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jeden Kalibers neben falschen grauen, braunen und schwarzen Zöpfen, neben Paketen mit Haarnadeln und Bündchen mit ledernen Lockenwickeln. Seifen lagen da, feierlich in kleinen, blumengeschmückten Kartons zu dreien und dreien; und den Abschluß bildeten Plakate aus gepreßten Oblaten, auf denen junge Mädchen ihren Kopf in Rosen bargen, oder Herren mit Monokel die Bartbinde umtaten. Aber am zahlreichsten waren doch die Flaschen mit dem Haaröl »Ziedornin«. Da gab es ganz große, mittlere, kleine und ganz kleine – und Probeflaschen. Gleich in ganzen Schwadronen waren sie angerückt, und es war da ein großer Bogen, der mit Anpreisungen und Urteilen über »Ziedornin« bedruckt war. Wenn man sie las, war man überzeugt, daß im »Ziedornin« geradezu geheimnisvolle Urkräfte walteten, und daß es der Stoff sei, nach dem für die Pflege des Haares und für die Förderung und Wiedererweckung des Haarwuchses man seit zwei Jahrtausenden vergeblich gesucht hatte. Wo niemals bisher sich Haare befunden hatten, erzeugte sie »Ziedornin« binnen kurzem in einer geradezu traumhaft kühnen Üppigkeit. Man konnte natürlich auch zuerst eine Probeflasche nehmen; – aber bei einer großen Flasche zu fünf Mark, die auch im Einkauf sich viel günstiger stellte, wäre der Erfolg so gut wie besiegelt. Daß hier Maniküre betrieben wurde und Shampooing, und daß Herr Edmund Ziedorn geprüfter Heilgehilfe war, Rennwetten vermittelte und noch einige Fernsprechnebenanschlüsse zu vergeben hatte, kam gegenüber der epochalen Wirkung des »Ziedornins« kaum mehr in Betracht.

      Und als Emil Kubinke nun mit seinem grauen Köfferchen, das mit dickem, handfestem Bindfaden verschnürt war und das halb von der flatternden Pelerine verdeckt war, langsam über den Damm kam, da sah er erst den Laden kaum vor all den schönen Dingen des Herrn Löwenberg, dann aber stellte er sich einen Augenblick vor das Schaufenster und betrachtete es mit Kennermiene. Die Dekoration sah gut aus! Das war doch etwas anderes als bei seinem alten Chef die paar Schminkdosen, auf denen der Staub so hoch lag, daß man überhaupt die Firmen nicht mehr lesen konnte. Der Laden da war auch das reine Erbbegräbnis gewesen, keine Katze kam dahin; und die paar Abonnenten ließen sich noch zehnmal mahnen, ehe sie ihre Karten bezahlten. Das Geschäft hier, in der Gegend – und so weit man sehen konnte, keine Konkurrenz – das mußte ja eine Goldgrube sein.

      Und dann trat Emil Kubinke klein und bescheiden mit seiner grauen Pelerine und seinem grauen, alten, bindfadenumschnürten Köfferchen in den Laden, säuberte umständlich an der Fußdecke seine Stiefel und zog schüchtern seinen weichen Hut.

      »Ist der Chef da?« fragte er halblaut.

      Aber der junge Mann, der gerade mit Haarschnitt beschäftigt war und einem Kunden – der im Frisiermantel wie ein großer Schaumkloß, auf dem plötzlich ein Menschenkopf thront, vor ihm saß, – soeben mit zartem Mundspitzen einige zurückgebliebene Härchen aus den Ohren in den Nacken und aus dem Nacken in die Ohren blies, ... der neue Kollege sah kaum auf.

      »Der Chef ist gegenwärtig nicht momentan«, sagte er und begann aus dem Schaumkloß eine menschliche Figur auszuwickeln, »aber er muß jeden Augenblick zurückkommen.«

      Und während der neue Kollege nun mit der Linken noch den Frisiermantel ausstäubte und mit der Rechten schon der eben entwickelten menschlichen Figur etwas Seifenschaum gegen die Wangen spritzte, – denn er wollte nur an den Schläfen noch ausrasieren, – stand Emil Kubinke ganz klein, reglos und bescheiden und ließ seine Augen wandern. Hell war es. Sehen konnte man, und – oh, da waren ja richtige Marmorbecken – gleich mit warmem und kaltem Wasser, und die Spiegel hatten Goldleisten. Das Alphabet war dick gefüllt mit Abonnementskarten, und sogar unter dem ›Q‹ steckten etwelche. Die Spritzflakons und die Puderdosen waren alle aus Nickel, und die Schaumbecken mit ihren Zahlen gingen in die Hundert. Von den Tuben mit Bartwichse, von dem flüssigen Heftpflaster und den Mundpillen schien man sogar hier auch etwas zu verkaufen, denn die Kartons, an denen sie aufgereiht, waren schon halb leer. Aber Emil Kubinke war zu sehr Fachmann, um sich durch Äußerlichkeiten blenden zu lassen. Und richtig, – hinten in dem Verschlag, in dem die Streichriemen hingen, konnte man sich ja kaum umdrehen, und das Handtuch, das da hervorlugte, – das zum Händetrocknen für die Gehilfen, – wartete sicherlich schon viel zu lange auf die Wäsche. Endlich war es eben überall gleich – im Geheimratsviertel genauso wie in der Brunnenstraße.

