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Jahr gelernt und war nicht schon seit drei Jahren junger Mann, um nicht schnell zu sehen, worauf es ankam. Er konnte alles. Er hatte sogar schon zwei Kurse für Damenfrisieren genommen. In seinem Fache machte ihm keiner so leicht etwas vor. Und Herr Tesch brauchte Emil Kubinke nur einmal zu sagen: »Sie, lassen Se des nich den Ollen sehn, – der Olle wünscht des nich so«, – so wußte Emil Kubinke ganz genau, woran er war.

      Und wirklich, das Geschäft ging. Der eine gab dem andern ordentlich die Klinke in die Hand. Und selbst jetzt, um diese sonst stille Tageszeit, saßen immer zwei auf den Rasierstühlen, und ein dritter wartete und studierte mit Leichenbittermiene die uralten Witzblätter, die nach der Versicherung des Herrn Tesch gerade diesmal vorzüglich waren. Emil Kubinke, der so anhaltendes Arbeiten nicht mehr gewöhnt war, fühlte bald seinen rechten Arm. Aber er wußte auch, daß es in drei Tagen ein für alle Male vorüber sein würde. Und der Chef kam hin und wieder vor, auf eine kurze Inspektionsreise, duftend nach den geheimnisvollen Urkräften des »Ziedornins«. Mißtrauisch ging er um seinen neuen Gehilfen herum, denn er fühlte, daß er sich gerade jetzt für alle Zeiten etwas vergäbe, wenn er den neuen Gehilfen nicht wegen irgend etwas anschnauzte. Und er war indigniert, daß er nicht recht etwas herausfinden konnte.

      Doch als Herr Ziedorn wieder vorkam, da trug er einen hellen Sommerüberzieher, und aus seiner Brusttasche lugte lieblich und verlegen ein blaues Taschentüchlein. Und auf seinem Haupte hatte Herr Ziedorn einen Zylinder, der dem des Herrn Löwenberg, was Höhe, Fasson und modernen Schwung betraf, nichts nachgab.

      »Herr Tesch«, sagte Herr Ziedorn mit der ernsten Miene des Geschäftsmanns, der vor wichtigen Transaktionen steht, »ich gehe jetzt Rechnungen einkassieren. Vor Abend kann ich wohl kaum zurück sein. Sagen Sie das meiner Frau, wenn sie nach mir fragen sollte.«

      Weswegen Herr Ziedorn seine Gattin von diesen Mahngängen nicht im voraus in Kenntnis setzte, das entbehrte nicht der tieferen Begründung. Seine Frau sah nämlich diese Mahngänge nicht gern. Und es war schon häufiger ihretwegen zu höchst resoluten ehelichen Unterhaltungen gekommen. Aber Herr Ziedorn war nicht der Mann, der sich durch häusliche Rücksichten bestimmen ließ, in seinen Geschäftsprinzipien wankend zu werden.

       Und so wollte er auch jetzt, am 1. April 1908, nachmittags um vier Uhr, eben wieder die Klinke in die Hand nehmen, als die Tür sich von außen öffnete und ein Herr – den Zylinder tief in der Stirn und den Spazierstock zwischen den Fingern – eintrat.

      »Mein Name ist Max Löwenberg«, sagte er mit liebenswürdiger Bestimmtheit, »ich wohne hier oben im ersten Stock. Sie können von morgen früh täglich einen jungen Mann um halb neun zum Rasieren hinaufschicken. Aber bitte pünktlich, – da ich mich sonst nach einem anderen Barbier umsehen müßte.«

      »Sie werden mit uns zufrieden sein«, meinte verbindlich Herr Ziedorn und griff mit zierlichen Fingern an die Krempe seines Zylinders. »Herr Kubinke, Sie werden von morgen an den Herrn bedienen. Und ich möchte Ihnen die größte Pünktlichkeit ans Herz gelegt haben. Sie werden jetzt überhaupt die Kundschaft außer dem Hause zu bedienen haben. Herr Tesch wird Ihnen die Liste geben und Sie mit den Wünschen der einzelnen Herren bekannt machen.«

      »Sehr wohl, Herr Ziedorn«, versetzte Emil Kubinke und zwickte den kleinen Jungen, der vor ihm saß und sich die Haare verschneiden ließ, mit der Schere ins Ohr. Und Herr Tesch sagte ohne aufzusehen: »Bitte, beehren Sie uns bald wieder!«

      Emil Kubinke aber war mit diesem Auftrag recht zufrieden. Denn da brauchte er doch nicht den ganzen Tag im Laden zu hocken. Da kam er doch wenigstens in die Luft, da sah und hörte er doch etwas. Die Kundschaft außer dem Hause zu bedienen, das hatte er sich wirklich schon lange wieder einmal gewünscht.

      Als aber Herr Ziedorn und Herr Max Löwenberg ihre Zylinder jetzt unbeschädigt durch die Tür gebracht hatten und es still im Raum geworden war, da fragte Emil Kubinke ganz leise: »Wo jeht'n der Chef hin, Herr Tesch?«

       Aber Herr Tesch kniff nur das eine Auge ein. »Na, seine Olle wird ihm ja wieder 'n netten Transch machen. Passen Se mal morjen uff«, flüsterte er.

