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um die angebliche Hexe. Groß, hager, langnasig war sie, trug ein Strickmützchen. Uns grauste vor ihr. Und grausig war auch ihr Ende. Sie vergiftete sich. Man öffnete sie. Damals dachte ich mir, in ihrem Kopf fände man viele Schubkästchen, in einem dardarvon wäre das Gift. Eine sehr interessante Vorstellung. Wir meinten, sie bekam, was sie verdiente. Aber es hat sich wohl nicht so verhalten. Übrigens, was mir damals nicht aufgefallen ist, die Arnröder nannten sie nicht Friedenstante, sondern Friedenstaube. Und schon daraus ersieht man, was die Arnröder für andere Menschen waren als wir Sylkener, dass sie eine andere Einstellung zu der armen Frau hatten. Jemanden Friedenstaube zu schimpen, hat ja eher was Freundliches.

      Das Unterschloss ein Gut bloß, wo – wie auf dem Sylkener Gut – lauter Arme wohnten, Ostler, Flüchtlinge oder Umsiedler, wie man sie auch schimpen will. Ich nehme an, Unterschloss heißt es wegen der Nähe zum Schloss in der Eine-Aue unterhalb des bewaldeten Holzbergs, was dem Baron v. Knigge gehörte. Oder auch Freiherrn v. Knigge, da kenne ich mich nicht so aus. Das Unterschloss bis zum Kriegsende von der Familie Lüttich bewirtschaftet. Drei Güter hatten wir in Sylken und Arnrode bis Kriegsende. Das in Sylken wurde von Strandis’, das Unterschloß von Lüttichs und in Arnrode das von Martens’ bewirtschaftet, das bestimmt auch mal den Knigges ihrs gewesen war. Vom Unterschloss war man schnell im Holzberg. Der war bloß ein kleiner Bruder vom Wiepstein. Das Unterschloss gab allerhand her. Wie gesagt, Wohnungen für Arme, den Sitz des Bürgermeisters und damals schon den Sitz einer fortschrittsweisenden LPG.

      Wie ich die Tür zum Gemeindeamt aufmachen wollte, wurde mir mits einem Mal ganz bedenklich. Mits Kinnern jiwets sich der Schulze niche ab!, dachte ich. Und was ich zu sagen hatte, würde ihn ja auch nicht froh stimmen. Drei Anläufe nahm ich, ehe ich an die Tür klopfte. Und es dauerte noch mal, eh mein Klopfen so stark wurde, dass er hörte. Der Schulze saß rauchend über Papieren, die schwarzen Haare schnurgrade gescheitelt. Ein Mann so schwarzhaarig, wie mir sonst keiner in der Zeit damals untergekommen ist. Vielleicht waren seine Haare deschertwegen so auffällig, weil man in unse Gegend damals eher ältere und alte Männer antraf wegen dem Krieg, der die meisten Jungen weggerafft hat. Und die wenigen Jungen denn ehmt blond wie unser Paschter. Der Schulze sahk auf mich, der ich stummdämlich an der Tür stehenblieb. Tach!, sagte er. Nicht mal der Gruß war mir eingefallen. Juun Tach!, brachte ich endlich heraus und gleich danach den Satz, den ich mir vorgenommen hatte: Der Schiggedanz is wechjemacht.

      Was saachste? Iche heere dir niche!

      Der Schiggedanz is wechjemacht!, wiederholte ich, fand langsam zu meiner Stimme.

      Woher willsten das wissn?

      Ich wolltsen Jerard abholn. Awer da wor kaner offm Hoff, im Hause aach kaner. Jetzt lief meine Rede wie am Schnürchen. Niche mal der Knecht. Iche schätze, Se sin innen Westen rüwwer. Pappa saacht, ich solls Sie meldn. Weil, mer muss doch mits de Viechter was machn, die könn doch niche unversorcht blaihm!

      Der Bürgermeister faltete seine Stirn, nickte.

      Der Schiggedanz!, sagte er, hob den Hörer seines schwarzen, schweren Telefons ab.

      Ein Telefon besaßen nur wenige. Die Sylkener Post. Das war auch die Frau vom Schulzen, ebenso schwarzhaarig wie er und vielleicht schön, wenn sie nicht so etwas im Wesen gehabt hätte, woran man sich erkältete. Wie meine Tante Hildegard sagt: Was de Seele innen niche hat, das bringt das Äußere aach niche. Der Vater vom Schulzen seine Frau auch schon die Post gehabt. Fritze Franke. Der Franke war SPD-Mann. Deschertwejen hat man ihm zur Nazizeit die Post weggenommen. Nur die Leitungen vom Telefon hat man nicht woanderscherthin verlegt, war wohl zu aufwendig. Der Franke, der Bock und Kühnert früher die SPD-Leute. Und am Hütteteich wohnte vor Zeiten sogar ein Kommunist in einer Kate, wovon der Hütteteich wohl seinen Namen herhat. Post, Bürgermeister hatten Telefon, der Paschter und die Gemeindeschwester, damits sie unsen Landarzt aus Alterode rufen konnte. Und der Schandarm. Sicher inzwischen auch die LPG, von denen bei uns zwei gab, Typ I und III.