      Aber während Emil Kubinke noch so seine Beobachtungen machte und seine Schlüsse zog, und während er nur so mit einem Ohr hinhörte, wie der Kollege den Kunden fragte, ob »Spritzen angenehm« wäre oder »Puder gefällig«, ob »Öl, Crême oder Stein« verlangt würde – währenddessen kam Herr Ziedorn.

      »Sie, Meister«, rief der Kunde, der eben nach dem langen Sitzen hin und her trampelte, um wieder in den richtigen Gebrauch seiner Gliedmaßen zu kommen, – »Sie! Mit Ihrem verfluchten ›Ziedornin‹ haben Sie mich ja nett reingelegt. Sehen Se mal hier, – die Haare werden mir ja janz jrau danach!«

      »Das muß in Ihrer Familie liegen, Herr Markowski, und außerdem finden Sie ja bereits frühzeitiges Ergrauen bis in das höchste Alter«, versetzte der Chef mit höflicher Bestimmtheit. »Bei meinem ›Ziedornin‹ ist eine derartige Nebenwirkung noch niemals beobachtet worden.«

       Aber Herr Markowski war gekränkt. Auf seine Familie ließ er nun ein für alle Male nichts kommen. »Meine Großmutter hat mit fünfundachtzig Jahren noch kein einziges graues Haar gehabt«, sagte er, »und mein Vater mit siebenundsechzig auch nicht.«

      Aber Herr Markowski war trotzdem ein durchaus nobler Charakter, und er ließ seinen Unmut über die Mißwirkung des »Ziedornins« keineswegs etwa einen Unschuldigen entgelten. Und Emil Kubinke sah deutlich, wie Herr Markowski dem neuen Kollegen, als jener ihm in den Mantel half, mit lässiger Geste ein Geldstück in die Hand gleiten ließ.

      ›Die Gegend ist wirklich recht gut‹, – sagte sich Emil Kubinke. Er stand immer noch, trat von einem Fuß auf den andern, und sein Köfferchen war ihm recht schwer.

      Nachdem die Tür hinter Herrn Markowski geklappt hatte, fuhr Herr Ziedorn, ohne auf Emil Kubinke zu achten, im Laden auf und nieder. Er war mißgelaunt. Nichts stand da, wo es stehen sollte, und dieser Mensch hatte ihn sogar vor seinem eigenen Personal blamiert. Endlich schien er des harrenden jungen Mannes ansichtig zu werden. »Ah«, sagte er mit der Miene des vielbeschäftigten Leiters eines Welthauses, als ob er sich nur ganz dunkel der Existenz des anderen erinnerte, »sind Sie nicht der neue Gehilfe? Wie heißen Sie doch gleich?«

      Emil Kubinke stotterte seinen Namen.

      »Nun«, sagte der Chef begütigend, »lejen Se sich man vor allem ordentlich bei's Damenfrisieren und bei de Haararbeiten dahinter. Dann können Se bei mir 'ne Lebensstellung haben.« Und dann wandte Herr Ziedorn seinen markanten Männerkopf dem andern Gehilfen zu. »Herr Tesch, Sie werden sich mit Herrn Kubinke, der Ihr neuer Kollege ist, zu vertragen haben«, sagte er. »Vielleicht bringen Sie ihn erst nach oben; kommen Sie aber bald wieder, – und dann zeigen Sie ihm hier alles.«

       Und Emil Kubinke trottete mit seinem Köfferchen hinterher durch einen langen Gang, der von zwei, drei durchbrochenen Türen sein höchst kümmerliches Licht bekam und so eng mit Kommoden, Körben und Schränken verstellt war, daß Emil Kubinke sich mit seiner Pelerine und seinem Köfferchen kaum durchwinden konnte. Die Luft mit ihrem Gemisch von Küchengerüchen und dem multrigen, feuchten Dunst der Keller- und Tiefparterrewohnungen war Emil Kubinke nicht fremd und kaum noch unangenehm. Er hatte durch Jahre zuviel in den gleichen, ebenerdigen Zimmern geschlafen, um vor ihr zurückzuschrecken.

      »Früher haben wir hier gewohnt«, flüsterte Herr Tesch und zeigte auf eine Tür, »aber seitdem der Chef sein Zeug janz alleine braut, da braucht er die Zimmer wieder. Und wissen Se, oben is es auch janz jut. Da kann man machen, was man will, – da fragt keen Mensch nach einem.«

      »Wie is denn der Chef?« fragte Emil Kubinke, während er langsam die engen Windungen der Korkenziehertreppe emporstieg und nur einen Augenblick auf einer der kleinen Inseln hielt, die sich vor den Küchentüren dehnte und die noch einmal zum Überfluß jedes Stockwerk unterbrachen.

      »Der Olle is soweit janz nett«, meinte der Kollege. Aber er verschwieg dabei, daß Herr Ziedorn Ostpreuße war und daß dieser Charakterfehler sich eben nie wieder gut machen ließ.

      »Ja, mein voriger Chef war auch ein janz anständiger Mann«, meinte Emil Kubinke.

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