. Er hörte ruhig zu, bis Stuart Tarleton mit zerzaustem Haar und blitzenden Augen wiederholte: »In einem Monat haben wir sie verprügelt! Gentlemen kämpfen immer besser als der Pöbel. Ein Monat ... nein, eine einzige Schlacht ...«
»Meine Herren«, sagte Rhett Butler in der klingenden, verschliffenen Mundart von Charleston, ohne sich aus seiner bequemen Haltung zu rühren oder die Hände aus den Hosentaschen zu nehmen. »Darf ich ein Wort dazu sagen?« Sein Tonfall war ebenso geringschätzig wie seine Blicke, aber verschleiert durch eine Höflichkeit, mit der er sich gleichsam über sich selbst lustig machte. Man wandte sich ihm mit jener Verbindlichkeit zu, die man immer für einen Außenseiter bereit hatte.
»Hat irgendeiner der Herren schon einmal daran gedacht, daß es südlich der Mason-Dixon-Linie keine einzige Waffenfabrik gibt und wie wenig Eisengießereien wir hier im Süden haben? Wie wenig Wollspinnereien, Baumwollwebereien, Gerbereien? Haben Sie daran gedacht, daß wir kein einziges Kriegsschiff haben und daß die Yankeeflotte uns binnen einer Woche die Häfen sperren kann, so daß wir unsere Baumwolle nicht mehr verschiffen können? Aber natürlich ... an all das haben die Herren längst gedacht.«
Der hält wahrhaftig die Jungens für lauter Esel! Scarlett war empört. Das Blut stieg ihr heiß in die Wangen. Mehrere junge Leute warfen das Kinn empor. John Wilkes kam wie zufällig, aber eilig an seinen Platz neben dem Sprechenden zurück, als wollte er den Anwesenden damit deutlich machen, daß dieser Mann sein Gast war, und sie außerdem an die anwesenden Damen erinnern. »Das Schlimmste bei uns Südstaatlern ist«, fuhr Rhett Butler fort, »daß die meisten nicht genug gereist sind oder nicht genug aus ihren Reisen gelernt haben. Von Ihnen, meine Herren, sind natürlich alle weit herumgekommen. Was aber haben Sie gesehen? Europa, New York, Philadelphia, und die Damen waren natürlich in Saratoga.« Er machte eine leichte Verbeugung nach der Damengruppe unter den Bäumen. »Sie haben die Hotels und die Museen, die Bälle und die Spielbank gesehen. Und dann sind Sie mit der Überzeugung nach Hause gekommen, so schön wie hier im. Süden sei es doch nirgends auf der Welt. Was mich betrifft ich bin zwar in Charleston geboren, habe aber die letzten Jahre im Norden verbracht.« Ein Lächeln entblößte seine weißen Zähne, als wäre es ihm wohlbekannt, d aß alle Anwesenden seine Geschichte wüßten, und als machte er sich nicht das geringste daraus. »Ich habe vieles gesehen, was Sie alle nicht gesehen haben. Die Tausende von Einwanderern, die gern gegen freie Beköstigung und ein paar Dollar Sold für die Yankees fechten würden, die Fabriken, die Gießereien, die Werften, die Bergwerke ... all das, was wir nicht haben. Wir haben ja nur unsere Baumwolle, unsere Sklaven und unseren Hochmut. Die werden in einem Monat mit uns fertig.«
Einen gespannten Augenblick lang herrschte Schweigen. Rhett Butler zog ein feines Leinentaschentuch hervor und stäubte sich nachlässig den Ärmel. Dann erhob sich ein unheilverkündendes Geraune und Gemurmel ringsum. Das Summen von der Gruppe unter den Bäumen her glich dem eines aufgeschreckten Bienenschwarms. Auch Scarlett spürte, wie ihr der Zorn in die Wangen stieg, aber zugleich schoß durch ihren nüchternen Kopf der Gedanke, daß alles, was dieser Mann da sagte, höchst verständig klinge und richtig sein könne. Sie hatte zwar noch nie eine Fabrik gesehen und kannte auch niemanden, der eine gesehen hatte. Aber selbst wenn er die Wahrheit redete, so war er doch kein Gentleman, denn man sprach solche Dinge nicht auf einer Gesellschaft aus, auf der man zum Vergnügen weilte.
Stuart Tarleton kam mit gesenkten Brauen heran, und Brent folgte ihm auf dem Fuße. Die Zwillinge wußten sich selbstverständlich zu benehmen und würden schwerlich auf einem Gartenfest eine ernstliche Szene machen, aber trotzdem gerieten die Damen in eine wohlige Erregung - es kam so selten vor, daß sie einen Streit selber miterlebten; meistens lernten sie ihn nur vomHörensagen kennen.
