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eines langen Kattunkleides und eines gestärkten weißen Turbans hatte berauschend auf sie gewirkt. Nie hätte sie diese hohe Stufe so früh im Leben erklommen, hätten nicht die Erfordernisse des Krieges es Ellen unmöglich gemacht, Mammy oder Dilcey oder auch nur Rosa oder Teena zu entbehren. Prissy hatte sich bisher nie weiter als eine Meile von Tara oder Twelve 0aks entfernt, und die Reise in der Eisenbahn zusammen mit ihrer Erhebung zum Kindermädchen ging fast über das kleine Hirn ihres schwarzen Kopfes hinaus. Die zwanzig Meilen lange Reise von Jonesboro nach Atlanta hatte sie so aufgeregt, daß Scarlett die ganze Fahrt über das Kleine auf dem Schoß hatte halten müssen. Nun zerrüttete der Anblick so vieler Häuser und Menschen Prissys Haltung vollends. Sie drehte sich von einer Seite nach der andern, zeigte mit dem Finger und sprang in die Höhe und brachte das Baby so in Unruhe, daß es kläglich zu schreien begann. Scarlett sehnte sich nach Mammys festen alten Armen. Mammy brauchte ein Kind nur in ihre Hände zu nehmen, schon war es still. Aber Mammy war auf Tara, und Scarlett konnte nichts tun. Würde sie das Kind nehmen, so würde es genauso durchdringend wie bei Prissy schreien und außerdem an ihren Hutbändern zerren und ihr das Kleid kraus machen. Sie tat deshalb so, als habe sie 0nkel Peters Rat nicht gehört.

      »Vielleicht lerne ich noch einmal, mit Babys umzugehen«, dachte sie ärgerlich, während der Wagen sich stoßend und schwankend aus dem Morast herausarbeitete. »Aber mit ihnen spielen werde ich sicher nie!« Als Wades Gesicht bei seinem Geplärr dunkelrot wurde, fuhr sie P rissy unwirsch an: »Gib ihm den Zuckerlutscher aus der Tasche, Priß, damit er nur ja still ist. Ich weiß, er hat Hunger, aber augenblicklich kann ich nichts dabei machen.«

      Prissy holte den Lutscher, den Mammy ihr am Morgen gegeben hatte, und das Klagegeheul ließ nach. Scarletts Stimmung hob sich wieder etwas bei all dem Neuen, das sie sah. Als der Wagen endlich aus den Schmutzlöchern heraus war und in die Pfirsichstraße einbog, verspürte sie zum erstenmal seit Monaten ein Interesse an ihrer Umgebung. Wie war die Stadt gewachsen! Es war nicht viel länger als ein Jahr her, daß sie zuletzt hiergewesen war, und es war kaum glaublich, wie sich das kleine Atlanta inzwischen verändert hatte. Von dem Augenblick des Kriegsbeginns an hatte seine Wandlung begonnen. Dieselben Schienenstränge, die die Stadt im Frieden zum Brennpunkt des Handels gemacht hatten, gewannen nun im Krieg die höchste strategische Bedeutung. Fern von der Front bildete die Stadt das Verbindungsglied zwischen den Truppen der Konföderierten in Virginia und in Tennessee und dem Westen. Beide Armeen verband Atlanta wiederum mit den südlichen Gebieten, aus denen sie ihren Bedarf deckten. Es war ein Fabrikzentrum, eine Lazarettbasis und ein Stapelplatz des Südens für die Verpflegung und Ausrüstung des Heeres geworden: nicht mehr die Kleinstadt, deren Scarlett sich noch so gut erinnerte, sondern ein geschäftiger, weit ausgreifender Riese. Es summte wie ein Bienenstock und war stolz auf seine Bedeutung für die Konföderierten. Tag und Nacht wurde gearbeitet, umein Agrarland in ein Industrieland zu verwandeln.

      Vor dem Kriege hatte es südlich von Maryland nur wenige Baumwollfabriken, Wollspinnereien, Waffenund Maschinenfabriken gegeben, und die Bewohner der Südstaaten hatten sich viel darauf zugute getan. Sie brachten Staatsmänner und Soldaten, Pflanzer und Ärzte, Juristen und Dichter hervor, aber keine Ingenieure und Techniker. Mit solchen Gewerben mochten sich die Yankees abgeben. Nun aber, da die Häfen von den Kanonenbooten der Yankees gesperrt waren und europäische Waren nur tropfenweise durch die Blockade gelangten, bemühte sich der Süden verzweifelt, sein eigenes Kriegsmaterial herzustellen. Dem Morden stand die ganze Welt offen. Tausende von Iren und Deutschen strömten dem Unionsheere zu, das Handgeld der Nordstaaten lockte. Allein der Süden war ganz auf sich selbst angewiesen.

