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Scarlett anstarrte.

      Während Scarlett leichthin mit John Wilkes plauderte, suchten ihre Augen in der Menge nach Ashley, aber vor dem Hause war er nirgends zu sehen. Dutzende von Stimmen begrüßten sie, Stuart und Brent Tarleton kamen auf sie zu. Die Munroemädchen stürzten herbei und begeisterten sich für ihr Kleid, und im Handumdrehen stand sie im Mittelpunkt eines lauter und lauter sprechenden Kreises, in dem jeder versuchte, den anderen zu überschreien. Wo war Ashley? Und Melanie und Charles? Sie bemühte sich, nicht aufzufallen, während sie überall herumschaute und in die Halle und das lachende Menschengewühl darin spähte.

      Als sie so plaudernd und lachend mit raschen Blicken Haus und Hof absuchte, fiel ihr Auge auf einen Fremden, der allein in der Halle stand und sie mit so kühler Unverschämtheit ansah, daß sie augenblicklich stutzte, teils in weiblicher Freude darüber, daß sie einen Mann auf sich aufmerksam gemacht hatte, teils in dem verlegenen Gefühl, daß ihr Kleid vorn zu tief ausgeschnitten sei. Er sah gar nicht mehr jung aus, mindestens wie fünfunddreißig, und war sehr groß und kräftig. Scarlett meinte, sie hätte nie einen so breitschultrigen Mann mit so gewaltigen Muskeln gesehen, fast schon zu kräftig, um vornehm zu sein. Als ihr Auge dem seinen begegnete, lächelte er und zeigte dabei tierhaft weiße Zähne unter seinem kurz

      geschnittenen schwarzen Schnurrbart. Er war dunkelhäutig,

      sonnenverbrannt wie ein Seeräuber. Seine Augen waren kühn und schwarz wie die eines Piraten, der sich überlegt, ob er eine Galeone versenken, ob er ein Mädchen rauben soll. Kühle Verwegenheit lag in seinem Gesicht, und ein zynischer Humor spielte um den Mund, als er ihr zulächelte. Scarlett verschlug es den Atem. Eigentlich sollte ein solcher Blick sie beleidigen, und sie ärgerte sich über sich selbst, daß sie sich nicht beleidigt fühlte. Wer das sein mochte, wußte sie nicht; aber unleugbar sprach aus seinem dunklen Gesicht vornehme Abstammung. Man sah es an der dünnen Habichtnase über den vollen roten Lippen, der hohen Stirn und den weit auseinanderstehenden Augen. Widerstrebend nur wandte sie den Blick ab, ohne wiederzulächeln; und er drehte sich um, als jemand rief: »Rhett! R hett Butler, komm her! Du sollst das hartherzigste Mädchen in Georgia kennenlernen.«

      Rhett Butler? Der Name kam ihr bekannt vor und erinnerte sie an irgendeine herrliche Skandalgeschichte, aber ihre Gedanken waren bei Ashley und gingen der Sache nicht weiter nach.

      »Ich muß hinauf und mir das Haar richten«, sagte sie zu Stuart und Brent, die versuchten, sie von der Menge abzuschneiden. »Wartet hier auf mich und lauft gefälligst nicht mit einem anderen Mädchen davon, sonst werde ich böse.«

      Sie gewahrte, daß Stuart heute Schwierigkeiten machen würde, sobald sie mit jemand anderem flirtete. Er hatte getrunken und trug die hochfahrende, kampflustige Miene zur Schau, die nichts Gutes bedeutete, wie sie aus Erfahrung wußte. In der Halle blieb sie stehen, sprach mi t Freunden und begrüßte India, die gerade mit unordentlichem Haar und winzigen Schweißtropfen auf der Stirn aus dem Hinterhause auftauchte. Arme India! Es war schon sehr schlimm, wenn Haar und Wimpern farblos waren und das Kinn als Zeichen einer eigenwilligen Natur vorstand und man obendrein noch nicht zwanzig Jahre alt war und doch schon als alte Jungfer galt. 0b India wohl sehr böse war, daß sie ihr Stuart weggenommen hatte? Es hieß, sie sei noch immer in ihn verliebt, aber man konnte nie genau wissen, was in einem Wilkes vorging. Trug sie es Scarlett nach, so ließ sie es doch niemals merken und behandelte ihre Nebenbuhlerin mit der gleichen zurückhaltenden, liebenswürdigen Höflichkeit, die sie ihr stets gezeigt hatte.

      Scarlett sagte ihr einige freundliche Worte und schickte sich an, die breite Treppe hinaufzugehen. Da hörte sie sich von einer schüchternen Stimme beim Namen gerufen, drehte sich um und erblickte Charles Hamilton. Er war ein gutaussehender Junge mit einem Gewirr von weichen braunen Locken auf der weißen Stirn und tiefbraunen, reinen, sanften Augen wie ein Schäferhund. In seinen senfgelben Hosen und seinem schwarzen Rock war er sehr elegant, auf seinem gefältelten Hemd saß die breiteste, modernste schwarze Krawatte, die man sich vorstellen ko nnte. Eine leichte Röte stieg ihm ins Gesicht, als Scarlett sich ihm zuwandte. Mit Mädchen war er schüchtern, und wie die meisten schüchternen Männer bewunderte er so lebhafte, selbstsichere Mädchen wie Scarlett aufs höchste. Sie hatte bisher nie mehr als oberflächliche Höflichkeit für ihn gehabt, und so benahm ihm die strahlende Freundlichkeit, mit der sie ihn begrüßte und ihm ihre beiden Hände entgegenstreckte, fast den Atem.

