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... währenddessen ... ja ... da turnte oben bei Herrn Max Löwenberg der Tapezierer auf der Leiter herum und machte die kühnsten Draperien, Überwürfe und Raffungen. Er schwelgte ordentlich in Stoff und Falten, und er zog unermüdlich aus seinem Mund kleine blaue Nägel hervor, mit denen er den flüchtigen Gebilden seiner kunstfertigen Hand Dauer verlieh. Und auf einer anderen Stehleiter, hinter dem Tapezierer, voltigierte der Monteur mit klirrenden Kristallkronen; – während aus der Küche die Hammerschläge der Arbeiter kamen, die den Gasometer setzten, und aus dem Schlafzimmer das Lötfeuer der Wasserarbeiter, die den Waschtisch anschlossen, sein Brodeln und seine Zischlaute durch die ganze Wohnung schickte. Die schnell herbeigezogene Frau Piesecke rutschte zwischen all denen auf den Knien herum und scheuerte die Fußböden. Frau Löwenberg aber briet mitten auf dem Eßtisch, auf einem Patentkocher, für ihren Mann Setzeier; – die einzige lebende Erinnerung, die ihr aus dem Kochkursus in der Pension von Fräulein Beate Bamberger geblieben war. Denn Herr Löwenberg mußte sich unbedingt stärken. Seit drei Stunden ging er nämlich von einem Zimmer ins andere, stand den Arbeitern im Wege, stolperte über Frau Piesecke, war überall da, wo man ihn nicht brauchen konnte, und erklärte unausgesetzt den Leuten, wie sie es zu machen hätten.

      Man wird sich vielleicht wundern, daß so reiche Leute wie Löwenbergs kein Dienstmädchen haben. Aber die alte Köchin war gerade während des Umzugs zu ihrer todkranken Mutter gerufen worden, die, – um der Wahrheit die Ehre zu geben, – nicht nur todkrank, sondern schon seit vierzehn Jahren tot war, aber trotzdem jedes Jahr noch zweimal von heftigen und geradezu lebensvernichtenden Leibesübeln befallen wurde, die die alte Frau doch immer wieder mit einer bewunderungswürdigen Zähigkeit überstand. Und das Hausmädchen hatte Frau Löwenberg Knall und Fall entlassen müssen, weil sie sich nicht entblödet hatte, ihrem Gemahl nachzustellen. Das neue Mädchen aber kam vor heute abend nicht. Und so erzählte Frau Löwenberg nun schon seit fünf Tagen jedem, der es hören und nicht hören wollte, daß sie ohne Mädchen wie im Himmel wäre. In Wahrheit aber verstand Frau Löwenberg von der Wirtschaft so viel wie ein Kuhkalb von der Trigonometrie und war vollkommen rat- und hilflos, war einem Schiff mit gebrochenem Steuer im wilden Sturm vergleichbar. Wirklich, Frau Betty Löwenberg war in allen Dingen des Lebens von einer nicht mehr rührenden, sondern schon mehr beängstigenden Ahnungslosigkeit. Ja, wenn man Frau Betty Löwenberg länger kannte, so mußte man sich immer wieder und wieder fragen, was sie denn überhaupt in den siebenundzwanzig Jahren ihrer bewußten Anwesenheit auf der Weltenbühne bisher gelernt hatte!

      Und die Dunkelheit brach herein, eine warme, milde Dunkelheit. Oben lag die Nacht mit weichem Dunst und matten, flimmernden Sternen; und unten gewannen die elektrischen Bogenlampen die Macht über die Straße und überglänzten die Dame mit dem Merkurstab, die über dem Portal saß, und zeichneten die Äste und Zweige der Bäume auf dem Bürgersteig ab. Und in den Staub von all den Straßenbahnen und von den rollenden Wagen mischte sich doch etwas von dem frischen, bitteren Geruch der steigenden Säfte in den Ulmen und Linden. So belebt aber war die Straße den ganzen Tag nicht gewesen. Die Bahnen, die oft fast leer entlanggepoltert waren, waren jetzt ganz schwarz von Menschen. Auf den Plattformen standen sie nur so gekeilt. Und wenn ehedem in langen Pausen Bahn auf Bahn gefolgt war, so schienen jetzt ihre erhellten Kästen gleich zu vieren, zu sechsen hintereinander heranzurollen; und leere Bauwagen klapperten mit johlenden Kutschern nebenher; und Droschken, die für die Nacht Schicht machten, trotteten mit müden Pferdchen ganz langsam nach Haus; und die anderen, die jetzt erst begannen, kamen ihnen entgegen. Und die Autoführer erspähten jede Lücke, durch die sie gerade ihre knatternden Karosserien hindurchwinden konnten, um dann für zweihundert Schritt freie Fahrt zu bekommen. Und alles, fast alles floß jetzt heraus: die Mädchen kamen zu zweien und dreien von den Geschäften, oder sie gingen einzeln in wippenden Schritten, mit dem neuen Strohhut und der weißen Federboa. Nicht gar zu schnell. Wirklich – man sah ihnen an, daß ihnen nichts daran lag, so bald nach Hause zu kommen.

