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wo sie als Krankenschwester arbeitete. Kam sie nach Hause, wartete der Hof. Ob ein Bauer tagsüber auch in der Stadt arbeitet, Feierabend ist für ihn erst, wenn das Vieh versorgt ist. Und beim Dreschen gehts, bis das Licht nicht mehr ausreicht. Nachhert hatte sie mits Haushalt und ihren Mächen zu tun, denn alles konnte die Oma dort auch nicht. Sie arbeitete, bis sie ins Bett fiel. Nach dem Tod von ihrem Vater übernahm die LPG ihr Land. Sie durfte weiter in der Stadt arbeiten. Bei uns verhungerschte, hatten die von der LPG gesagt. Als Ausgleich hätte ihr Deputat zugestanden, was sie nicht in Anspruch nahm, weil sie keine Tiere mehr halten wollte. Woanderschert hat man für das Land, was man in die LPG einbrachte, 50 Marks je Hektar im Jahr bekommen. Das ging bis 15 Hektar. Ob das bei uns auch so war, ich habe es vergessen und Tante Hildegard auch.

      Darüber, wie sich die Sylkener verhielten, als Astel-Knastel ihren Mann, den Sylkener Schulzen, abholte, habe ich zwei unterschiedliche Auskünfte. Von Sieglinde, was ihre mittelste Tochter ist. Die kommt manichmal nach Siehleken, ihre Mutter zu besuchen, deschertwejen man sich auf der Straße trifft und Worte wechselt. Sieglinde sagt, die Mutter hätte alle Nappern gemieden, und die Nappern mieden sie. Denn Unglück hafte wie Pech, warum man sich möglichst das anderer nicht an eigene Hände klebt. Die drei Töchter hätten auf dem Hof wie eingesperrt gelebt und wären bloß zu den Mächen vom Paschtern hin, die in dieselbe Klassen gingen und die nichts von ihrer Geschichte wussten und sie nicht aushorchten. Das Dorf schwieg zu Außenstehenden, wie es der gerade zugezogene Paschter einer war. Nicht einmal Margarete wusste, dass die Freundinnen ihrer Schwestern einen Vater hatten, dem es so wie Evchens Vater aus Arnrode ging und dass er in die ganze Geschichte verwickelt war.

      Tante Hildegard dagegen sagt, sie habe ehmt bloß viel Arbeit gehabt, und Tanz sei ja gar nicht mehr gewesen außer zum »Tag des Genossenschaftsbauern« im Mai, wo sie aber nicht geladen war. Das Schützenfest zu Pfingsten mits Tanzerei und die Feiern sonst und die Geselligkeit wären zum Erliegen gekommen. So hätte sie sich nicht groß unter Leute begeben können. Aber das Dorf hätte sie sehr wohl unterstützt. Man hätte Unterschriften gesammelt wegen der zu hohen Haftstrafe, und sie sei dann mits den Unterschriften hin zum Kreis, wo man gesagt hätte, sie wolle wohl betteln. Aber betteln hätte sie nie gewollt, was ich unterstreichen kann. Tante Hildegard ist eine sehr stolze Frau. Awer niemand niche is mir zu nahe jeträtn!, sagt sie. Se hawwen mane Mainunk jewusst, die hawwe ich ihnen offen ins Jesicht jesaacht. Un so was war dän draimal liewer wie die, die wo dän zum Maule jeredet ham. Und sie hätte ja auch Verwandtschaft genug gehabt in Sylken, in Arnrode, in Alterode. Un iche hawwe ja aach öwwer mane Arwait jar kane Zait zum Jrüweln jehabt, sagt sie.

      Aber vielleicht hat meine Tante aus ihrem Gedächtnis weggedrängt von dem, was sie doch auszustehen gehabt hat. Denn weil die Geschichte andauerte, hörte auch die Neugier nicht auf. Viel war darüber mits den Nappern zu überlegen, wie es um sie stünde mits einem Mann im Westen und sie hier mits drei Mächens und ob sie denn nicht wohl doch nach dem Westen machen wolle und wie sie es hier mits Männern hielte, denn sie war eine so schöne Frau wie keine weit und breit, schwarzhaarig, schwarzäugig, feines Gesicht und zierlich. Sieglinde sagt, die Männer im Dorfe, ob auch verheiratet, hätten keine Ruhe gegeben, besonderst einer. Weil sie nicht erhört wurden, erfanden sie und prahlten aus Rache mits was, was gar nicht gewesen war. Es gab ein Getratsche. Sie hätte sich mits keinem Manne sehen lassen dürfen, und kein Mann durfte ihr auf den Hof. Und wie ihr Mann drüben gestorben war und sie täglich, jährlich Beweise für ihre Unzugänglichkeit geliefert hatte, wetzten die Nappern erneut die Zungen. Denn nun hatte ihre Älteste einen Franzosen geheiratet. Einen Kommunisten. Was anderes ließen sie ja nicht in unser Land rein. Sie und ihre beiden jüngeren Töchter durften hin nach Frankreich reisen. Nicht nur ein Jahr, sondern das Jahr darauf wieder und noch wieder. Wo gab´s denn so was! Was sollte man sich da denken! Ob sie doch umgedreht war? Ich meine auch, so frei war sie nicht, wie sie heute denkt. Vielleicht hatte sie zunächst Unterstützung vom Dorf erfahren, waren die Sylkener so feige Hunde doch nicht, aber dann hat ihr die Neugier und das Getratsche sehr zugesetzt. Und wenn sie über der Arbeit zu keinem Nachdenken gekommen ist, so haben es doch ihre drei Mächen deutlich gespürt.