      »Ach, Charles Hamilton, hübscher alter Junge! Ich wette, Sie sind den weiten Weg von Atlanta nur hergekommen, um mir das arme Herz zu brechen.«

      Charles stotterte fast vor Aufregung, als er die warmen kleinen Hände in den seinen hielt und ihr in die schillernden Augen sah. So sprachen Mädchen stets mit anderen Burschen, aber nie mit ihm. Er begriff nicht, warum die Mädchen ihn immer wie einen jüngeren Bruder behandelten und sehr freundlich mit ihm waren, sich aber nie dazu herbeiließen, ihn zu necken. Von jeher wünschte er sich, daß die Mädchen auch mit ihm flirten und scherzen sollten wie mit den anderen Burschen, die viel weniger gut aussahen als er und zudem mit den Gutem dieser Welt längst nicht so gesegnet waren. Geschah das aber ganz selten einmal, so fielen ihm nie passende Antworten ein, und er starb vor Verlegenheit über seinen hilflos verschlossenen Mund. Danach lag er nächtelang wach, und all die reizenden Galanterien, die er hätte sagen können, kamen ihm nachträglich in den Sinn. Aber eine zweite Gelegenheit dafür bot sich nie, denn nach einem oder zwei vergeblichen Versuchen ließen die Mädchen stets von ihm ab. Sogar mit Honey, mit der er sich in dem unausgesprochenen Einverständnis befand, daß sie einander im nächsten Herbst heiraten wollten, war er scheu und still. Zuzeiten hatte er das niederdrückende Gefühl, daß Honeys kokette Art, ihn als Eigentum zu behandeln, ihm nicht eben zur Ehre gereichte. Sie war so hinter den Männern her, daß er sich wohl vorstellen konnte, wie sie mit jedem, der ihr Gelegenheit gab, ebenso umspringen würde. Die Aussicht, sie zu heiraten, erregte ihn nicht sonderlich. Die wildromantischen Gefühle, die sich, nach seinen geliebten Büchern zu urteilen, für einen Liebhaber schickten, vermochte sie nicht in ihm zu erwecken. Er hatte sich immer danach gesehnt, von einem schönen hinreißenden Geschöpf voll Feuer und Gefahr geliebt zu werden, und nun neckte ihn Scarlett 0'Hara damit, daß er ihr das Herz bräche!

      Er suchte nach Worten, fand aber keine, und so war er insgeheim froh, daß sie ohne Unterlaß auf ihn einredete und ihn der Notwendigkeit enthob, Entgegnungen zu finden. Es war zu schön, umwahr zu sein!

      »So, nun rühren Sie sich nicht vom Fleck, bis ich wiederkomme. Wir wollen beim Essen zusammen sitzen. Und daß Sie mir nicht mit den anderen Mädchen anfangen, ich bin furchtbar eifersüchtig!« klang es kau m glaubhaft von den roten Lippen zwischen den beiden Grübchen, während dichte schwarze Wimpern sich sittsam über grüne Augen senkten.

      »0 nein«, brachte er schließlich leise heraus und ahnte nicht, daß sie ihn dabei wie ein Kalb aussehend fand, das auf den Metzger wartet.

      Sie schlug ihm leicht mit dem zusammengefalteten Fächer auf den Arm und wandte sich die Treppe hinauf. Da fiel ihr Blick noch einmal auf den Mann namens Rhett Butler, der ein paar Schritte von Charles entfernt allein stand. 0ffenbar hatte er die ganze Unterhaltung gehört, denn tückisch wie ein Kater lachte er sie an, und wieder schweiften seine Augen, völlig bar der Ehrerbietung, die sie gewohnt war, über sie hin.

      »Heiliger Strohsack!« In ihrer Entrüstung gebrauchte Scarlett im stillen Geralds Lieblingsfluch. »Er tut, als ob er wüßte, wie ich ohne Hemd aussehe!« Damit warf sie den Kopf zurück und ging nach oben. In dem Schlafzimmer, wo die Damen abgelegt hatten, fand sie Cathleen Calvert, die sich vor dem Spiegel putzte und auf die Lippen biß, damit sie röter aussähen. An ihrem Gürtel steckten frische Rosen, die zu ihren Wangen paßten, und ihre kornblumenblauen Augen sprühten vor Erregung.

      »Cathleen«, sagte Scarlett und versuchte, sich die Taille höher hinaufzuziehen, »wer ist eigentlich dieser gräßliche Butler da unten?«

      »Ja, weißt du denn das nicht?« flüsterte Cathleen aufgeregt und hatte dabei ein scharfes Auge auf das Nebenzimmer, wo Dilcey mit der Mammy der Wilkesschen Mädchen schwatzte. »Es muß für Mr. Wilkes ein peinliches Gefühl sein, ihn hier zu haben, aber er war gerade zu Besuch bei Mr. Kennedy in Jonesboro, ich

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