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das Feuer anbeten und von Zeit zu Zeit im Busch zündeln, damits die Natur im Gleichgewicht bleibt, ein mir ganz interessanter Gedanke. Und wie eingeführte Tiere zur Plage geworden sin, weil sie keine natürlichen Feinde ham wie die Karnickel und zugor die Katzenviechter. Nachhert würde ich dem Jerard alles erzählen von dem Tag an, wo er weg war. Auch Margarete würde womöglich allerhand erfahren, was ihr nicht so bekannt ist, trotzdem sie im selben Land lebte als wie ich. Und wir dreie würden uns erinnern, wies in unsem ollen Siehleken war. So sagen wir Einheimischen zu unsem Dorf statts bloß Sylken. Wir lassen gerne die Worte auf der Zunge kullern. Sagen Milich statts Milch und elewe und zwelewe statts elf und zwölf.

      Am liebsten würde ich gleich an Jerard losschreiben. Das Wort, das ich aus vielen Filmen kenne: Welcome! Doch muss ich sicher den besonderen Umschlag benutzen, damits der Brief auch durch die Luft befördert wird. Also muss einer von uns erst nach Aserschlehm, was richtig eigentlich Aschersleben heißt, die Zischlaute also grad anderschtrum.

      Die Gedanken gehen mir so vorwärts und rückwärts, was ich dem Jerard erzählen würde, dass ich gar nicht mehr darin innehalten kann. Wo ihr nun schon mal da seid, hockts euch hin, wo ihr auch immer wollt, machts euch bequem und lasst den Fritze Luther lawern.

      Ihr merkts schon, in meinen Gedanken rutscht durch, wie wir in unse Gegend sprechen. Maniches sagt man auch bloß in Sylken so, und die in den Dörfern drumherum lachen über uns, erst recht in Aserschlehm, was schon nicht mehr zum Mansfelder Land gehören tut, trotzdem es bloß zehn Kilometer von uns entfernt liegen tut. Besonderst machen sie sich lustig, wie wir das Flüsschen Eine aussprechen, was durch Arnrode ungene und später auch Aserschlehm durchfließt und da auch endet. Beginnt in Arnrode und führt nach Aserschlehm und denn Schluss. Son kleines Flüsschen. Ane sagen wir dardarzu. Die ane Ane, lachen uns die Aserschlehmener aus. Aber seit eine Umherzieherei nach Arbeit üblich ist, gewöhnen sich die Sylkener ab, was man woanderschert nicht versteht oder wo man uns für aufzieht.

      Schön hab ich es! Oder? Hermann hat mits mir die Wohnung über dem Stall ausgebaut. Wohnzimmer mits breiten Fenstern in der Dachschräge, kleineres Schlafzimmer. Flur. Große Küche. Wennste doch noch mal ane findest!, hat Hermann gesagt.

      Meints ihr etwa, ich sollte in einem eigenen Haus wohnen? Ich allein?, frage ich euch. Wozu? Was brauche ich ein Haus. Zu Hause will ich sein. Und das bin ich auf dem Hof von Hermann, meinem Bruder, und seine Frau. Friederike, die Jüngste, wohnt auch noch hier. Und an den Wochenenden kommen Mark und Philipp mits ihre Kinner. Ich bin der Onkel Fritz von alle. Das ist auch was wert.

      Meinen Namen kennt ihr ja schon. Bibelforscher wollen herausgefunden haben, wir würden von Jacob Luther abstammen, dem Bruder von Martin Luther. Ihr wisst schon, der, nach dem die Städte Wittenberg und Eisleben bei uns in der Gegend den Zusatz Lutherstadt haben. Die Verwandtschaft kann sein oder auch nicht. Wir sind nachweislich seit Hunderten von Jahren hier in der Gegend zu Hause. Im Vorharz. Mansfeld, wo Martin Luther und sein Bruder aufwuchsen, liegt zehn Kilometer von unsem Siehleken entfernt, genau wie Aserschlehm. Da war auch unse Mittelschule, aber sonst hatte der Ort trotz seinem zerstörten Schloss hoch über dem Städtchen keine Bedeutung. Die Oberschule wiederum war in Hettstedt, ebenfalls zehn Kilometer entfernt und unse Kreisstadt. Nach Aserschlehm brachten wir unser Getreide in die VEAB und die Zuckerrüben in die Zuckerfabrik und holten die Kohlen von der Bahn und den Dünger. Aserschlehm is wejen die Bahn die wichtigste Stadt.

      Wegen dem Namen Luther: Wenn ich an meinen Vater Walter Luther denke, etwas Störrisches und Jähzorniges kommt manichmal in der Familie vor. Weiß man ja, mal hat Martin Luther mits dem Tintenfaß nach dem Teufel geschmissen, als er als Junker Jörg in Eisenach im Schloss quartierte und die Bibel ins Deutsche brachte. Wäre er nicht ein jacher Mann gewesen, hätte er so was wie die Reformation nicht herbeigeführt. Denke ich mal. Unser Vater hatte sogar Ähnlichkeit mits den Bildern, die man kennt: Kleine tiefliegende Augen, die breiten Wangenknochen, das massige Gesicht und die kräftige Gestalt. Hermann kommt äußerlich nach ihm, ist noch größer als der Vater. Nur ist er eher zach, ein grundguter Mensch mits höchstens mal einem Losgetobe, wie die Jungs noch Kinner und Halbwüchsige waren und über die Stränge schlugen.