       2

      Nach der Kehrtwende marsch-marsch genau anderschtrum bin ich eines Tages hingesandt worden zu ihr. Die Idee war, eine Dorfchronik solle geschrieben werden. Es kam uns nach der Tausendjahrfeier im Wendejahr 90 ein, uns fehle so eine und wir ja noch ganz im Überschwang darüber, dass sich der Wohlstand in Ausmaßen ergießen würde über uns, wie wir ihn bis dahin noch nicht gekannt hatten. Trotzdem auch schon Nachdenklichkeit herrschte. Aber die wurde von schwarz-rot-gelben-CDU-Plakaten überklebt. In die Ortschronik sollten nun jene Jahre in der Diktatur, im Unrechts-Regime, hinein und wie man das noch betituliert, was für uns vorher bloß »bei uns« hieß oder »bei uns in der DDR«. Jehe du man bei ihr, frächst se, wie sich das domals werklich verholtn hat, sagte man zu mir im Wissen, ich war verwandt mits ihr.

      Meine Tante Hildegard hat ihren Hof vom Vater her oben am Barch. Nach dem Kirchberg steigt Sylken Richtung Mansfeld/Hettstedt noch einmal an. Zwischen Gasse und Dorfstraße fast am Ende des Dorfes befindet sich ihr Hof. Ich greife vor ins jetzige Leben, denn ich möchte euch die alte Frau nicht vorenthalten, wenn ich schon von der jungen nichts weiter sagen kann, weil sie kaum in mein Blickfeld geriet, da sie ehmt immer auf Kleeje war als Krankenschwester in Aserschlehm, und denn hatte sie auch noch mits dem Hof und ihren Mächens zu tun.

      Ich schackerte also zu ihr die Lindberg-Gasse rauf, klingelte am Tor. Als niemand hörte, ging ich durch den Hof. Der Hof nicht eben groß. Der Onkel Ernst hätte einen größeren haben können, weil er gut wirtschaftete. Denn kam der Krieg. Nachhert war sein Geld nichts mehr wert. Wie ich so ging, waren meine Gedanken damits beschäftigt, wie meine Tante mein Anliegen aufnehmen würde. Tante Hildegards Töchter alle weggemacht. Sie lebt allein und abgekapselt. Wer weiß, würde sie, Menschen nicht mehr jewohne, mich gleich wieder rausbefehlen. Doch dann meldete meine Nase mir im Haus einen süßen Duft, der Festtag verhieß. Und wo Festtag in Vorbereitung ist, ist Freude und somit eher freundlicher Empfang zu erwarten. Mits schon mehr Mut ausgestattet, trat ich in die Küche ein.

      Ach du, Fritzchen!, sagte meine Tante Hildegard. Jerade bin iche baim Backen vonnem Matzkuchen. De Annett kommt, mane Enkelin aus Quedlingburch!

      Ach was, sagte ich.

      Ja, die besucht miche immer mal. Manichmal fährt se zejor mits es Rad de janze Strecke. Vieranhalb Stundn. Stelle dir das mal vor, Fritzchen!

      Das is awer lieb vonner!, sagte ich und konnte die Enkelin verstehen, denn nun bemerkte ich: Nicht nur sieht meine Tante Hildegard immer noch hübsch aus wie sonst keine alte Frau, die ich kenne, mits fast noch schwarzen Haaren. Sie kann lächeln! Es schmilzt einem das Herz. Sicher raubte sie in anderen Zeiten den Männern, die in ihre Nähe kamen, damits ihren Verstand. Die Nachrede von den Nappern konnte ich nun verstehen. Ich rückte mits der Sprache heraus, dass wir eine Dorfchronik schreiben und dazu von ihr wissen wollten. Musste aach jornischt saren, Dante Hildejord!, beschwichtigte ich sie. Nur ehmt, ich soll des dir als Anliejen vortraachn!

      Das dausendjährje Siehleken!, erwiderte sie. Und statts mich vor die Tür zu setzen, überzog ein spöttisches Lächeln ihr rotbäckiges, feines Gesicht. Ihre dunklen, fast schwarzen Augen glitzerten gar nicht altweiberhaft. Na ja, denne. Setze dir un kost von maim Matzkuchen. Oder wolln mer hoch in die Schtuwe?

      Nein, das wollte ich nicht, ist es doch so heimelig, wo gekocht, gebacken wird. Auch wollte ich durch ihr kleines Rotnessel-Blumen-Fenster hinaus auf ihren Hof gucken. Wie hatte sie den hergerichtet, nachdem nun weder Jäule noch landwirtschaftliche Geräte ihn bevölkerten. Bäume, Bäumchen wuchsen, Steinpflanzen. Kaum noch Platz, dass Blumen gediehen. Das war kein Garten, das war schon wildwuchernder Dschungel, versteckt in Mauern zwischen Ziegelscheune, Stall und Haus. Ich war stark beeindruckt. Gärten hatte man in Sylken außerhalb vom Dorf, am meisten Schrebergärten oder ein Stück Land, was einem gehörte. Sylken selbst Hof an Hof, Hoff an Hoff, wie man bei uns sagt, die Gassen, Straßen rundum und hinauf, hinab. Man lässt sich nicht reingucken, ehmt wie kleine Festungen sind sie aus Ziegel oder Fachwerk-Lehmbauten. Das Pfarrgehöft in der Dorfmitte mits seinen Gärten, seinen Linden, Nussbäumen und so weiter erschien uns Kinnern deschertwejen als etwas so Besonderes. Es war ein Wunder, warum wir trotzdem in

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