      Mühselig wurden die Maschinen zur Herstellung des Kriegsmaterials gebaut, denn es gab kaum Modelle, und fast jedes Rädchen mußte nach neuen Zeichnungen angefertigt werden, die man aus England bezog. Merkwürdige Gesichter tauchten jetzt in den Straßen von Atlanta auf. Die Bewohner, die noch vor kurzem beim Klang westlichen Jargons die 0hren spitzten, achteten schon nicht mehr auf die fremden Sprachen von Europäern, die die Blockade durchbrochen hatten, um hier Maschinen zur Erzeugung von Munition zu bauen. Es waren geschickte Leute, ohne die es den Konföderierten wohl schwerlich gelungen wäre, Pistolen, Gewehre, Kanonen und Pulver herzustellen. Tag und Nacht schlug das Herz dieser Stadt und trieb das Material durch die Adern der Eisenbahn an die Fronten. Stündlich brausten Züge herein und hinaus. Aus den neugebauten Fabriken fiel der Ruß in dichten Schauern auf die weißen Häuser. Nachts glühten die Öfen und dröhnten die Hämmer noch lange, nachdem die Bürger ins Bett gegangen waren. Wo voriges Jahr noch der Grund und Boden ungenutzt lag, standen jetzt Fabriken, die Zaumzeuge, Sättel und Hufeisen erzeugten, Werke der Rüstungsindustrie, die Gewehre und Kanonen herstellten, Walzwerke und Gießereien, die für Eisenbahnschienen und Güterwagen sorgten und ersetzten, was die Yankees zerstört hatten, und alle möglichen Werkstätten, in denen Sporen, Geschirrteile, Beschläge, Zelte, Knöpfe, Pistolen und Degen angefertigt wurden. Aber schon machte sich ein Mangel an Eisen bemerkbar. Die Blockade ließ so gut wie nichts durch, und die Bergwerke in Alabama standen beinahe still, weil die Bergleute an der Front waren. Keine eisernen Gitter, keine eisernen Tore, ja nicht einmal eiserne Denkmäler gab es mehr auf den Plätzen von Atlanta. Sie waren in die Schmelzkessel und Walzwerke gewandert.

      Die Pfirsichstraße und ihre Nebenstraßen waren das Hauptquartier der verschiedenen Heeresabteilungen. Die Requirierungsbehörde, der Nachrichtendienst, die Feldpost, das Eisenbahntransportwesen, der Generalprofos hatten hier ihre Stätte. In allen Gebäuden wimmelte es von Leuten in Uniform. Draußen im Weichbilde der Stadt waren die Remonten untergebracht, Pferde und Maultiere in großen Hürden; an Seitenstraßen lagen die Lazarette. Als 0nkel Peter ihr von diesen erzählte, hatte Scarlett fast das Gefühl, Atlanta wäre eine wahre Krankenstadt, so zahllos waren die Lazarette für Verwundete, für Infektionskranke, für Genesende, und täglich spien die Züge neue Kranke und Verwundete aus.

      Der Anblick all der Geschäftigkeit benahm Scarlett, die frisch aus ihrer ländlichen Ruhe kam, fast den Atem. Aber sie sah es gern, fast meinte sie zu fühlen, wie der gleichmäßig rasche Puls der Stadt mit dem ihren zusammenschlug. Während der Wagen sich langsam auf der Hauptstraße seinen Weg suchte, nahm sie all die neuen Eindrücke interessiert in sich auf. Auf den Fußwegen drängten sich die Männer in Uniform mit den Abzeichen aller Dienstgrade und aller Waffengattungen. Die schmale Straße war von Fuhrwerken verstopft. Kuriere in Grau sprengten von einem Hauptquartier zum andern und brachten Befehle und Depeschen. Verwundete humpelten auf Krücken, von besorgten Frauen am Ellbogen gestützt. Von dem Exerzierplatz, wo man Rekruten drillte, schallten Hornsignale, Trommelschlag und helle Kommandos. Scarlett stieg das Herz in die Kehle, als sie zum ersten Male die Uniform der Yankees erblickte. 0nkel Peter zeigte mit der Peitsche auf einen Trupp abgerissen aussehender Blauröcke, die von einer Abteilung mit aufgepflanztem Bajonette zum Bahnhof getrieben wurden, um ins Gefangenenlager abtransportiert zu werden.

      Zum ersten Male seit dem Tage jenes Gartenfestes verspürte Scarlett eine frohe Wallung. Immer noch verstärkte sich der Eindruck der Lebendigkeit in dieser Stadt. Neue Bars waren zu Dutzenden wie aus dem Boden gesprossen. Dirnen, die dem Heer folgten, zogen durch die Stadt, und zur Entrüstung der Kirchenleute wimmelte es in den Bordellen von Frauen. Jedes Hotel, jede Pension, jedes Privathaus war überfüllt von Besuchern, die bei den verwendeten Angehörigen in den Lazaretten Atlantas sein wollten. Jede Woche gab es Gesellschaften, Bälle, Basare, dazu Kriegstrauungen ohne Zahl. Der beurlaubte Bräutigam in goldbetreßtem Hellgrau, die Braut in hereingeschmuggeltem Putz, in den Kirchen gekreuzte Degen, zu den Tischreden geschmuggelter Sekt und dann tränenreicher Abschied.

      Nachts schurrte es in den baumbepflanzten Straßen von tanzenden Füßen, aus den Salons tönte der helle Klang des Klaviers, Sopranund Soldatenstimmen mischten sich zu den schwermütigen Balladen »Die Hörner tönten Waffenruh« oder »Wohl kam dein Brief, doch ach, er kam zu spät«. Sanfte Augen, die Tränen echten Kummers noch nie gekannt, wurden feucht.

      Scarlett stellte Frage auf Frage, und 0nkel Peter gab Antwort, stolz, seine Kenntnisse zum besten geben zu können, und wies mit der Peitsche hierhin und dorthin.

      »Das ist das Arsenal. Ja, gnädige Miß Scarlett, da bewahren sie die Kanonen und all so was auf. Nein, gnädige Miß Scarlett, das sind keine Lädchen, das sind Blockadebüros. Aber, gnädige Miß Scarlett, wissen Sie denn nicht, was Blockadebüros

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