      Zunächst führe ich Jerard durch das Jetzt, das Heute, weide mich an dem Abschätzenden, ja Abschätzigen in seinen Augen, während er sich auf unsem Hof umschaut. Wohnhaus, Ställe, Scheunen neu gedeckt. Doch die wohlgefüllte Mistkuhle in der Mitte, an der man früher die Leistungsfähigkeit eines Hofes erkannte, scheint ihm sicher nicht modern. Ich habe meinen Spaß an seinem Mitleid über die anscheins aus sozialistisch-kommunistischen Zeiten ererbte ostdeutsche Armseligkeit. Du hältst uns for zurickjebliehm!, sage ich ihm schließlich auf den Kopf zu. Und nun erzähle ich mir und euch, wie das war an jenem Morgen, als ich vor Jerards Hof ganz umsonst gewartet habe. Und was nachhert kam in unse Familie und im Dorf. Was mir sonst in meine Gedanken reingerät zu der Zeit damals und der nachhert, kann ich noch nicht abschätzen. Meine Erinnerung ist aus allerhand mehr zusammengesetzt als bloß eine Handlung von da nach da.

      Im Jahre 59 war es, sagte ich schon. Sommer. Juni käme hin. Denn ich bin nach Jerard hin, ihn zur Schule abzuholen. Im Juli-August waren denn Ferien. Neun lange Wochen. Das Abholen war eigentlich nicht mehr notwendig. Doch ich hatte mirs so angewöhnt von der Unterstufe her, als wir den Schulweg runger ins Nachbardorf Arnrode hatten. Dort eine Schule mits zwei Räumen und einer Lehrerwohnung. Das Ehepaar hat uns in allen Fächern unterrichtet. Unvergessen die Frau Münz und der Herr Münz bis heute. In Sylken hatten wir zwei Schulen, eine bei uns im Dorf ungene gegenüber vom Schickedanzschen Hof mits Lehrerwohnung und einem Raum, die andere auf dem Kirchberg, zwei Räume und Lehrerwohnung. Ab der fünften zogen wir mal in das eine, mal in das andere kleine Ziegelhaus. Wir waren mits unterschiedlichen Klassen zusammen. Unse Klasse in der dritten mits der ersten, in der vierten mits der dritten. In der fünften mits der sechsten, in der sechsten mits der fünften. In der siebten mits der achten, und in der achten mits der siebten. So trafen wir im Laufe der Jahre auf eine jüngere oder ältere Klasse, mits der wir schon einmal unterrichtet worden waren. Besser für uns, wir waren die Älteren. Waren wir die Jüngeren, hatten wir ältere Jungen zu fürchten, einen besonders. Jürgen Humpert. Den werde ich nie vergessen, strohblonde Haare zu Stiezeln aufstehend wie ein Kornfeld, in das der Wind gefahren ist. Nicht der stärkste aller Jungen, war bloß eine Klasse über uns, und wir hatten ja Sitzenbleiber von jedem Alter. Margarete erzählt öfters, wie ein vierzehnjähriger, vierschrötiger Rothaariger aus der vierten sie in der zweiten Klasse zu seiner Ollen ernannte, seiner Alten, seiner Frau, und mits ihr über den Arnröder Schulhof tanzte, was ihr sehr gefiel. Wir hatten also auch mits wesentlich älteren Jungen zu tun. Aber Jürgen Humpert der, den wir fürchteten. Weil: Er war heimtückisch. Wie berechtigt unse Furcht vor ihm war, bestätigte sich, als er aus der Schule kam. Mit kaum sechzehn griff er auf dem Feldweg eine Frau an, vergewaltigte sie und schlug sie halbtot. Man war froh, dass er hinter Gitter kam. Dardarnach hat er sich im Dorf nicht mehr sehen lassen. Ich reizte ihn besonders. Solche Menschen müssen sich an Schwächeren etwas beweisen. Besser, ich kam ihm nicht täglich unter die Augen. In der Unterstufe sind wir zu viert nach Arnrode runger. Auf jeden Fall traten wir den Rückweg zusammen an, Jerard, Margarete und ich und noch Udo.

      Mits Udo waren wir nicht eng befreundet. Jedenfalls später, als er begann, diese Faxen zu machen, sich mits zwei Fingern die Nase rieb, Gesichter schnitt, als müsse er sich furchtbar konzentrieren. Noch später konnte er seinen Körper nicht in Ruhe halten. Er machte Dinge, die er gar nicht wollte. Wir sagten: Blaiwe doch ruhig, Udo! Aber er sagte: Wenn iche mer Miehe jebe, werds noch ärjer!, und verrenkte sein Gesicht, seinen Körper. Dabei war er vollkommen intelligent, spielte sogar Zither. Das Komische: Beim Zitherspielen blieb er ruhig, warum wir ihm vorschlugen, er solle doch in den Unterricht die Zither mitnehmen. Aber er sagte, dann lernt er nichts. Dann spielt er bloß Zither. Und er wollte lernen. Wir hatten Mitleid mits ihm. Aber wir haben uns auch gefürchtet. Besessen ist er nicht, sagte Margarete so oft, als wäre sie sich nicht ganz klar darüber. Es sieht bloß so aus. Margarete war damals sehr gläubig. Warum Jürgen Humpert und die anderen Kinner Udo nicht hänselten? So etwas gibt es offenbar auch, dass mal in einer Gemeinschaft eine Einigkeit darüber besteht, den lässt man in Ruhe. Wahrscheinlich ist es von den Erwachsenen gekommen, die uns verwarnt haben, ihn zu necken.

      In der Siebenten hatten wir den Unterricht in der Schule neben der Kirche oben auf dem Berg. Margarete musste gerade

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