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das Obst. Er stellte Frauen zum Pflücken ein, übernachtete in seiner Bretterbude, bei sich die Körbe und vor der Bude angekettet die Leitern. Das Obst verkaufte er an den Großhandel. Nicht nur die Feldwege waren genutzt, sogar die Chausseegräben, die waren vom Staat an die Zickenbauern verpachtet, die sich dort ihr Gras absensten. Und kurz blieb das Gras auch unter den Obstbäumen. Da ließ der Schäfer seine Tiere weiden. So war alles in bester Ordnung bei uns, bis die LPG kam und nachhert vor allem die Großraumwirtschaft.

      Im Grase am Feldrain lümmelnd, dachten wir an Jerard und betrauerten uns als sozusagen Hinterbliebene. Bestimmt hat Jerard nischt jewußt, sagte ich. – Bestimmt, bestätigte Margarete. Sonst hätter was gesagt. Ne Andeutung wenigstens. Oder uns noch mal orntlich de Hand gedrückt oder so. Wir überlegten, ob uns etwas einfiele, womit Jerard uns ein kleines Zeichen gegeben hätte, kramten jedoch ganz umsonst in unsem Gedächtnis herum. Awer wenn ers doch jewusst hat, philosophierte ich. Dasser uns hat ehmt jar nischt saren derfn, kan bisschen, das muss for ihn aach niche anfach jewesen san!

      Einfach war´s für ihn so und so nich, bestätigte Margarete. Un vielleicht hatter gar nich mitgewollt.

      Der hat niche mitjewollt. Nee. Da isser doch aach bloß an Flichtlink ausm Osten. Ehmt noch hatte ich Jerard beneidet, und schon sahk ich im Gegenteil, was mein Bruder mir vorgehalten hatte. Werscht du mal abhaun?, fragte ich Margarete kleinlaut.

      Mein Vater sagt, Gott hat uns hier hingestellt, antwortete sie.

      Dan Vader, aber du, forschte ich.

      Kann ich mer nich vorstelln, sagte sie. Muss auch hier noch Menschen gehm. Der Satz gab mir vorläufig Mut und Zuversicht.

      Wie ich zurück ins Dorf kam, klebte am Schickedanzschen Hofeingang immer noch das Siegel. Wieder und wieder rannte ich zum Hof. Das Siegel blieb. Als wir abends mits dem Füttern und Melken fertig waren, ging der Vater mits uns Söhnen, um selbst nachzusehen. Was solln das?, fragte der Vater und deutete auf den roten gestempelten Wachs. Hawwe iche dir bei den Schulzen jeschickt, dasse an Siechl annen Hoff machen oder dass de Viechter versorcht wern? Ich gab ihm keine Antwort, weil die ja klar war. Gleich wurde mir auch deutlich, dass der Vater sich um kein Siegel scheren würde. Da darfste niche rain!, sagte ich. Pappa!, warnte auch Hermann.

      Und ob ich da rain darf!, sagte der Vater, öffnete die Tür, ging zu den Ställen. Die Tiere brüllten. Nicht einmal Wasser hatten sie. Und mir tat leid, dass ich mich frühs von meiner Angst hatte übermannen lassen und sie nicht gefüttert hatte. Anzaijen bei de Behörde wer ich den Hund, den elendijen Krepel!, tobte der Vater. Den Hoff zuklehm mits son Dings, un de Viechter kenn verreckn! Denn man los.

      Wern mer Ärjer kriejen!, gab Hermann zu bedenken.

      Un was iche for an schon hab, das kannste dir niche denkn!, entgegnete der Vater. Aber wir dachten es uns schon: Halbtot schlagen würde er den Astel, bekäme der Vater ihn unter die Finger. Dem Schickedanz, der sein Vieh im Stich gelassen hatte, würde es kaum anders gehen. Ich pumpte, Hermann und der Vater schleppten das Wasser. Ich tränkte die Pfäre. Wir fütterten notdürftig, denn mits Heu, Spreu, Hafer und Weizen allein ists ja nicht getan. Frisches muss sein im Sommer, nicht nur für die Karnickel. Ist im Sommer ja kein Raufutter, getrocknete Luzerne, Kartoffeln, geschnitzelte Rüben und so weiter im Sortiment wie winters über. Hermann und der Vater saßen unter den Kühen und stripsten – wie wenig sie nun auch an Milich hatten – gemolken werden musste. Mits einem Mal kam Astel-Knastel, der Schandarm, in den Stall.

      Hawich euch erwischt!, brüllte er. Seine Stimme hielt nicht, deschertwegen das Weitere mehr ein wütendes Flüstern wurde. Sich an Jenossenschafts-Aijentum beraichern! Der Vater stand auf, Hermann auch. Ich sprang zu ihnen. Wie der Vater auf den Astel zu wollte und sich sein ganzes weiteres Leben verderben, stellte sich Hermann, der große, starke Kerl, vor den Vater, den auch sehr starken, packte ihn, ruckte mits dem Kopp mits der Bedeutung, auch ich solle den Vater halten, damits der merkte, seine Söhne waren sehr dardargegen, dass er dem Astel an die Gurgel ging. Ich gehorchte Hermann, stemmte mich mits gegen den Vater. Nun hatten wir die Kampfhähne einigermaßen auseinander. Der Vater wusste, was wir Gutes für ihn wollten, schrie erst einmal bloß: Haste uns aufjelauert, du Mistkrepel, du jemeines Sticke Dreck, du Matzbläke, du ausjeknaupelte Kerschkuchen-Lawwe. Direkt erfinderisch wurde mein Vater in seinen Ausdrücken. Un de Viechter, de kenn verreckn, das dut dir niche inderressiern!

