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die Gartenschaukel stieß, bis sie vor Lachen schrie. Tiefbekümmert hatte Ellen ihr gesagt, wie leicht eine Witwe ins Gerede komme. Ihr Betragen müsse doppelt so vorsichtig sein wie das einer verheirateten Frau.

      Scarlett hörte folgsam auf die sanfte Stimme ihrer Mutter und dachte bei sich: »Gott allein weiß, daß schon eine Frau überhaupt keine Freude mehr hat. Witwen aber täten besser daran, sich begraben zu lassen.«

      Als Witwe mußte man scheußliche schwarze Kleider tragen, keine bunten Farben durften sie beleben, keine Blumen, kein Band, keine Spitzen, nicht einmal Schmuck, nur dunkle 0nyxbroschen und Halsketten aus dem Haar des Verstorbenen. Der schwarze Kreppschleier ihrer Haube mußte bis zu den Knien hinabreichen und durfte erst nach dreijähriger Witwensc haft bis auf Schulterhöhe gekürzt werden. Eine Witwe durfte niemals lebhaft plaudern, nie laut lachen. Selbst lächeln durfte sie nur mit gramvoller Miene. Aber das schlimmste war: sie durfte sich auf keine Weise anmerken lassen, daß sie an männlicher Gesellschaft Vergnügen fände. Sollte je ein Mann so unerzogen sein, kundzutun, daß er sie leiden mochte, so mußte sie ihm mit einer würdigen Anspielung auf ihren verstorbenen Mann eine gründliche Abfuhr erteilen. Ja, gewiß, dachte Scarlett müde, es kommt wohl vor, daß eine Witwe später einmal wieder heiratet, wenn sie alt und runzelig geworden ist Aber der Himmel mag wissen, wie sie das unter den Späheraugen ihrer Nachbarn fertigbringt; meistens ist es dann auch ein alter, grämlicher Witwer mit einer großen Plantage und einem Dutzend Kinder.

      Ja, für eine Witwe war es für immer mit dem Leben vorbei. Die Leute waren zu dumm, wenn sie ihr immer wieder vorredeten, was für ein Trost der kleine Wade Hamilton ihr nun sein müsse, da Charles von ihr gegangen sei. Zu dumm, wenn sie meinten, sie hätte jetzt etwas, wofür sie leben könnte! Alle redeten davon, wie süß dieses Vermächtnis der Liebe sei, und sie ließ sie bei ihrem Glauben. Ihr aber lag dieser Gedanke am allerfernsten. Wade bedeutet ihr wenig; manchmal fiel es ihr schwer, sich daran zu erinnern, daß er wirklich ihr eigen sei.

      Jeden Morgen, wenn sie aufwachte, war sie im Halbschlummer auf einen Augenblick wieder Scarlett 0'Hara. Die Sonne lag hell auf der Magnolie vor ihrem Fenster, die Spottdrosseln sangen, der gute Duft von bratendem Speck stieg ihr sacht in die Nase. Sie war wieder sorglos und jung. Dann hörte sie das hungrige Jammergeschrei, und jedesmal - aber auch jedesmal kam dann ein erschrockener Augenblick, da sie dachte: »Was, ist denn ein Baby im Haus?« Dann fiel ihr ein, daß es ihr eigenes war. Es war sehr schwer, sich darein zu finden.

      Und Ashley! Ach, vor allem Ashley! Zum erstenmal in ihrem Leben haßte sie Tara, haßte sie die lange rote Landstraße, die den Hügel hinab bis an den Fluß führte, haßte sie die roten Felder mit der sprießenden grünen Baumwolle. Jeder Fußbreit Erde, jeder Baum, jeder Bach, jeder Feldweg erinnerte an ihn. Er gehörte einer anderen Frau an und war im Krieg, aber sein Gesicht ging in der Dämmerung auf den Wegen um, lächelte ihr aus verträumten grauen Augen im Schatten der Veranda zu. Nie hörte sie Hufschlag die Straße über den Fluß aus Twelve 0aks heraufkommen, ohne einen wonnevollen Augenblick lang zu denken: Ashley!

      Jetzt haßte sie auch Twelve 0aks und hatte es doch einst so geliebt. Sie haßte es, und trotzdem zog es sie hin. Dort konnte sie John Wilkes und die Mädchen von ihm erzählen hören - konnte zuhören, wenn sie seine Briefe aus Virginia vorlasen. Sie taten ihr weh, aber sie mußte sie hören.

      Indias Steifheit und Honeys dummes Geschwätz waren ihr schrecklich, und sie wußte, die Mädchen mochten sie auch nicht, aber wegbleiben konnte sie nicht. Und jedesmal, wenn sie aus Twelve 0aks heimkam, legte sie sich vergrämt auf ihr Bett und wollte zum Abendessen nicht aufstehen. Daß sie die Nahrung verweigerte, beunruhigte Ellen und Mammy mehr als alles andere. Mammy brachte ihr die verlockendsten Gerichte und legte ihr nahe, daß sie jetzt als Witwe soviel essen dürfe, wie sie wolle. Aber Scarlett hatte keinen Appetit. Als Dr. Fontaine in ernstem Ton Ellen mitteilte, ein gebrochenes Herz führe oftmals raschen Verfall herbei und es gebe Frauen, die sich ins Grab härmten, erbleichte sie, denn davor hatte sie im tiefsten Herzen gebangt.

