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Kubinke. Georg Hermann
Читать онлайн.Название Kubinke
Год выпуска 0
isbn 9783754181584
Автор произведения Georg Hermann
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Wer sollte zweifeln, daß es eine hochherrschaftliche Straße war? Und wahrlich, – wer jetzt die beiden Möbelwagen gesehen hätte, die da im hellen Licht der Sonne, wahre Riesen ihres Geschlechtes und grün wie der schönste Maientag, in allen Fugen knarrend heranschwankten, einer hinter dem andern, ganz langsam und gemächlich, Schritt vor Schritt, und die, als die Stärkeren, der Straßenbahn nicht auswichen, so sehr ihr Führer auch klingeln mochte, die sich von den Schienen nicht rückten und rührten, bevor sie nach dem Hause herüberschwenkten, das der ›gemütliche Schlesier‹ hinter sich gelassen hatte ... wer das gesehen hätte, der hätte auch keinen Augenblick mehr gezweifelt, daß hier vornehme Leute wohnen. Die kleine Fuhre des Herrn Piesecke, des neuen Vizewirts, und seiner Gattin mit den Betten, dem Muschelschrank, dem Spiegel mit dem vergoldeten Papierrahmen, dem Küchenspind und dem Regulator, – die verschwand ordentlich dahinter. Die kam vor den beiden Möbelwagen gar nicht mehr in Betracht; die wurde einfach übersehen. Und Herr und Frau Piesecke hatten ihre paar Sachen schon lange in der Portierloge, als die Ziehleute noch nicht vom Frühstück gekommen waren. Denn da zu ihrer großen Enttäuschung der ›gemütliche Schlesier‹ eben ausgeflogen war, so sahen sie sich leider genötigt, eine Nebenstraße weiter zu gehen, und sie ließen nur einen Mann, klein und breit und dickköpfig wie ein Gnom, bei den Pferden zur Deckung zurück, mit dem Herr Löwenberg eine längere Unterhaltung hatte.
»Wo sind denn die Leute?« sagte Herr Löwenberg und rückte seinen Zylinder ins Genick. Denn seitdem er vor drei Jahren einmal geschäftlich auf vierzehn Tage in London gewesen, trug er nur noch Zylinder.
»Aas!« sagte der Mann und gab, ohne sich stören zu lassen, dem Handpferd einen Knuff in die Weichen, daß der alte Schimmel nur so mit den Hufen gegen die Deichsel ballerte.
»Wo die Leute sind!« rief Herr Löwenberg und zupfte seinen Zylinder tief in die Stirn.
»Hä? Sie missen lauter mit mir reden, ich bin nämlich 'n bißchen taub auf de Ohren«, sagte der Mann und sah Herrn Löwenberg freundlich auf den Mund.
»Wo – die – Leute – sind!?!« brüllte Herr Löwenberg, daß man es bis Schmargendorf hören konnte.
»Ach so, des meinen Se! Wo soll'n se denn sin? Die frihsticken! Sie sind man eben jejangen. Det kann 'ne ganze Weile dauern, bis se wiederkommen«, sagte der Mann und machte sich wieder mit seinem Schimmel zu schaffen, der in einem Anflug von Menschlichkeit seinen Nachbar um jeden Preis vom Futtertrog wegzubeißen versuchte.
Und der Mann sollte recht behalten. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie zurückkehrten.
Herr Löwenberg aber ging indessen immer vor seinen beiden Möbelwagen auf und nieder, damit sie ihm nicht abhanden kämen, und klopfte dazu mit seinem Spazierstock aufs Pflaster. Und er betrachtete nicht ohne Wohlgefallen die helle, lange Straße, die doch ganz etwas anderes war und weit vornehmer als die Neue Roßstraße, in der er bisher gewohnt hatte. Und Frau Betty Löwenberg erschien oben auf dem Balkon, im braunen Pelzhut mit lederfarbenen Rosen, beugte sich über das goldene Gitterchen und schrie herunter:
»Max, sieh doch mal, daß die Ziehleute bald anfangen!'''
Aber Herr Piesecke, der neue Vizewirt, hatte gerade noch Zeit, in Ruhe die roten Läufer bis zum ersten Stock von den Stufen abzurollen und die Ampeln im Vestibül und im Treppenhaus beiseite zu binden, damit sie nicht beschädigt würden – er konnte noch den Torweg recht breit und weit aufsperren, damit auch das Büfett gut durchginge – ehe die Ziehleute so ganz langsam zu zweien und dreien angetrottet kamen.
Dann aber, ehe man es sich versah, ging die rechte Freude los. Alles lief und rief durcheinander.
»Nicht kanten, Willem! Wirste nich kanten, oller Dussel!« »Oogenblick, Ede, ick will mir bloß 'n Gurt unterziehn!« »Na heer mal, nimm mir doch hier mal eener ab.« »Kiek mal, die Mebel sind alle nach Zeichnung!« »Herr Löwenberg, wo soll'n det Spind hin? In'n Keller? Na, det müssen se eenem doch sagen, det det Spinde in'n Keller soll. Wenn't Schweinebraten wär, hätten wer't ja jerochen!«
Hier zogen zwei Riesen langsam und keuchend mit einer schweren eichenen Kredenz ab, und hier ging ein ganz kleiner Kerl mit drei Stühlen und einem Blumentisch in den Torweg, während ihm noch an ein paar Fingern der linken Hand ein Eimer mit Küchengeschirr pendelte, – und er ging mit alledem so ruhig wie ein Saumtier.
