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lächelte sie Scarlett seltsam zu, verzog ein wenig den Mund, als ob sie sich entschuldigen wollte, während sie sich mit dem Taschentüchlein die Augen abtupfte. »Ich bin so glücklich«, flüsterte sie, »und so stolz auf die Soldaten, daß ich weinen muß.« In ihren Augen leuchtete eine tiefe, fanatische Glut, die ihr unscheinbares Gesichtchen überstrahlte und verschönte.

      Als das Lied zu Ende war, lag derselbe Glanz auf den Gesichtern aller Frauen, Tränen des Stolzes auf rosigen wie auf runzligen Wangen, ein Lächeln auf den Lippen und in den Augen heiße Glut, wenn sie ihre Männer ansahen, die Liebste den Geliebten, die Mutter den Sohn, die Gattin den Gatten. Alle hatten teil an jener Schönheit, die auch die unscheinbarste Frau verklärt, wenn sie sich ganz und gar geliebt und beschützt fühlt und die Liebe tausendfältig zurückgibt. Sie liebten die Männer ihres Vaterlandes, sie glaubten an sie und vertrauten ihnen bis zum letzten Atemzug. Wie konnte denn der Heimat ein Unglück widerfahren, wenn diese hochgemute graue Mauer der heldenhaftesten und ritterlichsten Männer, die je auf der Welt gelebt hatten, sich zwischen ihr und den Yankees erhob! Aller Herzen waren übervoll von Hingabe und Stolz, übervoll von der gerechten Sache der Konföderierten, deren endgültiger Sieg zum Greifen nahe war. »Stonewall« Jacksons Erfolge im Shenandoahtal und die Niederlage der Yankees in der siebentägigen Schlacht um Richmond ließen daran keinen Zweifel. Wie konnte das bei solchen Heerführern wie Lee und Jackson auch anders sein? Noch ein Sieg, dann lagen die Yankees am Boden und bettelten um Frieden. Dann kamen die Männer nach Hause geritten, und dann war des Küssens und Lachens kein Ende. Noch ein Sieg, und der Krieg war aus.

      Freilich stand mancher Stuhl leer, mancher Säugling sollte die väterlichen Züge nie zu Gesicht bekommen, manches namenlose Grab lag an einsamen Bächen in Virginia und in den stillen Bergen von Tennessee. Aber war denn solcher Preis für die heilige Sache zu hoch? Daß Seidenstoffe und Genußmittel schwer zu haben waren, darüber lachte man nur. Außerdem brachten die schneidigen Blockadebrecher vor der Nase der Yankees manches herein, und das machte seinen Besitz doppelt aufregend. Bald würden Raphael Semmes und die konföderierte Flotte sich etwas näher mit den Kanonenbooten der Yankees befassen, und dann standen die Häfen wieder weit offen. Überdies mußte England den Südstaaten zu Hilfe kommen, denn dort standen die Spinnereien still, solange sie keine Baumwolle erhielten. Natürlich stand auch der britische Adel auf seilen der Konföderierten, wie eben Aristokraten gegen ein Gesindel von Geldmachern zusammenhielten.

      So ließen denn die Frauen ihre Seide rauschen und empfanden die doppelte Süßigkeit der Liebe im Angesicht von Tod und Gefahr. Scarletts Herz pochte in der stürmischen Erregung, endlich wieder unter Menschen zu sein. Aber der Ausdruck einer schwärmerischen Begeisterung auf allen Gesichtern, die sie nicht teilte und nur halb verstand, dämpfte ihre Freude. Der Saal schien ihr nicht mehr so schön, die Mädchen nicht mehr so elegant, als ihr der Gedanke kam, daß all diese Glut der Hingabe auf jedem Antlitz vergeblich und ... albern sei.

      Voller Entsetzen sagte sie sich: »Nein, nein! So etwas darfst du nicht denken, das ist unrecht, das ist Sünde!« Aber doch war ihr klargeworden , daß die große heilige Sache ihr nichts bedeutete. Es langweilte sie nur, wenn alle Menschen mit fanatischem Blick in den Augen davon sprachen. Der Krieg kam ihr durchaus nicht als etwas Heiliges, sondern als etwas sehr Lästiges und Sinnloses vor. Ihr wurde klar, wie müde sie des endlosen Strickens, des Bindenrollens und Scharpiezupfens war, von dem ihre Fingerspitzen rauh wurden. Ach, und das Lazarett hatte sie so satt! Es machte sie elend und krank mit seinen ekelerregenden Gerüchen und dem endlosen Gestöhn. Der Ausdruck nahenden Todes auf den eingefallenen Gesichtern war ihr fürchterlich.

