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niche. Der Vater schwieg, milderte dann sein Urteil. Es sai denne, da is noch janz was anderschtes dardarhinder, was mer niche waß. Un der Knecht?, erkundigte er sich.

      Aach niche da.

      Jehk runger bai de Jemainde, dem Schulzen dardavon Mittailunk machen, befahl der Vater. Die Viechter missn versorcht wern!

      De Kiehe hawwe ich jestripst!, vermeldete ich meinem Vater.

      Haste aach leerjestripst? Du waßt, darf nischt inne Euder blaihm.

      Pappa!, sagte ich beleidigt, wusste ja, wie empfindlich die Tiere auf die Euter sind. Iche hawwe aach alle Viechter zu saufen jejehm.

      Werd woll doch nochn Bauer aus diche!

      Das seltene Lob machte die ungerechtfertigte Maulschelle wett.

      Ich holte meine mits blauen Nitrolack angestrichene Mühle aus der Scheune. Mits den Scheinchen, die mir hoffentlich die Nappern und Napperschen, Nachbarn und Nachbarinnen, zur Konfirmation nächstes Palmarum spendierten, würde ich mir ein neues Fahrrad kaufen.

      Das Gemeindeamt im Unterschloss zwischen dem Unterdorf Arnrode und dem Oberdorf Sylken.

      Trotzdem Arnrode und Sylken verwaltungsmäßig zusammengelegt worden waren, sind sie zwei Dörfer, wie sie verschiedener nicht sein können. Sylken ein wahrscheinlich von Wenden erbautes Dorf auf dem Berg. Und somit wasserarm. Die Sage geht, einstmals hätten die Sylkener in einer Niederung in der Nähe eines Baches gesiedelt, am Sump, also auf Sumpfland. Suhle-Siehle-Siehleken-Sylken. Lüttjen-Siehle noch heute ein Gebiet in Richtung Hettstedt zu finden. Eine Überschwemmung suchte die Einwohner heim. Die Überlebenden flüchteten auf einen Berg. Jeder Hof wie eine Festung. Die sehr große Kirche mits ihren dicken Mauern zusätzlich von den Höfen geschützt, sodass sie vor ringsum sie umgebenden feindlichen Stämmen gesichert waren. Die Burgenmentalität hat sich bei den Sylkenern erhalten. Sie sind schwer zu gewinnen, wachsam gegen Fremde. Doch die Ausnahme ist Sylken in unsem Landstrich auch wieder nicht. Neulich war ich in einem Dorf, viel größer als wie unsres, jeder Hof abgeschlossen, dass man nicht mal die Tür aufklinken kann, kein Namensschild dran und keine Klingel, außer es handelte sich um ein Geschäft, und manichmal nicht mal eine Hausnummer. Ganz anderscht dagegen das kleine Arnrode, zweihundert Seelen, wie unser Paschter Kratochwil zu sagen pflegte, (weiß nicht, ob er damits auch die Ungläubigen in die Zahl einschloß), wasserreich, im Einetal gelegen, und ein zweites Flüsschen, die Mukeräne, fließt durch den Ort und dann in die Eine. Gerade Straßen durchziehen das Dorf. Die Bewohner freundlich. Nach der Wende machten sich beide Dörfer die neue Freiheit zunutze und trennten sich. Doch wurden in einer bals erfolgenden Verwaltungsreform nicht nur Arnrode mits Sylken und Sylken mits Arnrode wiedervereint, sondern zusammengeschmissen auch noch mits Alterode, Stangerode, Ulzigerrode im Harz, mits Welbsleben und Quenstedt. In Sylken der Sitz des hauptamtlichen Bürgermeisters. Dardarnach nennen wir uns heute. Die Dörfer dürfen ihren Ortsnamen nach Sylken hinzusetzen. So geht das Leben.

      Zwischen Sylken und Arnrode also das Unterschloss. Dort residierte der Schulze, der Bürgermeister. Der, der nach dem ersten nach 45 eingesetzt worden war. Ein scharfer Hund, aber gerecht. Direkt schaden wollte er niemandem. Der vorchte vom Astel-Knastel, unsem Schandarmen, im Frühjahr 53 abgeholt nebst seinem Arnröder Stellvertreter, dessen Tochter Evchen in unse Klasse ging, und dem Buchhalter.

      Alle Kinner hatten Schule. Ich aber fuhr mits meiner Mühle zum Schulzen als Überbringer von einer Nachricht. Das baute mich sehr auf. Ist ja auch so, dass besondere Vorkommnisse, egal, ob sehr schön oder ganz im Gegenteil, für ein Kind immer Abenteuerwert haben. Wie waren wir außer Rand und Band, als unser Arnröder Schulhof von der nahen Eine überschwemmt wurde nebst gleich dem an der Eine gelegenen Garten und der Wetterstation von unsem tapferen Werk- und Turnlehrer Herrn Münz. Über Holzlatten balancierten wir zum Abort, einem Plumpsklo, zum Garten hin. Das war etwas! Sowieso kann wohl kein Mensch auf einmal ermessen, ist ihm etwas Schlimmes passiert. Im Grunde glaubte ich gar nicht, dass Jerard nicht mehr da sein sollte. Und nachdem ich dem Vater Mitteilung gemacht hatte, war ich eher ganz befeuert von meiner Wichtigkeit und erschien mir gleichzeitig wie ein Lügenbold, wie einer, der in einem Film spielt, der der Wirklichkeit zum Verwechseln ähnlich ist, aber doch keine Wirklichkeit ist.