Und alles, ein Stück nach dem anderen, kam auf die Straße und durfte sich sonnen: das Schlafzimmer im Biedermeierstil, in hell Ahorn, mit seinen Betten mit den schwarzen Kränzchen am Kopfende und den schwarzen Köpfchen am Fußende – es war ein Jüngling mit Vatermördern und eine Dame mit Schute und Löckchen – das Schlafzimmer kam zuerst. Und der Toilettentisch mit violetter Seide bespannt kam. Und der Rahmen mit dem gemalten Gobelin, mit den beiden Amoretten, die selig in Wolken schwärmten, er, der sonst erst beide Betten zu einer schönen Einheit zusammenfügte, er trennte sich auch hier nicht von ihnen. Und dann kamen erst die einzelnen Söller, Zinnen, Forts und Türme des Büfetts – das in seiner Vollendung wie eine richtige Ritterburg aussah, – ehe der mächtige Leib, das Hauptkastell, sich aus dem schweren Bauch der Riesenwagen nachschob. Das romanische Herrenzimmer trottete gewichtig hinterher, mit seiner Bibliothek und seiner Zeitschriftentruhe, die zugleich als Bank diente – und die wohl vor allem als Bank diente. Denn niemals in seinem sechsunddreißigjährigen Leben hatte Herr Max Löwenberg bisher eine Zeitschrift gehalten. Der Kirschholz-Salon im Jugendstil kam fürder hinterher getänzelt, in die Sonne hinaus, mit seinem Sofaumbau und dem Eckarrangement. Fein, zierlich und gebrechlich und im ganz modernen Geschmack. Das heißt – als Herr Löwenberg ihn vor fünf Jahren kaufte, hatte der Möbelhändler geschworen, daß es reinster Jugendstil wäre, während alle seine Freunde, – die von der Branche etwas verstanden – später behaupteten, daß es weit eher Sezession als Jugendstil sei.
Und all das gruppierte sich so schön blank auf dem Bürgersteig, und wenn ein Stück nach oben kam, so spien die doppelt geöffneten Tore der Möbelwagen dafür gleich vier neue aus. Und Herr Max Löwenberg ging zwischen all seinen Sachen auf und nieder, schob den Zylinder in die Stirn, ließ den Stock spielen und er sagte sich, daß diese Möbel in der jetzigen Wohnung sich doch ganz anders machen würden, als bei den schiefen Zimmern in der Neuen Roßstraße, wo sie wirklich nicht recht zur Geltung gekommen waren.
Immer mehr und mehr ergoß sich aus dem Wagen; Schränke und Küchenmöbel; und die filzbezogenen Etageren mit ihren Puscheln und Bällchen aus dem Damenzimmer schlossen mit den Gardinenstangen enge Freundschaft. Das ganze Trottoir war bald voll von den Herrlichkeiten, und die Leute, die vorübergingen, blieben einen Augenblick stehen, betrachteten das Schlafzimmer im Biedermeier- und den Salon im Jugendstil, – der eigentlich Sezession war, – und gingen dann mit der Überzeugung weiter, daß hier hochherrschaftliche Mieter einzögen. Und dieser Gebirgszug von Möbeln, der sich aus dem Wagen herausschob, verdeckte beinahe die kleine Ritze von Friseurladen; wahrlich, wenn nicht über der Tür das blanke Messingbecken, das im Wind leicht schwankte, in der Sonne geblitzt und durch sein helles Flackern auf sich aufmerksam gemacht hätte, niemand hätte auf den Friseurladen geachtet. Und dabei war es doch ein richtiger moderner Laden, mit ausgebauten Auslagen, – nur Glas und Messing von oben bis unten – und mit einer hohen Glastür; und des Abends war er ganz strahlend hell von den drei Grätzinkugeln im Fenster. Kein Hoffriseur hätte überhaupt früher ein so schönes Schaufenster gehabt wie Herr Ziedorn.
Zwei Damen standen da im Fenster, nicht ganz etwa, sondern nur halb, nicht Fleisch, sondern Wachs, mit geschweiften Augenbrauen und langen schwarzen Seidenwimpern über den himmelblauen Glasaugen, und lächelten. Eine Rote und eine Schwarze. Und die Rote hatte um die stattliche Büste einen violetten Schal geknüpft und die Schwarze einen gelben. Man sah sofort, daß sie in Balltoilette waren, man brauchte gar nicht erst auf die Zelluloidkämme mit den blitzenden Glassteinen zu achten, die sie im Haar trugen, und auf die goldenen, leicht angegrünten Herzchen und Kreuzchen, die um ihren Hals hingen. Nein, diese Frisuren an sich waren schon die richtigen Ballfrisuren. In der Hinterpartie neigten sie mehr der griechischen Form zu (welches allerdings nicht jeder Dame steht!), während vorn Naturlocken rechts und links zum Hals herabnickten. Sie waren schick und leger zugleich, und sie bewiesen nur von