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hatte, als er sagte, die Liebe zur Heimat läge auch ihr im Blut.

      So vermied sie denn einstweilen mit geschickter Höflichkeit, eine bestimmte Zusage zu geben, und suchte sich zunächst in das Leben des roten Backsteinhauses am Ende der Pfirsichstraße einzufügen. Sie lebte mit Charles' Verwandten zusammen und begann den Mann, der sie so rasch hintereinander zur Frau, zur Witwe und zur Mutter gemacht hatte, ein wenig besser zu verstehen. Sie begann zu begreifen, warum er so schüchtern und so reinen Gemüts gewesen war. Hatte Charles überhaupt etwas von der harten, heißblütigen Soldatenart seines Vaters geerbt, so war das in der vornehm damenhaften Atmosphäre seiner Kindheit bald untergegangen. Er hatte an der kindlichen Tante Pitty gehangen und seine Schwester Melanie mehr geliebt, als es sonst Geschwisterart ist, und zwei sanftere, weltfremdere Frauen konnte man sich kaum vorstellen,

      Tante Pittypat war vor sechzig Jahren auf die Namen Sarah Jane Hamilton getauft worden, aber seit dem längst vergangenen Tage, da ihr spaßesfroher Vater ihr wegen ihrer trippelnden, trappelnden Füße den Kosenamen angehängt hatte, wurde sie nie mehr anders genannt. Seither hatte sich vieles an ihr verändert, und der Name wollte nicht mehr recht passen. Von dem wilden frischen Kind war nichts übriggeblieben als zwei überaus zierliche Füßchen, die ihr Gewicht kaum tragen konnten, und eine Neigung, verloren und ziellos vor sich hin zu schwatzen. Sie war d ick, rotwangig und weißhaarig geworden und hatte einen kurzen Atem, weil sie sich immer zu fest schnürte. Weiter als einen Häuserblock vermochte sie auf ihren winzigen Füßchen, die sie obendrein immer in zu kleine Schuhe preßte, nicht zu gehen. Bei jeder Erregung geriet ihr Herz aus dem Takt, denn sie verhätschelte es sehr. Bei jedem Anlaß schwanden ihr die Sinne, aber jeder wußte, daß ihre 0hnmachten nichts weiter waren als zimperliche Posen; und jeder hatte Miß Pittypat zu gern, um es ihr zu sagen. Jeder hatte sie gern, verzog sie wie ein Kind und nahm sie nicht ernst - mit der einzigen Ausnahme ihres Bruders Henry. Mehr noch als alles andere auf der Welt, sogar als die Freuden der Tafel, liebte sie harmlosen Klatsch. Stundenlang schwatzte sie freundlich über die Angelegenheiten anderer Leute. Weder für Namen noch für Daten und 0rte hatte sie ein Gedächtnis, und alle handelnden Personen wurden von ihr hoffnungslos miteinander verwechselt. Das störte aber niemanden, denn niemand war so töricht, ernst zu nehmen, was sie sagte, niemand erzählte ihr je etwas wirklich Anstößiges; ihre altjüngferliche Zimperlichkeit mußte auch mit sechzig Jahren noch geschont und behütet werden, und ihre Freunde waren im allgemeinen Wohlwollen miteinander verschworen, sie als verzogenes und umhegtes Kind zu erhalten.

      Melanie war ihrer Tante in manchen Zügen ähnlich. Sie hatte etwas von ihrer Schamhaftigkeit, ihrer Bescheidenheit und ihrer Neigung zum plötzlichen Erröten; aber sie besaß daneben einen gesunden Menschenverstand. »In gewissem Sinne, das muß ich zugeben«, meinte Scarlett mit einigem Widerstreben. Melanie hatte wie Tante Pitty die Miene eines umhegten, herzensguten und einfältigen Kindes, welches das Böse nie mit Augen gesehen hat und es nicht erkennen würde, wenn es ih m begegnete. Sie war immer glücklich gewesen und wollte, daß auch alle um sie herum glücklich und zufrieden seien. Sie betrachtete alles von der besten und freundlichsten Seite. Kein Dienstbote war so dumm, daß sie nicht irgendeinen ausgleichenden Zug der Treue und Herzensgüte an ihm entdeckte, kein Mädchen so häßlich, daß sie nicht seine Gestalt anmutig oder seinen Charakter edel fand, kein Mann so ohne Wert und Bedeutung, daß sie ihn nicht dennoch im Lichte seiner besten Möglichkeiten zu sehen versuchte. Um dieser gutherzigen Züge willen scharte sich alles um sie, denn wer könnte der Anziehungskraft eines Menschen widerstehen, der an allen anderen so hohe Eigenschaften entdeckt, wie sie selber sich niemals träumen lassen! Sie hatte mehr Freundinnen als irgend jemand sonst und auch mehr Freunde, wenn auch nur wenige Verehrer. Ihr fehlten der Eigensinn und die Eigenliebe, die den Männerherzen ein gut Stück voranzuhelfen pflegen.

      Melanie tat nur das, was allen Mädchen aus den Südstaaten anerzogen wurde: sie sorgte unentwegt für allgemeine Unbefangenheit und Selbstzufriedenheit. Diese segensreiche Verschwörung der Frauen machte das gesellige Leben in den Südstaaten so angenehm. Ein Land, wo die Männer zufrieden waren, wo ihnen nicht widersprochen und sie in ihr er Eitelkeit nicht verletzt wurden, mußte ein angenehmer Aufenthaltsort für Frauen sein. Das wußten sie und richteten sich danach. Die Männer vergalten es ihnen reichlich mit Ritterlichkeit und Verehrung. Sie gönnten den Damen von Herzen alles in der Welt, nur nicht ihren Verstand. Scarlett ließ dieselben Künste wie Melanie spielen, jedoch mit vollendeter Geschicklichkeit. Der Unterschied zwischen den beiden Mädchen bestand darin, daß Melanie die Menschen, Scarlett aber sich selber glücklich machen wollte.