      Ja, – es war so der erste Tag, an dem man den Frühling fühlte. Ja, – es war so ein Tag, an dem alle Mädchen und Frauen hübsch aussahen. Es schwebte der prickelnde Hauch von Abenteuern in der Luft, und erregte die Seelen, daß sie ihre Wünsche entflattern ließen gleich hungrigen Vögeln, die nach Nahrung suchen. Und selbst die würdigen Eheherren, die in der Bahn saßen, konnten ihre Blicke nicht von der schönen Nachbarin losreißen, und immer wieder suchten ihre Augen über die Zeitung fort die Augen der Nachbarin. Und sie fuhren ein, zwei, drei Haltestellen weiter, ehe sie sich ganz mühselig hochrissen und herauswankten. Ja, sie schauten noch wie festgewurzelt der Bahn nach, wenn sie kaum einen Kopf mehr darin unterscheiden konnten. Die jungen Herren aber, die lustigen Finken, die Junggesellen, die dachten an das Gehalt vom Ultimo und sprachen gleich von Abendessen und Ins-Restaurant-gehen, und sie taten, als ob es der einzige Wunsch ihres Lebens wäre, unter recht vielen Menschen zu sein, während sie doch mit allen Fasern sich danach sehnten, mit der neuen Freundin allein und ganz allein zu bleiben. Ja selbst der Gymnasiast rückte seinen Kneifer zurecht, und er faßte Mut, und er fragte die ihm unbekannte Trägerin jenes braunen Zopfes mit der roten Schleife, jene Dame, die er nun schon seit bald drei Wochen in unsterblichen, paarweis gereimten Trochäen feierte, ob er ihr vielleicht das Paketchen abnehmen dürfte, da zwischen so zarten Händen und einer so schweren Last ein zu großer Widerspruch bestehe.

      Und durch all das Getümmel wutschen die Dienstmädchen mit Körben, Netzen und Taschen; etwelche mit Häubchen, doch meist barhaupt mit ihren vollen Frisuren. Alle in Waschkleidern, mit bloßen Armen und den Hals frei. Blonde, braune, schwarze und rote; kleine trendelnde, rund wie Borsdorfer Äpfel, und andere breit, groß, kräftig, auf zierlichen Halbschuhen. Alles an ihnen ist Hast und Eile und Frische und Lachen. Jetzt haben wir natürlich keine Zeit, sagen ihre Blicke, jetzt müssen wir zum Kolonialwarenhändler und zum Schlächter und in den Grünkramladen, jetzt müssen wir noch Soda und Seife holen und Öl und Suppengrünes ... aber nachher ..., wenn wir abgewaschen haben, um halbzehn, dann kommen wir noch einmal. Und dann – wenn ihr noch da seid – drüben unterm Torweg oder an der Ecke, in den dunklen Nebenstraßen, – dann werden wir ja sehen, ob ihr der Rechte für uns seid.

      Und als Emil Kubinke kurz vor Ladenschluß auf die Straße hinaustrat – denn er wollte noch schnell drüben beim Posamentier einen Autoschal kaufen, weil er doch auf die Kundschaft einen recht guten Eindruck machen mußte, und Herr Tesch hatte ihm versichert, daß er ruhig gehen könnte, da keine Rede davon sei, daß der Chef vor Mitternacht wiederkäme – als Emil Kubinke also auf die Straße trat, da wogte und brodelte noch alles, und er war ganz befangen von all dem Lärmen und dem Leben und dem Hin und Her von Blicken und Worten; und die Luft der Abenteuer machte sein Blut singen; und ganz gegen seine Art – denn er vergab sich nicht gern etwas – begann er sogar mit melodischen Trillern das Viljalied aus der ›Lustigen Witwe‹ zu pfeifen. Aber wie er dann zurückkehrte, mit den flatternden grünen Enden seines neuen Autoschals, da war ihm doch sehr unternehmungslustig zu Sinn, – und wenn er noch heute mittag ein kleines, verschüchtertes Kerlchen gewesen war, das sich seiner abgeschabten Armseligkeit schämte, so fühlte er jetzt seine ganze Person durch diesen neuen Halsschmuck gehoben und verziert. Und ehe er wieder in den Laden zurückging, da stellte er sich noch einen Augenblick bei dem großen gelben Automobil hin, das da wie festgerammt stand, knatterte und ballerte, fauchte und spuckte, ruckte und ratterte, Dampf ließ, daß die Benzinwolken flogen, aber nicht von der Stelle kam. Der Chauffeur sah das eine Weile mit an und kletterte dann von seinem Sitz herunter, kniete sich vorn vor den Kasten und drehte an irgendwelchen Schrauben und Kurbeln, die zitterten und zischten, ohne daß der Chauffeur doch die geheime Ursache des plötzlichen Versagens ergründen konnte. Immer mehr Menschen sammelten sich um den gelben Kasten und betrachteten ihn nachdenklich, mit einem Gemisch von Interesse und Neugier, Schadenfreude und Achtung.

      »Sie müssen ihm neues Öl geben, die Welle ist janz heiß gelaufen«, meinte ein Monteur im blauen Kittel.

      Ein Arbeiter mit der Blechkanne trat sehr bedächtig an das gelbe zischende Wesen heran und legte ihm sachverständig und väterlich die Hand auf den Kopf.

      »Juten Tag«, sagte er freundlich, »dir is wohl schlecht jeworden?«

      Und dann trat der Mann in den Kreis zurück, als ob damit seine Sendung erfüllt wäre.

      Aber der Chauffeur drehte immer noch, ohne ein Wort, an einer Kurbel und das Auto ratterte

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