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Vom Winde verweht. Margaret Mitchell
Читать онлайн.Название Vom Winde verweht
Год выпуска 0
isbn 9783753197203
Автор произведения Margaret Mitchell
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Sie Horcher ...«, begann sie zornig.
»Horcher hören oft höchst unterhaltsame, lehrreiche Dinge«, lächelte er. »Aus einer langen Erfahrung im Horchen weiß ich ...«
»Herr«, sagte sie, »Sie sind kein Gentleman!«
»Eine passende Bemerkung«, antwortete er leichthin. »Und Sie, mein Fräulein, sind keine Lady!« Er fand sie offenbar sehr ergötzlich, denn er lachte wieder leise vor sich hin. »Wer so etwas sagt und tut, wie ich eben mit angehört habe, ist keine Dame mehr. Indessen haben Damen nur selten Reiz für mich gehabt. Sie haben nie den Mut oder den Mangel an Kinderstube, zu sagen, was sie denken. Und das wird mit der Zeit sehr langweilig. Sie aber, meine liebe Miß 0'Hara, sind ein Mädchen von bewunderungswürdigem Temperament. Ich nehme den Hut vor Ihnen ab. Welche Reize der elegante Mr. Wilkes für ein Mädchen von so stürmischem Naturell haben kann, ist mir freilich unbegreiflich. Er sollte Gott auf den Knien danken für ein Geschöpf mit Ihrer - wie drückte er sich noch aus? - >Lebensleidenschaft<; da er aber nur ein mattherziger Jämmerling ist ...«
»Sie sind nicht wert, ihm die Schuhe zu säubern!« schrie sie wütend.
»Und Sie wollen ihn Ihr Leben lang hassen!« Er ließ sich aufs Sofa zurückfallen, und sie hörte ihn wieder lachen.
Hätte sie ihn umbringen können, sie hätte es getan, statt dessen aber ging sie mit so viel Würde, wie sie aufbringen konnte, aus dem Zimmer und schlug die schwere Tür hinter sich zu.
So schnell rannte sie die Treppe hinauf, daß sie meinte, ihr schwänden die Sinne. Sie blieb stehen, packte krampfhaft das Geländer, ihr Herz hämmerte so wild vor Zorn, Gekränktheit und Anstrengung, daß ihr war, als müsse es ihr Kleid zersprengen. Sie versuchte tief zu atmen, aber dafür hatte Mammy sie zu fest geschnürt. Wenn sie nun ohnmächtig wurde, und man fand sie hier auf dem Treppenabsatz, was sollten die Leute denken? 0h, die dächten sich schon ihr Teil, Ashley und dieser gemeine Butler und die gräßlichen Mädchen, die alle so eifersüchtig waren! Zum erstenmal in ihrem Leben hätte sie gern Riechsalz bei sich gehabt wie die anderen Mädchen, aber sie hatte nie auch nur ein Riechfläschchen besessen. Sie war immer so stolz darauf gewesen, daß ihr nie schwindelte. Es ging einfach nicht an, daß sie jetzt ohnmächtig wurde.
Allmählich kam sie wieder zu sich. In einer Minute fühlte sie sich sicher wieder wohl, und dann würde sie leise in das kleine Ankleidestübchen neben Indias Zimmer gehen, ihr Korsett lockern, ins Zimmer schlüpfen und sich auf eins der Betten neben die schlafenden Mädchen legen.
Sie suchte ihr klopfendes Herz und ihr Gesicht zu beruhigen. Sie mußte ja wie eine Irre aussehen. Sollte eines der Mädchen wach sein, so merkte es sicher sofort, daß etwas los war, und das durfte nie und nimmer geschehen.
Durch das breite Erkerfenster auf dem Treppenabsatz sah sie immer noch die Herren unter den Bäumen und im Schatten der Laube auf ihren Stühlen sich rekeln. Wie sie sie beneidete! Herrlich, ein Mann zu sein und nie solchen Jammer durchmachen zu müssen, wie sie ihn eben erlebt hatte! Während sie dastand und mit heißen Augen, noch immer ein wenig schwindlig, die Männer beobachtete, hörte sie raschen Hufschlag in der vorderen Auffahrt. Kies prasselte, eine aufgeregte Stimme erklang. Wieder stob Kies, und quer durch ihr Gesichtsfeld galoppierte ein Reiter über den grünen Rasen auf die träge Gruppe unter den Bäumen zu.
Ein verspäteter Gast? Warum aber ritt er quer über den Rasen, der Indias Stolz war? Sie konnte ihn nicht erkennen, aber als er sich aus dem Sattel schwang und John Wilkes am Arm packte, sah sie die Aufregung an jedem Zoll seiner Gestalt. Die Schar umdrängte ihn. Trotz der Entfernung hörte sie den Tumult der fragenden, laut rufenden Stimmen und empfand die fieberhafte Spannung der Männer. Dann erhob sich über dem verworrenen Geräusch Stuart Tarletons Stimme und frohlockte »Yee - aay - eel«, als wäre er auf der Jagd. 0hne es zu wissen, hörte sie zum ersten Male den Kriegsruf der R ebellen.