      »Eine Luftveränderung wäre das allerbeste für sie«, sagte der Arzt, dem viel daran lag, die unbequeme Patientin loszuwerden.

      Scarlett machte sich also ohne Lust und Liebe mit ihrem Kinde auf und besuchte die 0'Haraschen und Robillardschen Verwandten in Savannah und dann Ellens Schwestern Pauline und Eulalia in Charleston. Aber sie kehrte einen Monat früher als beabsichtigt zurück und gab für ihre vorzeitige Rückkunft keinerlei Erklärung. In Savannah war sie freundlich aufgenommen worden; aber James und Andrew und ihre Frauen waren alt und wollten ihre Ruhe haben und von einer Vergangenheit reden, die Scarlett nicht interessierte. Ebenso war es bei Robillards, und Charleston fand sie einfach schrecklich.

      Tante Pauline und ihr Mann, ein kleiner Greis von formvollendeter spröder Höflichkeit mit dem abwesenden Ausdruck derer, die in einem vergangenen Zeitalter leben, wohnten am Fluß auf einer Plantage, die noch viel einsamer lag als Tara. Der nächste Nachbar wohnte zwanzig Meilen entfernt und war nur auf düsteren Wegen durch stille Dickichte von Sumpfzypressen und Eichen zu erreichen. Die Eichen mit ihren wehenden grauen Moosschleiern erfüllten Scarlett mit Schauder und erinnerten sie an Geralds irische Gespenstergeschichten, in denen Geister in flimmernden grauen Nebeln umgingen. Zudem mußte sie dort den ganzen Tag stricken und abends 0nkel Carey zuhören, wenn er aus den belehrenden Werken Bulwer-Lyttons vorlas.

      Eulalia, die in einem großen Hause auf der Schanze in Charleston hinter den hohen Mauern ihres Gartens zurückgezogen lebte, war auch nicht unterhaltend. Scarlett war den weiten Blick über wogende Felder gewohnt und fühlte sich nun wie in einem Gefängnis. Das gesellige Leben war hier lebhafter als bei Tante Pauline, aber die Gäste waren Scarlett zuwider durch die Art, wie sie sich selbst, ihre Traditionen und ihre Familien wichtig nahmen. Sie wußte sehr gut, daß man sie hier als den Sprößling einer Mesalliance ansah und es unbegreiflich fand, daß eine Robillard je einen eben eingewanderten Iren hatte heiraten können. Sie spürte, daß Tante Eulalia hinter ihrem Rücken für ihr Dasein um Entschuldigung bat. Das erregte ihren Zorn, denn sie gab nicht mehr auf Familie als ihr Vater. Sie war stolz auf Gerald und auf alles, was er ohne fremde Unterstützung nur mit Hilfe seines gescheiten irischen Kopfes geleistet hatte.

      Und wie die Leute in Charleston mit Fort Sumter prahlten! Gott im Himmel, wenn die einen nicht den ersten Schuß in diesem Kriege abgefeuert hätten, so hätten es eben die anderen getan. Scarlett war die scharf akzentuierenden Stimmen 0bergeorgias gewöhnt, die gedehnten, klingenden Laute des Unterlandes kamen ihr geziert vor. Ihr war, als müßte sie schreien, wenn sie noch einmal »Paame« statt Palme, »Hoas«, statt Haus und »Maa« und »Paa« statt Ma und Pa hören mußte. Es fiel ihr so auf die Nerven, daß sie zum Entsetzen ihrer Tante während eines formellen Besuchs den irischen Dialekt Geralds nachahmte. Schließlich kehrte sie nach Tara zurück. Besser noch, sich von Erinnerungen an Ashley quälen zu lassen als von der Charlestoner Aussprache!

      Ellen war Tag und Nacht geschäftig, die Ertragsfähigkeit Taras zu verdoppeln, um den Konföderierten nach besten Kräften helfen zu können.

      Sie erschrak aus tiefster Seele, als ihre älteste Tochter mager, bleich und mit scharfer Zunge aus Charleston zurückkehrte. Sie wußte selbst, was ein gebrochenes Herz bedeutete, und lag Nacht für Nacht neben dem schnarchenden Gatten wach und grübelte, wie man wohl Scarletts Seelennot lindern könnte.

      Charles' Tante, Miß Pittypat Hamilton, hatte ihr mehrmals geschrieben und dringend gebeten, ihr Scarlett für einen langen Besuch nach Atlanta zu schicken. Zumerstenmal zog Ellen den Vorschlag ernstlich in Erwägung.

      Sie wohnte mit Melanie allein in dem großen Haus »ohne männlichen Schutz«, schrieb Miß Pittypat, »seitdem unser lieber Charles nicht mehr ist. Natürlich habe ich noch meinen Bruder Henry, aber er hat sein Heim nicht bei uns. Vielleicht hat Scarlett Ihnen von Henry erzählt. Mein Zartgefühl verbietet mir, mehr von ihm dem Papier anzuvertrauen. Wir beide, Melly und ich, würden uns viel behaglicher und sicherer fühlen, wenn Scarlett bei uns wäre. Drei einsame Frauen sind besser als zwei. Und vielleicht findet auch die liebe Scarlett wie Melly einigen Trost darin, unsere braven Jungens im hiesigen Lazarett zu pflegen. - Und natürlich haben Melly und ich große Sehnsucht, den süßen Kleinen

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