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»soll ich vielleicht einen mitnehmen?«

      »Ach wat, Männeken«, antwortete der freundliche Mann mit der Blechkanne, »legen Sie sich man rin und ick wer mer uff'n Bock setzen.«

      »Na, denn ein ander Mal«, rief der fröhliche Leichenkutscher zurück, denn seine Pferde waren schon indessen ein Stückchen weiter getrabt.

       Ganz vorn – gleich neben dem Chauffeur, stand ein großes blondes Dienstmädchen mit einer weißen Schürze und lutschte an einer Apfelsine, die ihr der Kolonialwarenhändler zugegeben hatte. Die Apfelsine hatte eine dicke Schale, wenig Saft und viel Kerne. Und das Mädchen vergnügte sich damit, die Kerne nach dem Briefträger zu knipsen, der neben Emil Kubinke stand, und wie das so geht, traf sie natürlich den falschen. Aber das machte ihr gerade Freude. »Na, Herr Schultze«, rief das Mädchen, »haben Se denn jarnischt mehr für mich? Sie sind auch zu schlecht zu mir; nie mehr bringen Se mer was!«

      »Was kann ich'n denn dafür? Warum schreibt denn Ihr Bräutjam Ihnen jarnich mehr?«

      »Warum er nich schreibt?« versetzte Fräulein Emma, in einem Ton, dem man deutlich entnehmen konnte, daß sie hiermit jeder Mythenbildung ein für alle Mal entgegentreten wollte. » Ick hab ihn abjeschrieben!«

      »So, Sie haben ihn abjeschrieben?!« fragte Herr Schultze, mit einem Interesse, das schon nicht mehr als rein dienstlich zu bezeichnen war. »Warum denn?«

      »Ach Jott, Herr Schultze, er war ja soweit vielleicht een janz netter Mann, und sein jutes Einkommen soll er ja auch jehabt haben, aber er war mer doch zu kleen und zu nuttig. De Leute uff de Straße haben uns ja nachjelacht, wenn wir zusammen jegangen sind.«

      »Na?« fragte der Briefträger und machte sich so groß, wie es ihm bei seinen nur leicht gekrümmten Beinen irgend möglich war. »Und nu suchen Se wohl einen, der größer is?!«

      »Nischt zu löten an de hölzerne Badewanne!« rief Emma und warf nach dem Briefträger eine ganze Hand voll Apfelsinenkerne, von denen auch Emil Kubinke sein Teil bekam.

      » Ihr Männer, ihr taugt ja alle nischt!«

       Und damit lief sie schnell übern Damm, denn sie mußte noch zu morgen früh Kaffee holen, und drüben polterten schon die Jalousien herunter.

      »St, st, Emma!« rief ein Mädchen hinter ihr her, das erst eben sich herandrängte, um doch auch zu sehen, was es hier eigentlich gäbe. »St, Emma, ist der Schlächter schon bei dir jewesen, fragen?«

      Emma wandte sich ganz kurz um. »Du immer mit deinen dußlichen Schlächterjesellen«, rief sie, »ick war mir doch vor den viel zu schade.« Und dann war sie auch schon drüben auf der anderen Seite.

      Der Chauffeur war wieder auf seinen Sitz geklettert und drehte an dem Steuerrad, und langsam schoben sich die breiten Gummireifen vor.

      »Nu mit een Mal«, meinte der freundliche Mann mit der Blechkanne, »warum denn nich jleich?«

      Aber da war der helle Kasten des Autos schon fünfzig Schritt weit und ließ wieder froh und gellend seine Hupe tönen. Die Menschen zerstreuten sich langsam und unschlüssig, und nur der Briefträger machte ganz schnell, daß er nach dem Postamt herunter kam, denn er hatte sich schon verspätet.

      Emil Kubinke ging zum Laden zurück.

      »Na, sein Se doch nich so stolz«, sagte das Mädchen, das bis dahin scheinbar nach einer Entgegnung gesucht hatte, um sie der anderen, die doch schon längst in irgendeinem Laden verschwunden war, nachbrüllen zu können.

      »Ach, – Sie sind es, Fräulein Hedwig«, meinte Emil Kubinke, und er wurde schon wieder rot, aber nicht mehr so sehr wie heute mittag, »ich habe Sie erst gar nicht erkannt.«

      »Na, wie jefällt es Ihnen denn hier bei uns?« fragte Hedwig mütterlich besorgt.

      »Soweit ganz gut; aber man darf ja nach einem Tag noch nichts sagen.«

       »Na, können Se denn so weg – während de Geschäftszeit?« fragte Hedwig nicht nur mehr mütterlich, sondern schon mit persönlicher Anteilnahme.

      »Eijentlich nich, ich hab mir bloß was geholt. Der Chef is nich da, der ist heute nachmittag Rechnungen einkassieren gegangen«, versetzte Emil Kubinke ganz harmlos.

