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reiben und noch nicht recht wissen, ob sie lecken oder beißen sollen.

       »Mein vorjer Chef is alle jeworden. Was er nu macht, weeß ich ooch nich. Es war da nischt los.«

      Herr Tesch war zufrieden. Der da würde nicht zuerst beißen.

      Ein blonder Kopf kam neugierig durch eine Türspalte.

      »Na, Fräulein Hedwig, was machen Se denn? Sie haben's jut. Den janzen Tag über können Se in de Küche sein.«

      »Du ahnst es nicht«, versetzte Hedwig. Und jetzt schob sich auch ein Arm und ein Teil einer fülligen Barchentbluse durch die Türspalte.

      »Letzten Sonntag haben Se doch wieder mit Ihrem Schlächter bis zwei Uhr im Hausgang jestanden. Haben Se mich nich jesehn? Nee? Aber ick Sie. Nich zu knapp!«

      »Is jrade was Scheenes«, versetzte Hedwig und zeigte Herrn Tesch wie ein ungezogenes Kind die Zunge zwischen den weißen Zähnen.

      »Sehen Se – und mit mir jehen Se nie aus!«

      »Ach wat, mit Ihnen verschlag ick ma ja bloß de Kunden.«

      Emil stand abseits mit seinem Köfferchen, und er war rot geworden. Denn dem anderen Geschlecht gegenüber, vor allem wenn es jung, frisch und hübsch war – und das war Hedwig, Donnerwetter noch einmal! – dem anderen Geschlecht gegenüber war er noch sehr schüchtern.

      »Is das vielleicht Ihr neuer Kollege? Ja? Na sehen Se, mit den könnt ick zum Beispiel jleich jehn! Der jefällt ma viel besser wie Sie. For schwarze Männer schwärm ick!«

      »Sie wissen ja noch gar nicht, ob ich mit Ihnen gehen will«, versetzte Emil, und er war selbst erstaunt, daß er das herausbrachte. Ganz heiß wurde ihm dabei.

      »Na denn nich! Meinen Sie vielleicht, mir macht das was? Ick brauch bloß so zu machen, denn hab ick an jedem Finger zehne!«

      Drinnen in der Küche hörte man rumpeln, und Hedwig zog schnell ihren Kopf wieder zurück.

       »Adje, Herr Tesch«, sagte sie noch und winkte mit den Augen, während sich schon – als ob ein Vorhang darüber fiele – die Tür leise zuzog.

      »'n nettes Mädchen«, sagte der keineswegs gekränkte Herr Tesch befriedigt und belehrend. »Es sind überhaupt sehr nette Mädchen hier im Haus!«

      Es ging immer weiter die schmale Wendeltreppe hinauf.

      »Wie hoch geht denn das noch?« fragte Emil Kubinke.

      »Noch immer höcher! Noch immer höcher«, sagte Herr Tesch. »Oben bein Vorboden, jleich neben de Rollstube wohnen wir. Und jleich neben 'n Dienstbotenbad. Wissen Se, so in de Burschenstube. Ach Jott, de Luft is janz jut da oben, und jetzt is auch janz nett. Aber im Winter – da hätten Se ma hier sein sollen! Da war det so kalt, sag ick Ihnen, daß ein' ordentlich de Bettdecke an' Mund anjefroren is.«

      Emil Kubinke kannte das.

      »Se können ja auch wo anders hinziehen. Aber der Olle sieht et nich jern. Denn ihn kostet doch die Stube nischt, die hat ihm der Wirt noch so for 20 Mark das Jahr jejeben. Und uns rechnet er sechs Mark im Monat.«

      Aber Emil Kubinke war ganz zufrieden. Er fand einen großen, sauberen, weißgetünchten Raum mit einer schrägen Wand mit zwei Betten, zwei Schränken, zwei eisernen Waschtischen und kleinen Spiegeln darüber. Und der Kollege hatte sich alle möglichen Bilder aus alten Witzblättern ausgeschnitten und mit Reißnägeln an die Wand gepinnt. Sehr nett war es und nicht unfreundlich. Durch das schräge Dachfenster sah man ein Stück blauen Himmels, das von dreißig schwarzen Strichen der Telephondrähte mitten durchgeschnitten wurde. Und wenn Emil Kubinke sich auf die Fußspitzen stellte, dann sah er etwas von der seltsamen Welt der Höhe, von den schweren Würfeln der Schornsteine, von den schwarzen Schellenbäumen der Telephone mit ihren weißen Glöckchen, von den schrägen, braunroten Stirnwänden der Dächer, von den schweren blechernen Rinnen, von den weiten, kiesbestreuten Dachflächen, auf denen allerhand welkes, hartes, vorjähriges Kraut im Wind zitterte ... Hinten Schornsteine, wieder Schornsteine, Dächer, ein Türmchen, ein Giebel, irgendeine stehende Figur in der Sonne, riesig, grau und splitternackt, mit einem großen goldenen Reifen in einsamer Höhe. Drüben badeten Spatzen in einer verstopften Dachrinne. Drei waren eben dabei, und vier andere sahen zu und warteten, daß sie drankämen. Und zwischen zwei Schornsteinen hüpfte ein großer schwarzer Vogel – ein Tier wie eine Drossel – hin und her.