      Herr Ziedorn führte ein mit dunklen Punkten reich verziertes Leben; – und zu dem Kundenkreise des Herrn Ziedorn gehörten auch Damen, durchaus keine Damen zweifelhaften Rufes, im Gegenteil, sie hatten einen völlig zweifellosen Ruf, es waren höchst achtungsbedürftige Damen, und sie wohnten hier in einer Nebenstraße, Haus bei Haus, in kleinen, gut möblierten Gartenwohnungen. Und sie fuhren sogar jeden Abend mit der Droschke in das Innere der Stadt hinein und fuhren spät nach Mitternacht mit der Droschke wieder heim. Und diese Damen nahmen auf Kredit aus dem Laden des Herrn Ziedorn Parfüms und Seifen, Puder und Schminken, Haarfärbemittel und falsche Locken, und was sie sonst noch benötigten, um aus einem grauen, armseligen, abgegriffenen und abgematteten Hascherl jenes Wesen hervorzuzaubern, das die Männer entflammen sollte. Und diese Damen vergaßen meist zu zahlen. Und dann ging Herr Ziedorn am nächsten Ersten hin und mahnte sie. Oder bei größeren Summen ließ er es nicht bei der einmaligen Mahnung bewenden. Und mit der Zeit hatte sich zwischen Herrn Ziedorn und seinen Kundinnen jene primitive Form des Handels herausgebildet, die noch heute bei allen Urvölkern gang und gäbe ist und die nationalökonomisch als Tauschverkehr bezeichnet wird. Aber Frau Ziedorn sah das nicht gern, und sie hatte ihren Gatten oft gebeten, er solle doch diese Kundschaft aufgeben. Ja, sie befleißigte sich sogar, wenn sie gerade im Laden war, dieser Sorte von Kundinnen gegenüber einer außerordentlich geringen Freundlichkeit. Herr Ziedorn jedoch erklärte ihr immer und immer wieder, daß von Aufgeben nicht die Rede sein könnte und daß er, wenn er endlich auch nur die Hälfte bezahlt bekäme, durch den hohen Verdienst, der bei diesen Artikeln hängen bliebe, immer noch auf seine Rechnung käme. Und damit hatte Herr Edmund Ziedorn eigentlich auch ganz recht. Und wer von dem Einmaleins des Kaufmanns auch nur das Geringste versteht, muß ihm beipflichten.

      Und Frau Ziedorn fand auch leider nie ausreichende Gelegenheit, um diese Sorte von Kundinnen endgültig fernzuhalten, ... da sie sich, mit geringen Unterbrechungen, jahraus, jahrein in jenem Zustand befand, vor dem zwar im alten Sparta die Soldaten durch Senken des Speeres ihre Ehrerbietung zu zeigen hatten, den man aber im modernen Berlin in einem vornehmen Friseurladen vor den Kunden nicht gern öffentlich zur Schau stellt.

      Und so also war am 1. April 1908, nachmittags um vier Uhr, Herr Ziedorn wieder einmal Rechnungen einkassieren gegangen.

      Und als Frau Ziedorn mit ihrer Körperfülle hereingerollt kam, da begrüßte sie gar nicht den neuen Gehilfen Emil Kubinke, sondern fragte nur: »Wo ist mein Mann, Herr Tesch?«

      »Er kassiert Rechnungen ein«, sagte Herr Tesch, ernst wie das Grab. »Vor Abend, hat er jesagt, kann er kaum wiederkommen.«

      »So!« sagte Frau Ziedorn. Sonst nichts. Und warf die Tür hinter sich zu, daß der kleine Junge, den Emil Kubinke immer noch unter seinen Fingern hatte, beinahe von seinem hohen Stuhle fiel. Und dann hörte man draußen bums! bums! bums! bums! eine reine Kanonade von zugeschlagenen Türen.

      Und der Nachmittag ging Emil Kubinke hin, als wenn die Stunden Flügel hätten. Hier gab's doch Arbeit, und man mußte sich nicht alle halbe Stunden wieder mühsam vom Stuhl emporreißen, wenn ein Kunde in den Laden trat, wie das bei seinem alten Chef war. Und jeder der Leute hatte hier seine Eigenart, die ihm erst abgeluchst werden mußte. Der wünschte, daß man ihn unterhielt, und der war beleidigt, wenn man an ihn das Wort richtete. Der war wie ein rohes Ei so verletzlich, und der andere robust wie kaltes Eisen. Herr Graff mußte beim Namen genannt werden; aber bei Herrn Levysohn war die Namensnennung verpönt. Herr Tesch kannte jeden und verstand ihn zu nehmen. Und er wußte Emil Kubinke oft mit einem Augenzwinkern zu verständigen, was zu tun und was zu lassen sei. Ja, das Geschäft hier! Solch ein Geschäft hätte Emil Kubinke auch mal haben mögen.

      Und während nun draußen die ganze Straße sich mit einem roten Halblicht füllte, während das Abendlicht einen schönen Tag für morgen versprach und der Himmel im Zenit zwischen den dunklen Häusern ganz weiß, gelb und rosig leuchtete und sein magisches Licht über allem schwebte, während alles so seltsam hell war, wie scheinbar am ganzen Tag noch nicht, nur um langsam zu verglühen und zu verlöschen ... und während wie mit einem Schlag alle Bogenlampen spangrün aufleuchteten und, ohne noch ihr Licht zu versenden, nur in sich glühten und

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