      »Au Backe!« sagte Hedwig, denn sie war nicht umsonst seit einem Jahr in dem Haus, um nicht alle Geheimnisse seiner Bewohner bis in die letzten Ecken und Winkel zu kennen. »Au Backe!« sagte Hedwig, zwinkerte mit den Augen und puffte Emil vertraulich in die Seiten. »Des sind aber scheene Rechnungen!«

      Jetzt war Emil ganz rot geworden. »Ich weiß nich«, stotterte er.

      »Ach, Sie werden schon wissen«, rief Hedwig und flitzte in den Hausgang, die Treppe hinunter, daß die Röcke nur so flogen. Und Emil Kubinke blieb einen Augenblick stehen und sah ihr nach, sah den weißen Hals, die Breite der Schultern und das Gliederspiel unter der prallen Bluse und den dünnen Röcken; und ohne daß er sich dessen bewußt wurde, streichelte das doch sehr angenehm seine Sinne. Und als er sich abwandte, da sagte er plötzlich halblaut, – es entfuhr ihm so, – die Worte des Herrn Tesch vor sich hin:

      »Es sind wirklich sehr nette Mädchen hier im Haus.«

      Und nur mühselig und unfroh kehrte Emil Kubinke in den Laden zurück, und der Anblick Hedwigs, wie sie da mit ihren Schuhen die Stufen herunterklapperte, stand immer noch vor ihm, während er doch schon wieder ganz automatisch dem letzten Kunden mit dem Messer über die dicke Schwarte fuhr. Und als auch der verschwunden war, als alles noch gesäubert und an seinen Platz gebracht war, und Herr Tesch gähnte und sich reckte und sagte, daß er müde wäre und nach oben ginge, da vermochte Emil Kubinke es doch noch nicht über sich zu gewinnen, mit hinaufzugehen. Er hatte große Sehnsucht bekommen, die weiche Luft der Abenteuer, von der er eben nur leise genippt hatte, noch einmal in vollen Zügen einzuschlürfen. Mit kühnem Wurf drapierte er seinen Autoschal um Hals und Schultern, wie der Spanier seinen Mantel, und trat hinaus auf die Straße, das Herz voll von geheimen und schönen Hoffnungen.

      Aber die Straße war seltsam verändert. Sie war ruhig geworden, fast leer und hallend. Das Leben war verebbt; die Bäume dufteten stärker; alle paar Minuten einmal schob sich so eine einsame Bahn mühselig heran; die Läden waren geschlossen; ihr Licht erloschen; und die Häuser wuchsen aus der Dunkelheit, aus dem Schatten der Bäume hervor, oben in die Helle der Bogenlampen hinein. Und aus den kleinen Türchen, hier und da, neben den breiten Torwegen, huschten die Dienstmädchen einzeln, zu zweien, jetzt ohne Körbe und ohne Taschen, mit Schürzen weiß wie Schnee. Aber nicht eine schien auf Emil Kubinke zu achten. Und wenn Emil Kubinke ein paar Schritte irgendeiner folgte, von der er im Schatten der Bäume nur Gang, Haar und Gestalt wahrnahm, dann konnte er versichert sein, daß das Mädchen plötzlich über den Damm ging und drüben aus dem Halblicht eines Hauses hervor irgendein Mann trat, und daß das Mädchen diesen Mann unterfaßte und mit ihm weiterzog; ... schnell weiter, hinaus in die ganz einsamen, letzten Nebenstraßen, dorthin, wo die Häuser aufhörten, dorthin, wo die Lindenwege sich entlangzogen, wo die Anlagen und die jetzt stillen und verödeten Spielplätze der Kinder waren. Und je zierlicher und netter solch ein Mädchen ausschaute, desto roher sahen die Burschen aus, mit denen sie sich trafen, wahre Messerstechergesichter unter ihnen, Kerle mit blauen Mützen und weiten Hosen, mit Stiernacken, ohne Kragen, eine rohe Gleichgültigkeit in den breiten Zügen. Und die Mädchen duckten sich schon beim ersten Gruß ordentlich vor ihren Blicken.

      Ach, Emil Kubinke, der sich immer etwas Besseres dünkte – von jeher – und den man ja auch einst zu Besserem bestimmt hatte, – der kleine, zierliche Emil Kubinke, sehnsüchtig und verletzlich, – er fühlte plötzlich, daß er trotz seines stolzen flatternden Schals hier wenig Glück haben würde. Er sah in der lustigen Quadrille der Jugend die Paare um sich herum wirbeln, aber jede Tänzerin hatte ihren Tänzer, jeder Kavalier seine Dame, und keine schien auf ihn zu warten, – alles ging ohne ihn, keine schien für ihn auch nur eine kurze Tour unbesetzt zu haben. Ja, sie sahen sich kaum nach ihm um und flogen einem anderen Tänzer zu, der schon ihrer harrte.

      Und wie schon die Straße immer leerer

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