      Nach Arnrode gehts, wiewohl in den Harz hinein, immer abwärts. Doch rechter Hand wächst ein Berg auf Sylkener Höhe an. Der Wiepstein. Auf dem Berg Wiepstein die Burg Wiepstein. Nach zwölfhundert gegründet, also viel jünger als wie unser Siehleken und erst recht als wie Arnrode, was wohl noch fünfzig Jahre älter sein soll, trotzdem es so klein ist. Die Burg Wiepstein denn leider geschleift, weil die Bewohner zu Raubrittern verkommen sind. Die Reste mit Turm und erhaltenem großem Rittersaal immer noch gewaltig, dass man dort in den siebziger Jahren einen Film drehte. Til Ulenspiegel bei Rittern zu Gast, zeigt ihnen mal seinen Nackten. Einmal im Film auch unser Sieheleken zu sehen mits seinem dicken fetten dreifachbehaupteten Kirchturm. Sylken mehr als 200 Jahre vorher gegründet: 990. Grad im Wendejahr hatten wir unse Jahrtausendfeier. Zu drei Seiten fällt der Wiepstein steil ab, nur nach Sylken hin ist die Burg nicht auf natürliche Weise geschützt. Geheime Gänge von der Burg ins Tal solls wohl drei gegeben haben. Ein sehr breiter nach Siehleken, wo für Pferdewagen Platz war. Der soll im Sauerschen Hof geendet haben. Den Eingang sahk ich in meiner Kindheit noch mits eigenen Augen. Einer, nicht mehr auffindbar, soll hinunter ins Einetal zum Holzberg hin Richtung Alterode geführt haben. Und einer am Fuß des Burgbergs beginnend, der Bierkeller hieß, anscheins war da mal Bier gelagert worden. Der in meinen frühen Grundschuljahren auch noch ein Stück weit zu begehen, bis zu einem Wasserloch und eingestürzten Mauern. Nachhert nutzte die LPG den Bierkeller als Standort für ihre Trecker und verrammelte den Eingang.

      Am Unterschloss machen sich Berg mits Burg zu so einer Höhe auf, dass einem immer nochbeklommen wird beim Gedanken, wie schutzlos Reisende hier den räubernden Mansfelder Rittern ausgesetzt waren.

      Von wegen dem erhabenen Anblick verfingen sich in unse Kindheit unse Gedanken an den Fragen und Vorstellungen, was einstmals auf der Burg geschah. Und denn hörten wir in den unteren Klassen im Fach Heimatkunde allerhand Sagen aus unse Gegend. Herumführerin durch unse nahe Heimat war unse liebe Frau Münz, einzige Lehrerin in allen Fächern außer Werken und Sport – dafür und für die Betreuung des Schulgartens ihr Mann zuständig – Liederbeibringerin und Märchenvorleserin. Den letzten, auch schon den vorletzten Tag des Schuljahres ließen wir unse Arme und Köpfe auf unse tintenverschmierten, verschnitzelten dickholzigen Bankpulte sinken und lauschten unse Frau Münz, die schwarz-grauen krausen Haare zum Knust gesteckt, wie es damals die Frauen taten. Den Lehrplan hätten wir durch, sagte sie. Nun belohnte sie uns, die wir nach Märchen und Sagen ganz gierig waren, mits Vorlesen Stunde um Stunde.

      Neben der Burg haben bis zum Jahre 56 Umsiedler, also Flüchtlinge, gewohnt. Noch heute Reste der Häuser. Bei unsem nicht sehr stracksen Heimweg über den Wiepstein sind wir den Kinnern von da immer aus dem Weg gegangen, trotzdem wir in der Schule zusammen mits ihnen unterrichtet wurden und keins besonders auffiel. Eine Räuberbande hause hier oben, hieß es. Ihr schrieb man auch die versuchten Einbrüche im sehr prächtigen grünspanbedeckten Mausoleum auf dem Holzberg zu, was der Familie des Freiherrn v. Knigge gehörte. Dass die Wiepstein-Familien 56 allehoope, alle Mann, in den Westen röwwer sind, wir haben uns wahrhaftig nicht gegrämt. Und die Friedenstante lebte dort, der man nachsagte, sie hätte die drei Männer ins Unglück gebracht, den vorchten Schulzen von Sylken, seinen Stellvertreter und den Buchhalter. Aber heute weiß ich es anderscht. Meine Tante Hildegard, die Frau vom Bürgermeister bis 53, die alte Frau Erb, hat mir jetzt, nachdem alles nun wieder anderschtrum läuft, die Geschichte erzählt. Ich werde meine Tante bei Gelegenheit zu Wort kommen lassen. Sie behauptet sogar, der Friedenstante sei zu verdanken, dass eine Reihe Pappeln in der Eine-Aue unterhalb der Burg wächst. Sie wäre mits ihren Emmern nicht nur von der Quelle unten am Bad zu ihrer Kate raufgelaufen, sondern sie hätte mits Wasser aus der nahen Eine auch die Pappeln in trockenen Sommern gegossen. Damals war sie eine sehr unbeliebte Person.

      Friedenstante hieß sie, weil, sie war für den Weltfrieden, wie er damals überall mits weißer großer Schrift auf den Hauswänden verkündet wurde. Man sagte, sie hasse die Deutschen. Was wir schon gar nicht verstanden, weil sie eine Deutsche war und alle um sie herum doch auch. Wir haben uns vor ihr gegraust. Sahen wir sie auf unsem Heimweg von der Quelle

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