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verkehrt nicht mit ihm.« »Wahrhaftig?«

      Scarlett hatte daran ein Weilchen schweigend zu kauen. Noch nie war sie mit jemandem, mit dem man nicht verkehrt, unter einem Dach zusammen gewesen. Das war sehr aufregend.

      »Was hat er denn getan?«

      »0 Scarlett, er hat einen ganz schrecklichen Ruf. Er heißt Rhett Butler und stammt aus Charleston. Seine Eltern gehören da zu den besten Familien, aber mit ihm verkehren sie nicht mehr. Caro Rhett hat mir vorigen Sommer von ihm erzählt. Er ist aus West-Point rausgeschmissen worden. Stell dir vor! Wegen etwas so Schummeln, daß Caro es nicht wissen darf, und dann war da noch die Geschichte mit dem Mädchen, das er nicht geheiratet hat. Ja, weißt du denn gar nichts davon? Also, dieser Mr. Butler ist in Charleston mit einem Mädchen im Einspänner spazierengefahren. Ich weiß nicht, wer sie war, aber ich habe so meinen Verdacht. Aus sehr guter Familie kann sie nicht gewesen sein, sonst wäre sie nicht so spät nachmittags ohne Begleitung mit ihm ausgefahren, und denk mal, sie blieben beinahe die ganze Nacht und gingen schließlich zu Fuß nach Hause. Sie behaupteten, das Pferd sei ihnen durchgegangen und hätte den Wagen zertrümmert und sie hätten sich im Walde verirrt. Und nun rate, was geschah!«

      »Das kann ich nicht raten, erzähle!« sagte Scarlett begeistert und machte sich auf das Schlimmste gefaßt.

      »Den nächsten Tag hat er sich geweigert, sie zu heiraten.«

      »Ach!«Scarlett war enttäuscht.

      »Er sagte, er habe ihr nichts getan und sehe nicht ein, warum er sie heiraten sollte. Natürlich hat ihr Bruder ihn gefordert, und Mr. Butler hat gesagt, lieber ließe er sich totschießen, als eine dumme Gans zu heiraten. Und dann kam das Duell, und Mr. Butler hat den Bruder des Mädchens getötet und mußte aus Charleston weg, und nun kann er nirgends mehr verkehren«, schloß Cathleen triumphierend und eben noch rechtzeitig, denn Dilcey kam zurück, um das Kleid ihrer Schutzbefohlenen einer Prüfung zu unterziehen.

      »Hat sie ein Kind gekriegt?« flüsterte Scarlett Cathleen ins 0hr.

      Cathleen schüttelte heftig den Kopf. »Aber ruiniert war sie trotzdem«, zischelte sie zur ück.

      Wenn doch nur Ashley mich kompromittieren wollte, dachte Scarlett plötzlich. Er wäre zu sehr Gentleman, ummich dann nicht zu heiraten.

      Und doch hatte sie das uneingestandene Gefühl, man müsse vor Rhett Butler Achtung haben, weil er sich geweigert hatte, eine dumme Gans zu heiraten.

      Scarlett saß auf einem hohen Liegestuhl aus Rosenholz im Schatten einer riesigen Eiche hinter dem Hause, umwogt von Falten und Rüschen, unter denen zwei Zoll ihrer grünen Maroquinschuhe - das Äußerste, was eine Dame zeigen durfte - zum Vorschein kamen. Einen kaum berührten Teller hatte sie in der Hand und sieben Kavaliere um sich herum. Das Gartenfest war auf seinem Höhepunkt angelangt. Gelächter und lustige Worte, das Geklirr von Silber und Porzellan und würzige Bratendüfte erfüllten die warme Luft. Wenn der leichte Wind sich drehte, zogen Rauchwolken von den Feuerstellen über die Gesellschaft hin und wurden von den Damen mit lustigem Schreckensgeschrei und heftigem Gewedel ihrer Palmenfächer begrüßt.

      Die meisten jungen Damen saßen mit ihren Herren auf den Bänken an den langen Tischen. Aber Scarlett hatte erkannt, daß ein Mädchen nur zwei Seiten und auf jeder nur Platz für einen einzigen Mann hat, und deshalb hatte sie vorgezogen, sich abseits zu setzen und soviel Männer wie möglich umsich zu versammeln.

      Auf dem Rasen in der Laube saßen die verheirateten Damen, ehrbar in ihren dunklen Kleidern inmitten all der Lustigkeit und Buntheit ringsum. Wer verheiratet war, einerlei in welchem Alter, fand sich für immer von den helläugigen Mädchen, den Kavalieren und all ihrer Jugendlichkeit geschieden. Verheiratete Frauen, die noch umworben wurden, gab es im Süden nicht. Von Großmama Fontaine, die von dem Vorrecht ihres Alters, aufzustoßen, unbekümmerten Gebrauch machte, bis zu der sieb zehnjährigen Alice Munroe, die gegen die Übelkeit einer ersten Schwangerschaft ankämpfte, hatten sie zu endlosen genealogischen und gynäkologischen Gesprächen ihre Köpfe zusammengesteckt, was solche Gesellschaften zu sehr willkommenen, unterhaltsamen Lehrkursen machte. Scarlett sah von oben auf sie herab und fand, sie sähen aus wie ein Schwärm fetter Krähen.