      Wirklich – das ist gar nicht so übel, sagte sich Emil Kubinke.

      »Aber Herr Kolleje, nu machen Se man schon«, rief Herr Tesch. »Lejen Se ihre paar Lumpen man schnell da rein. Wir können nich so lange bleiben. Der Olle jeht nämlich heute nachmittag aus.« Er sah auf das Bett. » Eine Decke?« meinte er. »Nee, des is jetzt noch zu wenig! Da wer' ick doch jleich der Frau sagen, daß se noch eene mit rauf gibt.«

      Und Emil Kubinke hatte seine paar Sachen, seinen Sonntagsanzug, seine Hemden und was er sonst noch an Weißzeug besaß, seine Strümpfe und seine paar Bücher soeben untergebracht, und er hatte einen Blick auf seine Rasierbestecke geworfen, ob sie den Transport auch gut überstanden hätten, – als zur gleichen Zeit einige Treppen tiefer in Herrn Löwenbergs neuer Wohnung die Ziehleute ihre Arbeit vollendet hatten, und nun alle vierzehn wie die Bäume, still, schwer und groß, um Herrn Max Löwenberg herumstanden, der trotz seines Londoner Zylinders bedenklich schmal und klein vor diesen Enakssöhnen erschien. Der Sprecher, der Dicke in der blauen Schürze mit dem gestickten Vergißmeinnichtkranz und der Inschrift ›Immer feste!‹, der den Transport des Flügels mit der Taktik eines Feldherrn überwacht hatte, mit ›Nich kanten, links rüber! rechts rüber! hupp! hupp! hupp! nachlassen, Weber!‹ ... der Dicke in der Schürze hielt Herrn Löwenberg einen längeren Vortrag über die Schwierigkeit gerade dieses Umzugs. Sie hätten vorjestern einen Justizrat mit zwei Klaviere jezogen, ... aber det wäre ja det reine Kinderspiel jejen Ihnen jewesen. Daß sie den Flüjel bei die modernen Treppen überhaupt raufjekriegt hätten, wäre een wahres Wunder. Und bei dem Büfett, da hätten se fest und sicher jejlaubt, schon jleich wie se't jesehn hätten, – alle hätten se jejlaubt, daß se 's auseinandersäjen müßten. Ein anderer Spediteur hätte des jarnich raufjebracht. Und er hoffe deswejen, daß bei dem Trinkjeld das berücksichtigt würde.

      Und als Herr Löwenberg zwei blanke Goldstücke dem Dicken mit der blauen Schürze in die schweißige Hand drückte – und nun Wunder dachte, was er getan hatte – da rückte sich keiner von den vierzehn vom Fleck, und sie blieben noch alle stehen, wie die Bäume. Der Sprecher aber sah ohne Groll, nur mit stillem Vorwurf Herrn Max Löwenberg mit großen Augen von der Seite an.

      »So'n Fuffzijer for jeden«, sagte er mit einer Bescheidenheit, die keinen Widerspruch duldete, »so'n Fuffziger for 'ne kleene Weiße könnte doch noch abfallen. Die Leute haben sehr jearbeitet.«

      Und als sie auch den noch herausgeschunden hatten, da reichte der Sprecher zuerst Herrn Löwenberg die Hand und wünschte viel Glück zur neuen Wohnung. Und alle vierzehn folgten seinem Muster, denn sie wußten doch, was feine Lebensart war. Dann verließen sie unter Donnergepolter die Zimmer, in denen es noch aussah wie nach einem Pogrom. Und ein kleiner breiter Kerl mit einer Narbe über dem linken Auge – der Don Juan seines Standes – faßte noch ganz schnell draußen Frau Löwenberg mit dem rechten Arm fest um die Taille und fragte: »Na Madamken, mal scherbeln?« Und dann torkelte auch er zur Tür hinaus.

      Und das kam so plötzlich, daß Frau Löwenberg ganz vergaß, nach ihrem Mann zu rufen.

      Unten aber weihte Herr Tesch Emil Kubinke in die Mysterien des Betriebes ein. Denn trotzdem jede Barbierstube genau wie die andere aussieht, und trotzdem man in jeder Barbierstube ebenso gut oder ebenso schlecht sich aufgehoben glaubt wie in der anderen – so herrschen doch in jeder geheimnisvolle Regeln, nach der die Kunden bedient werden. Und was uns als plötzliche Eingebung des Augenblicks erscheint, das ist, wie das Impromptu des Schauspielers, meist wohl überlegt und meist mühselig einstudiert. Und gar in der Behandlung und Unterbringung der Materialien und Ingredienzien, da folgt jede Barbierstube ihrer geheiligten Überlieferung, die kein Neuling kennen kann. In keinem monarchisch geleiteten Staatswesen ist so sehr der Wille des Staatsoberhauptes

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