»Herr«, sagte Stuart dumpf, »was wollen Sie damit sagen?«
Rhett sah ihn höflich, aber etwas belustigt an. »Ich will damit«, antwortete er, »dasselbe sagen wie Napoleon - Sie haben vielleicht von ihm gehört? - Er sagte einmal: >Gott ist immer auf der Seite der stärksten Bataillone!<«
Dann wandte er sich zu John Wilkes und sagte verbindlich: »Sie haben mir versprochen, mir Ihre Bibliothek zu zeigen; wäre es unbescheiden, wenn ich darum bäte, sie jetzt sehen zu dürfen? Denn ich muß leider heute nachmittag schon zeitig nach Jonesboro zurück.«
Er schlug leicht die Hacken zusammen und verbeugte sich nach allen Seiten wie ein Tanzlehrer. Die Verbeugung war für einen Mann von solchem Körperbau voller Anmut und dabei so frech wie ein Schlag ins Gesicht. Dann schritt er erhobenen Hauptes mit John Wilkes quer über den Rasen, und sein aufreizendes Lachen hallte bis zu der Gruppe bei den Tischen zurück. Für einen Augenblick herrschte verblüfftes Schweigen, dann begann das Stimmengewirr von neuem. India stand müde von ihrem Platz unter den Bäumen auf und ging auf den erbosten Stuart Tarleton zu. Scarlett hörte nicht, was sie sagte, aber bei dem Blick, mit dem sie ihn ansah, empfand sie so etwas wie einen Gewissensbiß. Es war derselbe Blick der Zusammengehörigkeit, mit dem auch Melanie Ashley anschaute - nur daß Stuart ihn nicht erwiderte. Einen Augenblick lang dachte Scarlett, er hätte India vielleicht längst geheiratet, wenn sie, Scarlett, im vorigen Jahre nicht so mit ihm geflirtet hätte. Dann aber beruhigte sie sich bei dem Gedanken, es sei doch nicht ihre Schuld, wenn andere Mädchen ihre Männer nicht festzuhalten verstünden.
Endlich lächelte Stuart zu India hinunter, ein gezwungenes Lächeln, und nickte mit dem Kopf. India hatte ihn wahrscheinlich gebeten, keinen Streit mit Mr. Butler anzufangen. Unter den Bäumen entstand ein Durcheinander, während die Gäste sich erhoben. Die Mütter riefen nach den Kinderfrauen und den kleinen Kindern und versammelten ihre Brut, um Abschied zu nehmen. Die jungen Mädchen brachen gruppenweise auf und gingen lachend und schwatzend ins Haus, um oben in den Schlafräumen ihre Siesta zu halten. Alle Damen überließen jetzt die Laube und den Schatten der Eichen den Männern; nur Mrs. Tarleton wurde von Gerald, Mr. Calvert und anderen zurückgehalten, die wegen der Pferde für die Truppe endlich eine Zusage zu erlangen hofften.
Ashley schlenderte zu Scarlett und Charles hinüber, er hatte ein halb nachdenkliches, halb belustigtes Lächeln um den Mund. »Ein hochnäsiger Teufel, nicht wahr?« bemerkte er und sah Butler nach. »Er sieht aus wie ein Borgia.«
Geschwind dachte Scarlett nach, ob ihr eine Familie dieses Namens in der Provinz, in Atlanta oder in Savannah bekannt wäre. »Die kenne ich nicht. Ist er mit ihnen verwandt? Was sind das für Leute?«
Über Charles' Gesicht huschte ein verlegener Ausdruck: Ungläubigkeit, Scham und Liebe rangen miteinander. Die Liebe siegte, als ihm aufging daß ein Mädchen nichts weiter brauchte, als anmutig, sanft und schön zu sein, aber keine Bildung obendrein, die ihrem Zauber nur allzu leicht schaden könnte. Er antwortete also rasch: »Die Borgias waren Italiener.«
»Ach«, Scarlett hatte das Interesse verloren, »Fremde!« Sie zeigte Ashley ihr reizendstes Lächeln, aber er sah sie gerade nicht an. Sein Blick lag auf Charles, voller Verständnis und ein wenig mitleidig.
Scarlett stand auf dem Treppenabsatz und lugte vorsichtig über das Geländer nach unten in die Halle. Sie war leer. Aus den Schlafzimmern im oberen Flur kam das endlose Summen leiser Stimmen. Es schwoll an und schwoll wieder ab, und zwischenhinein erscholl Gelächter. Auf den Betten und Diwans der sechs großen Schlafzimmer ruhten die Mädchen sich aus. Das Kleid hatten sie abgelegt, das Korsen gelockert, die Haare flossen geöffnet über den Rücken herab. Ein Nachmittagsschlummer war auf dem Lande Sitte, und selten war er so nötig wie auf solchen Gesellschaften, die den ganzen Tag dauerten,