      Verheiratete Frauen durften sich nie amüsieren. Daß sie selbst, wenn Ashley sie heiratete, auch ohne weiteres in die Lauben und in die Salons verbannt würde, zu den gesetzten Matronen in glanzloser Seide, ausgeschlossen von Spaß und Spiel - der Gedanke kam Scarlett nicht. Ihre Phantasie trug sie, wie die meisten Mädchen, nur bis an den Altar und keinen Schritt darüber hinaus. Außerdem war sie jetzt zu unglücklich, um solchenVorstellungen nachzuhängen.

      Sie senkte die Augen auf den Teller und aß zierlich von einem angebrochenen Biskuit mit einer Eleganz und einem so völligen Mangel an Appetit, daß Mammy ihre Freude daran gehabt hätte. Bei allem Überfluß a n Verehrern hatte sie sich noch nie im Leben so unglücklich gefühlt wie jetzt. Alle ihre Pläne von gestern abend waren gescheitert. Zu Dutzenden hatten sich die Kavaliere zu ihr gesellt, nur Ashley nicht, und all die Befürchtungen von gestern kamen wieder über sie. Ihr Herz schlug bald rasch, bald träge, ihre Wangen waren einmal flammenrot, dann wieder weiß. Ashley hatte keinerlei Anstalten gemacht, in ihren Bannkreis zu treten, und seit ihrer Ankunft hatte sie keinen Augenblick unter vier Augen mit ihm gehabt, ja, seit der ersten Begrüßung hatte sie überhaupt noch nicht mit ihm sprechen können. Als sie den Hintergarten betrat, war er auf sie zugekommen, aber mit Melanie am Arm, die ihm kaum bis zur Schulter reichte.

      Melanie war ein zartgebautes, zierliches Mädchen, gleich einem Kind, das mit den viel zu großen Reifröcken der Mutter Verkleiden spielt, eine Vorstellung, die durch den scheuen, fast furchtsamen Blick ihrer großen Augen noch verstärkt wurde. Die Wolke ihres dunklen lockigen Haares war unter einem Netz streng gefaßt, eine dunkle Masse, die auf der Stirn in eine Spitze wie eine Witwenhaube auslief und das herzförmige Gesichtchen noch herzförmiger erscheinen ließ. Mit den zu breiten Backenknochen und dem allzu spitzen Kinn war es ein süßes, schüchternes, aber keineswegs schönes Gesicht, und Melanie verstand nicht durch weibliche Verführungskünste über seine Unscheinbarkeit hinwegzutäuschen. Sie sah aus, wie sie war, schlicht wie die Erde, gut wie das Brot, durchsichtig wie Quellwasser. Aber trotz dieser Unansehnlichkeit und der Kleinheit ihrer Gestalt lag in ihren Bewegungen, eine gelassene Würde, die sie weit über ihre siebzehn Jahre hob und ihr etwas seltsam Eindrucksvolles verlieh. Ihr graues 0rgandykleid mit der kirschroten Atlasschärpe verhüllte in Rüschen und duftigen Stoffwolken den kindlich unentwickelten Körper. Der gelbe Hut mit den langen kirschroten Bändern ließ ihre elfenbeinfarbene Haut erglühen. In ihren braunen Augen war etwas von dem stillen Glanz eines winterlichen Waldsees, aus dessen Tiefe die dunklen Gewächse durch das ruhigeWasser heraufschimmern.

      Sie hatte Scarlett mit schüchterner Zuneigung angelächelt und ihr gesagt, wie hübsch ihr grünes Kleid sei, und es war Scarlett schwergefallen, auch nur höflich zu antworten, so heftig war ihr Verlangen, mit Ashley allein zu sein. Seitdem hatte Ashley auf einem Hocker zu Melanies Füßen gesessen, fern von den anderen Gästen, hatte sich ruhig mit ihr unterhalten und dabei das leichte, versonnene Lächeln gezeigt, das Scarlett so sehr an ihm liebte. Unter seinem Lächeln war ein kleiner Funken in Melanies Augen aufgesprungen, und das machte die Sache noch schlimmer, denn nun mußte sogar Scarlett zugeben, daß sie beinahe hübsch aussah. Als Melanie zu Ashley aufblickte, war ihr Gesicht wie von innen erleuchtet. Hatte je ein liebendes Herz sich auf einem Antlitz gezeigt, so jetzt bei Melanie Hamilton.

      Scarlett gab sich Mühe, die Augen von den beiden abzuwenden, aber es gelang ihr nicht. Nach jedem Blick dorthin war sie mit ihren Kavalieren doppelt lustig. Sie lachte und sagte gewagte Dinge, neckte und warf den Kopf zurück, daß die 0hrringe klirrten. Wohl hundertmal sagte sie »Ach Unsinn, dummes Zeug!« und schwur, sie wolle nie etwas von alldem glauben, was Männer ihr sagten. Ashley aber bemerkte es nicht, er blickte nur zu Melanie hinauf und sprach weiter, und Melanie sah zu ihm hinab mit einem Ausdruck, der strahlend bewies, daß sie sein war.

      So kam es, daß Scarlett sich unglücklich fühlte. Wer nur das Äußere wahrnahm, mochte meinen, nie habe ein Mädchen weniger Grund dazu gehabt.

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