      Verstohlen blickte sie sich um, voller Sorge, es möchte jemand in ihrem Gesicht lesen, was in ihrer Seele vorging. Warum konnte sie nicht wie die anderen Frauen empfinden? Sie alle meinten wirklich von ganzem Herzen, was sie sagten und taten, sie aber mußte die Begeisterung und den Stolz, den sie nicht empfinden konnte, spielen; mußte die Maske der Kriegerwitwe anlegen, die ihren Schmerz tapfer trägt, während ihr Herz im Grabe liegt; die davon durchdrungen ist, daß ihres Mannes Tod nichts gegen den Sieg der großen heiligen Sache bedeutet. Ach, wie einsam sie sich fühlte, sie, die doch niemals zuvor einsam gewesen war! Anfangs versuchte sie, sich selber über ihre Empfindungen zu täuschen, aber die harte Ehrlichkeit, die ein Grundzug ihres Wesens war, ließ es nicht zu, und während dieses Wohltätigkeitsfest seinen Gang ging, war ihr Geist emsig beschäftigt, sich vor sich selbst zu rechtfertigen, eine Aufgabe, die ihr selten schwerfiel. Alle andern Männer und Frauen schienen ihr wie benebelt von ihrer Vaterlandsliebe; sie allein, Scarlett 0'Hara-Hamilton, hatte den klaren irischen Verstand, der sich nicht bestechen ließ; aber keiner durfte je die Nüchternheit ihrer Anschauungen erfahren! Welche Empörung würde es hervorrufen, wenn sie plötzlich aufs Podium spränge und sagte, der Krieg möge aufhören, damit sie alle wieder heimkehren und sich um ihre Baumwolle kümmern könnten, damit es wieder Gesellschaften und Verehrer und blaßgrüne Kleider in Hülle und Fülle gäbe!

      Für einen Augenblick blickte sie angewidert und voller Hochmut auf das Treiben rings um sie her. Ihre Bude war unauffällig gelegen, selten nur kam jemand daran vorbei, und Scarlett konnte nichts anderes tun als den fro hen Schwarm von weitem betrachten. Melanie, die ihre Mißstimmung bemerkte, sie aber der Sehnsucht nach Charlie zuschrieb, beschäftigte sich damit, die Waren in ihrer Auslage schöner zu verteilen, während Scarlett mürrisch in den Saal blickte und sogar an den vielen Blumen unter den Bildern von Davis und Stephens nichts als Mißfallen fand. »Wie ein Altar sieht es aus«, dachte sie abfällig. »Die beiden könnten fast Gott, Vater und Sohn, darstellen!« Erschrocken über ihren eigenen Einfall bekreuzigte sie sich verstohlen, verfolgte den Gedanken aber doch weiter. Die Leute machten so viel Wesens von den beiden, als seien sie Heilige, und dabei waren es doch nur Menschen, und sie sahen nicht einmal gut aus. Natürlich konnte Stephens nicht dafür, daß er sein Leben lang krank gewesen war; aber Davis' stolzes Gesicht mit den reinen, scharfgeschnittenen Zügen verdroß sie wegen seines Ziegenbartes, und sie sah nicht darin die klare kalte Intelligenz, die die Bürde einer neuen Nation trug. Scarlett fühlte sich nicht glücklich, denn niemand achtete ihrer. Sie war hier die einzige junge, nicht verheiratete Frau, die keinen Verehrer hatte. Sie war siebzehn Jahre alt, ihre Füße wollten tanzen und springen. Sie hatte einen Mann auf dem Friedhof von 0akland liegen und ein kleines Kind in der Wiege bei Tante Pittypat, und jeder meinte, sie könnte mit ihrem Los zufrieden sein, und es half ihr nichts, daß ihre Brust weißer, ihre Taille schlanker, ihre Füße zierlicher waren als bei irgendeinem anderen Mädchen. Sie war nicht alt genug, um Witwe zu sein, und doch mußte sie hier in vorbildlicher Witwenwürde sitzen und ihre Stimme dämpfen und ihre Augen verschämt niederschlagen, wenn Herren an ihre Bude traten. Sie kam sich in dem heißen schwarzen Taft, der kaum ihre Handgelenke freiließ und bis ans Kinn zugeknöpft war, wie eine Krähe vor und mußte geduldig zusehen, wie so viele unscheinbare Mädchen sich gutaussehenden Männern an den Arm hängten. Und alles, weil Charles die Masern gehabt hatte. Nicht einmal den Heldentod in der Schlacht war er gestorben, womit sie wenigstens noch hätte prahlen können. Gereizt stützte sie die Ellbogen auf den Auslagentisch und sah herausfordernd in die Menge. Was scherte es sie, daß Mammy sie so oft ermahnt hatte, die Ellbogen nicht aufzustützen, damit sie nicht runzlig würden! Was lag daran, wenn sie häßlich würden? Wahrscheinlich bekam sie doch nie wieder Gelegenheit, sie zu zeigen. Begehrlich betrachtete sie die Menge. Maybelle Merriwether ging am Arm des Zuaven an der nächsten Bude vorbei. Sie trug ein apfelgrünes Tarlatankleid, übersät von elfenbeinfarbenen Chantillyspitzen, die mit dem letzten Blockadezug aus Charleston gekommen waren, und protzte so damit, als hätte sie selbst und nicht der berühmte Kapitän Butler die Blockade durchbrochen.

      »Wie süß müßte ich darin aussehen! Sie hat eine Taille wie eine Kuh. Das Grün ist meine Farbe, meine Augen würden darin ... Warum versuchen Blondinen überhaupt, diese Farbe zu tragen! Ihre Haut sieht darin grün wie Käse aus. Ach, wenn ich denke, daß ich die Farbe nie wieder tragen darf, selbst dann nicht, wenn die Trauer vorüber ist! Dann werde ich altes, verstaubtes Grau und Braun und Lila tragen müssen. War es nicht ein furchtbarer Unsinn, die ganze Mädchenzeit hindurch zu lernen, wie man Männer gewinnt, und seine Fähigkeiten dann nur ein oder zwei Jahre gebrauchen zu dürfen?« Wenn sie über ihre Erziehung unter Ellens und Mammys Augen nachdachte, so wußte sie, daß sie gründlich und gut gewesen war, denn der Erfolg war nie ausgeblieben. Wie unfehlbar und zuverlässig waren die festen Regeln dieser

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