Die vier Tarletons, hinter ihnen die Fomaineschen Jungens, lösten sich von den übrigen, liefen eilig nach dem Stall und riefen dabei gellend: »Jeems! Jeems! Pferde satteln!«
Einem von ihnen muß das Haus brennen, sagte sich Scarlett. Feuer hin, Feuer her, sie mußte jetzt ins Schlafzimmer zurückgelangen, ehe sie entdeckt wurde.
Ihr Herz hatte sich beruhigt, auf Zehen schlich sie die Stufen hinauf in den lautlosen Flur. Schwere warme Schläfrigkeit lag über dem Hause, als schliefe es selbst ruhig wie die Mädchen bis zum Abend, um dann mit Musik und Kerzen zur vollen Schönheit aufzublühen. Vorsichtig hob sie die Tür des Ankleidezimmers ein wenig an, öffnete sie und schlüpfte hinein. Ihre Hand lag noch hinter ihr auf der Klinke, als Honey Wilkes' Stimme leise, fast flüsternd, durch den Spalt der gegenüberliegenden Schlafzimmertür zu ihr drang: »Ich finde, Scarlett hat sich heute so schamlos benommen, wie ein Mädchen überhaupt nur kann.«
Scarletts Herz begann wieder seinen wilden Tanz, unbewußt stemmte sie die Hand dagegen, als wollte sie es mit Gewalt unterdrücken. »Horcher hören oft höchst lehrreiche Dinge«, äffte sie eine Erinnerung. Sollte sie sich leise wieder entfernen? 0der sich bemerkbar machen und Honey in Verlegenheit bringen, wie sie es verdient hatte? Da hörte sie wieder etwas und hielt inne. Ein ganzes Gespann Maultiere hätte sie nicht wegzerren können, als sie Melanies Stimme vernahm.
»Ach, Honey, nicht doch! Nicht so unfreundlich sein! Sie ist eben temperamentvoll und lebhaft. Ich fand sie sehr reizend.«
»0ho!« Scarlett krallte die Nägel in ihre Taille ein. »Dies schüchterne kleine Persönchen tritt für mich ein!«
Das war mühsamer anzuhören als Honeys gehässige Stichelei. Scarlett hatte nie einem weiblichen Wesen getraut und außer ihrer Mutter k einer Frau andere als selbstsüchtige Antriebe zugebilligt. Melanie war Ashleys sicher, da konnte sie sich solch selbstlose Denkungsart leisten. Das war echt Melanie, dachte Scarlett, auf solche Weise mit ihrer Eroberung großzutun und sich zugleich in den Ruf eines sanften Gemütes zu bringen. 0ft hatte Scarlett sich, wenn sie mit Männern andere Mädchen durchhechelte, desselben Kniffes bedient, und er hatte die dumme Männerwelt jedesmal unfehlbar von ihrer Sanftmut und Selbstlosigkeit überzeugt.
»Nun, mein Fräulein«, erhob Honey patzig die Stimme, »dann mußt du blind sein.«
»Seht, Honey«, zischte Sally Munroes scharfe Stimme. »Man hört dich ja im ganzen Haus.«
Gedämpft fuhr Honey fort: »Du hast doch gesehen, wie sie mit jedem Mann, den sie erwischen konnte, ins Zeug ging ... sogar mit Mr. Kennedy, und er ist doch der Verehrer ihrer eigenen Schwester. So etwas habe ich nie erlebt! Und ganz sicher hatte sie es auf Charles abgesehen.« Honey verfiel in ein gereiztes Kichern: »Und du weißt doch, Charles und ich ...«
»Wahrhaftig?«flüsterten erregte Stimmen.
»Nun, erzählt es, bitte, niemand ... noch nicht!«
Das Getuschel nahm zu, Bettfedern krachten. Melanie flüsterte, wie glücklich sie sei, daß Honey ihre Schwester werden sollte.
»Ich freue mich aber gar nicht darauf, Scarlett zur Schwester zu bekommen«, ertönte bekümmert Hetty Tarletons Stimme. »Was ist sie nur für ein unglaublicher Draufgänger. Sie ist mit Stuart so gut wie verlobt. Brent sagt zwar, sie gebe keinen Deut um ihn, aber Brent ist natürlich auch in sie verliebt.«
»Wenn ihr mich fragt«, tuschelte Honey geheimnisvoll, »ich sage euch, es gibt nur einen, aus dem sie sich wirklich etwas macht, und das ist Ashley.«
Als das Getuschel der Fragen und Antworten immer heftiger wurde, ging ein Frösteln der Angst und Scham durch Scarletts Brust. Honey war eine dumme Gans, ein albernes, einfältiges, unerfahrenes Ding, soweit es sich um Männer handelte; für andere Frauen aber hatte sie einen Spürsinn, den Scarlett unterschätzt hatte. Neben der Schmach, die sie hier auf ihrem Lauscherposten erlitt, waren die Demütigung und der verletzte Stolz, die sie bei Ashley und Rhett Butler in der Bibliothek gepeinigt hatten, nur Nadelstiche.