      Charles hatte in diesem Hause keinerlei stählenden Einfluß erfahren und nichts von der rauhen Wirklichkeit des Lebens zu spüren bekommen. Verglichen mit Tara war dies Heim ein weiches, altmodisches Nest. Scarlett fand, es schreie förmlich nach Branntwein und Tabakduft, nach lauten Stimmen und Flüchen, nach Bärten und Gewehren, nach Jagdhunden, die einem zwischen den Beinen herumliefen. Sie vermißte den Klang streitender Stimmen, der auf Tara immer zu hören war, sobald Ellen den Rücken gekehrt hatte. Hier war alles still, jeder fügte sich den Wünschen der andern, und am Ende hatte stets der schwarze grauhaarige Selbstherrscher in der Küche seinen Willen. Scarlett hatte, fern von Mammys Aufsicht, die Zügel lockerer zu Enden gehofft. Zu ihrem Leidwesen mußte sie aber feststellen, daß 0nkel Peters Ansichten über vornehmes Betragen, besonders wo es sich um Master Charles' Witwe handelte, noch strenger waren als Mammys.

      Scarlett war erst siebzehn Jahre und von prachtvoller Gesundheit und Lebenskraft, und Charles' Familie tat das Menschenmögliche, um sie glücklich zu machen. Wenn es nicht ganz gelang, so war das nicht ihre Schuld, denn niemand konnte die Wunde in ihrem Herzen heilen, die zu schmerzen begann, sobald Ashleys Name genannt wurde. Und Melanie nannte ihn so oft! Aber Melanie und Pitty waren unermüdlich, immer neue Linderungsmittel für den Kummer herauszufinden, mit dem sie sich nach ihrer Meinung herumquälte. Sie taten alles, um sie zu zerstreuen. Sie nahmen es peinlich genau mit ihrer Ernährung, mit ihrer Ruhe und ihren Spazierfahrten. Sie bewunderten nicht nur über die Maßen Scarletts Temperament, ihren schlanken Wuchs, ihre zierlichen Hände und Füße, ihre weiße Haut, sondern sagten es ihr auch oft und streichelten und umschmeichelten und küßten sie immer aufs neue. An Liebkosungen lag Scarlett nichts, aber sie sonnte sich in den Schmeicheleien. Auf Tara hatte ihr niemand so viel Schmeichelhaftes gesagt; im Gegenteil, Mammy hatte ihre Tage damit verbracht, an ihr herumzumäkeln. Der kleine Wade war ihr keine Last mehr. Die Familie und alles, was an Schwarzen und Weißen dazugehörte, auch alle Nachbarn, vergötterten ihn, und es war eine unaufhörliche Eifersüchtelei im Gange, wem er gerade auf dem Schoß sitzen durfte. Besonders Melanie war in ihn vernarrt. Noch wenn er am durchdringendsten kreischte, fand Melanie ihn himmlisch und schmachtete: >Ach,dusüßer Liebling! Wärstdudochmein! <

      Manchmal fiel es Scarlett schwer, ihre wahren Gefühle zu verbergen. Tante Pitty war ihr noch immer die albernste unter allen alten Damen. Ihre Fahrigkeit und ihre Grillen fielen ihr unerträglich auf die Nerven. Scarletts eifersüchtige Abneigung gegen Melanie wuchs mit jedem Tag, und manchmal mußte sie unvermittelt das Zimmer verlassen, wenn Melanie strahlend von Ashley sprach und aus seinen Briefen vorlas. Aber es lebte sich hier doch so glücklich, wie es unter den Umständen nur möglich war. Atlanta bot ihr so viel neuartige Ablenkung, daß ihr zum Denken und Trauern wenig Zeit blieb. Nur manchmal, des Abends, wenn sie das L icht ausgeblasen hatte, seufzte sie, den Kopf im Kissen vergraben: »Wäre Ashley doch nicht verheiratet! Wenn ich nur nicht in diesem schrecklichen Lazarett zu pflegen brauchte! Was gäbe ich nicht umein paar Verehrer!«

      Der Krankendienst war ihr vom ersten Tag an abscheulich, aber sie konnte sich der Pflicht nicht entziehen, weil sie sowohl in Mrs. Meades wie in Mrs. Merriwethers Komitee saß.

      Viermal in der Woche hatte sie, vom Hals bis zu den Füßen in einer viel zu warmen Schürze steckend und ein Tuch fest um den Kopf gebunden, den ganzen Vormittag in dem stickigen Lazarett Dienst. Jede Frau in Atlanta, ob alt oder jung, pflegte mit einer Begeisterung, die in Scarletts Augen an Fanatismus grenzte. Ihnen allen war es selbstverständlich, daß auch sie von glühendem Patriotismus erfüllt sei; hätten sie gewußt, wie wenig inneren Anteil sie am Kriege nahm, sie wären empört gewesen. Das einzige, was Scarlett beschäftigte, war die ununterbrochene Seelenangst, Ashley könnte fallen.

      Romantisch war die Tätigkeit der Krankenschwestern durchaus nicht. Stöhnen,

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