      Du bleeder Kerel, entgegnete Astel-Knastel dem Vater. Im Gesicht von Astel-Knastel ein Ausdruck größter Freude, aber von welch einer Art! Da hätte sogar ich gern in seine Lawwe unsanft reingelangt. Tuste unterschraihm, denn haste bloß de Jenossenschaft ausjeholfen, un kaner kann dir was vorwerfn! Die Worte des Schandarmen machten, dass der Vater mich zur Seite schleuderte und Hermann umwarf. Ane Falle haste uns stellen wolln!, rief der Vater. Noch während Hermann der Länge lang hinschlug, flehte er: Pappa, Pappa! Riehre ihn niche an! Er is de Staatsmacht! Hermann bekam die Füße des Vaters zu fassen. Weil der Vater trotzdem unbedingt fortwollte zum Astel hin, schlug es ihn nieder auf den glitschigen, mistigen Stallboden. Sein Fall schien mir ungeheuerlich. Doch in solcher Not konnte Hermann den Vater nicht vor Peinlichkeit bewahren. Mache dir fort, off der Stelle!, schrie Hermann dem Astel-Knastel im Liegen zu. Un wenn iche bis zum Ulbricht jeh, mir beschwern, dass anem Hilfsbereitschaft for die Jenossenschaft so ausjeleecht werd. Wie klug Hermann redete! Wer es richtig drehte, dem war schwer beizukommen, auch in unsem Unrechts-Regime. Die Drohung fruchtete. Astel-Knastel nahm seine Beine in die Hand und schackerte davon.

      Der Vater und ich arbeiteten weiter. Hermann ging zum Schulzen hoch in die Gasse oberhalb des Görlitz-Borns. Der hieß so, war aber der Gemeindebrunnen. In der Gasse wohnte der Schulze mits Franke seiner Tochter, und da war die Post, wie gesagt, vom Franke dem SPD-Mann her. Hermann wollte einer Anschwärzerei von Astel-Knastel begegnen. Wie man sich denken konnte, saß der schon in der Wohnstube des Schulzen. Iche verstehe jor nischt, sagte der Schulze zu Hermann. Iche denke, de LPJe »Rote Scholle« hattn Hoff üwwernomm! Die muss doch aach das Viehzeuchs versorchn. Wie kannen so was passiern!

      Wennern Hoff versiejelt, wer traut sichn da rain!, erwiderte Hermann.

      Un warum haste den Hoff versiejelt?, erkundigte sich der Schulze beim Schandarmen. Haste noch alle Dassen im Schranke? Der Astel-Knastel zwinkerte dem Schulzen zu, als sei der sein Allerliebster. Aber der wollte nicht verstehn.

      Das war im Staatsinderesse!, sagte der Schandarm schließlich.

      An Strick haste uns drehn wolln, entgegnete Hermann. Wail mir noch Bauern sin un Verantwortunk fiehln! Darauf haste jesetzt! Hermann erzählte dem Schulzen, welches Angebot Astel-Knastel ihnen gemacht hätte. Der Schulze sahk Astel-Knastel an. Hermann kam der Eindruck, der Schulze müsse sich sehr anstrengen für ein Amtsgesicht, als hätte er auch so seine Gedanken über seinen Genossen Volkspolizisten, was dann später der ABV wurde, Abschnittsbevollmächtigter, in Nach-Astel-Zeiten. Da biste zu wait jejang!, sagte der Schulze. Das is wie zu ner Straftat anstiftn. Mache mir de Bauern niche verrickt! Das is niche im Sinne des Janzen! Mer solln de Bauern jewinn un niche jejen uns aufbringen. Schließlich sin mer an Arwaiter-un-Bauern-Staat! Das lasse man niche ausm Auge, Jenosse Astel! Weil sich beide in der Einheits-Arbeiter-Partei aufhielten, redete der Schulze den Astel-Knastel als seinen Genossen an. Der Schulze hielt also eine Ansprache an seinen Genossen, und Hermann merkte sich alles und erzählte es uns, als er vom Schulzen zurückkam.

      Der Astel-Knastel aber nahm sich die Worte des Schulzen nicht sehr zu Herzen. Er war nun mal der, der er war. In seinem Amte hatte er Freundlichkeit von den Leuten sowieso nicht zu erwarten. Da sollte man ihn wenigstens fürchten. Denn er hatte die Macht, dachte man wenigstens damals, aus einem Mann, der frühs in eigenem Federbette aufwachte, einen zu machen, der von einer Gefängnispritsche aufstehen musste, mits Trillerpfeife geweckt oder wie auch immer in unfreundliche Tage hinein.

      Wie war es denn gewesen mits dem vorchten, dem vorigen, Sylkener Schulzen und seinem Arnröder Stellvertreter und dem Buchhalter und deren Verhaftung, die Astel so ein übermäßiges Ansehen gab?

      Ich will es euch jetzt sagen, wie es mir meine Tante Hildegard gesagt hat, die Frau Erb, die Frau vom vorchten Schulzen. Die ging mits ihren drei Töchtern, die eine etwas älter als ich, die beiden anderen um weniges jünger, nicht in den Westen wie Evchens Mutter und Evchen und deren viel älterer Bruder. Sie lebte

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