      An so schöner Hoff!, redete der Schulze vor sich hin. Den jiwet mer doch niche off! Der Hoff wäre ihm doch immer jebliehm. Un Jenossenschaft is doch niche wie Enteichnung. Da werd doch jenau offgeschriehm, was sans is. Un wejen das andre, da hätte mer denn aach niche drauf bestehen missn. Der Schulze horchte in den Hörer. De Laitunk is dot. Er schlug ein paarmal auf die Gabel. Denn legte er den Hörer auf. Halb befahl, halb bat er mich: Jehk mal bei Astel, dasser herkommen soll. Un denn gannste aach nachm Knecht sehn, was mits dem is. Er solln sich jefällikst offn Hoff schärn, jemineh!

      Keinem von uns kam die Idee, dass der Knecht mits rübergemacht war.

      Die Schule für diesen Vormittag nun gänzlich gestrichen und ich von Amts wegen unterwegs.

      Der Schandarm lebte und hatte seinen Sitz damals im Haus vom ehemaligen Arnröder Gutsverwalter. Tagsüber lief er mehr auf den Straßen von Sylken und Arnrode mits seinem Gummiknüppel am Koppel herum, in blauer Uniform, drauf aus, die Leute zu behorchen. Als ich nun das Haus betrat, in das er einquartiert worden war, hielt ich mir vor, dass ich nicht vorgeladen war, sondern dass ich im Gegenteil dem Schandarmen einen Befehl zu überbringen hatte. So trat ich herzhaft, nahezu furchtlos in seine Amtsstube ein, wobei ich eine Miene aufsetzte, als trage ich eine Rüstung ganz und gar aus Eisen, dass mir kein Gummiknüppel etwas anhaben könne. Der Schulze schickt mir. Das Delefon is kaputt. Se solln zu ihm hin!

      Un was willer? Un warum schickter ausjerechnet dir?, fragte der Schandarm mits halb wüterichem Gesicht. Aber mal war ich in der Position, dass ich was wusste, was der Schandarm nicht wusste. Iche waß niche, ob iche befuucht bin, sagte ich, nahm mits Genuss das ganz große Wort von Befugnis in den Mund. Iche soll ehmt nur saren, Se solln zu ihm machn. Mir fiel ein, nachhert hätte der Schandarm wieder die Macht. Da wars nicht gut, wenn ich zu lange auf meinen Vorteil beharrte. Also ließ ich schon etwas gucken. Iche jloobe, is wegen Schiggedanz, fügte ich hinzu. Der Schandarm hielt es unter seiner Würde, mich weiter zu befragen, trotzdem er sonst – wie gesagt – viel von Befragungen hielt. Er stand auf, schnallte sein Koppel um und schob mich aus der Amtsstube.

      Zurück radelte ich in unser Siehleken, war ja ausgesandt, den Knecht an seine Pflicht zu erinnern.

      Im Haus traf ich auf die Frau. Er liecht mits Hitze im Bette!, behauptete die. Wer wolln schon nach de Jemaindeschwester schickn, was das is!

      Ich begnügte mich nicht mits der Auskunft, spielte mich auf. Iche willn selwer sprechn!, sagte ich und bewies eine Entschlossenheit, die mir selber ganz neu an mir war. Sie zeigte mir, was es für einen Unterschied macht, ob man für sich selbst handelt oder im Auftrag einer Macht, wie klein die auch ist. Widerwillig pochte die Hausfrau an die Schlafzimmertür, rief laut, als wäre ihr der Eintritt verwehrt und sie müsse erst um Erlaubnis bitten: Hanz, das Fritzchen vom Ludder is da, der Schulze schicktn! Lange wartete sie auf Antwort. Hanz, Hanz!, rief sie. Biste anjeschlafn! Hanz! Und endlich vernahm man von drinnen eine Männerstimme. Die Hausfrau entschloss sich, die Tür zu öffnen. Der Knecht lag im Bett, eingepackt bis zum Kinn und knallrot. Ich schätzte, eher von der großen Eile, mits der er ins Bett gesprungen war und der Wärme infolge von zu viel Kleidung unter den Feddern als von der Hitze, wie man bei uns Fieber nennt und wofür nur die Gemeindeschwester ein Thermometer hatte, es zu messen. Doch die Decke konnte ich nicht vom Kinn ziehen, um ihn zu überführen. Wer war ich denn! So stand ich vor dem Bett und blies mich zu Größe und Vorwurf auf. Iche hawwe eire Kiehe jestripst! Dass de so was fertich bringst. – Vorje Zait war ihm janz jut. Un in de Nacht isses öwwer ihm jekomm. Die Frau sprach für den Mann. Aber dem Mann war es leid mits der Lügerei vor mir Bengel. Er ließ die Katze aus dem Sack und sagte: Dardamit will iche nischt zu dun ham! Was waßt du Piepel davonne, wenn miche der Astel in de Finger kricht. Un nu hau ab. Un wenn de ja was anderscht saachst, als wie iche bin krank, denn wer iche rumerzähln, dass de an Spitzel vonnem Schulzen bist un das rode Jesoxe.

      Se ham mir ja bloß jeschickt!, verteidigte ich mich. Weil, mir musstens doch meldn. Ich wolltsen Jerard zur Schule abholn.

      Besser an Fremder als wie iche, antwortete der Knecht. Da haißts doch jlaich, iche hätte dardarvon jewußt. Dafier kriste viellaicht Johre! Un wenn de Jemaindeschwester kommt, Hitze habch. Doran werds niche schaidern. Der Knecht lachte.

      Jut, biste ehmt krank, erwiderte ich. Ich wollte doch kein Judas nicht sein.

      Aufgepustet

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