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Seele ist wohl zu hartgesotten, als dass sie sich in Spintisiererei verliert, bloß weil sie mal was Schönes zu sehen kriegt. Schon der Martin Luther hat ja seine Schwierigkeiten mits der Kerche gehabt. Nur war damals die Religion so gang und gäbe, dass man nicht ganz herausfallen und Atheist werden konnte. Nun wuchs und gedieh es also hier im ausgedienten Hof. Eine Herzenslust war es, das mits anzusehen!

      Tante Hildegard machte uns Kaffee. Ich langte beim Matzkuchen zu, wie man bei uns zu Quarkkuchen sagt. Meine Tante gab Auskunft. De Friedensdante, saachste? Fritzchen, da biste aufm Holzwäch. Im Jrunde war se ne arme Verrickte. Die hat die draie niche ins Kittchen jebracht. Oder saren mir so: Deschertwejen sin se niche ins Kittchen, wail se der ollen Frau mitjespielt ham. Die Jeschichte hat es Fass bloß öwwerlaufn lassn. Schuld war der Laichtsinn manes Mannes, dasser dachte, ihm kann jor nischt passiern. Ihm doch niche. Er is ja so beliebt. Trotz sane Verwundunk isser offenbar in saner Nachrichten-Anhait immer noch zu jut öwwern Kriech gekomm, dasser sich ne Lehre anjenomm hätte. Aus de russische Jefangenschaft ham se ihn aach vorzaitch entlassn aus Dankbarkeit, weil er ehmt so jeschickt war un den Russen jeholfn hat beim Widderaufbau von ihre Kraftwerke. Er hat ja bai Junkers Ingenieur jelernt. Un das Verrickte, Fritzchen, se ham ihn zejor nachhert im Kittchen widder for sane juten Laistungen zum Aktivisten der Sozialistischen Arwait jemacht!

      Ein Lachen flitzte in mein Gesicht, weil ich von so was bisher nicht gehört hatte, dass man sogar im Kittchen als Gefangener zum Helden geschlagen wurde und von da an als ausgezeichneter Aktivist herumlief. Werklich wohr?, fragte ich.

      Du iche miche so was ausdenkn?, sagte meine Tante.

      Nee, nee, sagte ich eilig.

      Tante Hildegard redete weiter: Er hatte ehmt was Jewinnendes un Verstand zu tifteln un was widder in Jank zu bringen. Der Fähler war, dass de Russen ihn als Schulzen anjesetzt ham. Dardarzu warer niche jeaichnet. Zu laichtes Blut, ja? Sie sah mich an, ob ich richtig verstehe. Und ich gab ihren Blick zurück. Immer in de Knaipen, hat in de Harzderfer owen mitter Quetschkommode zum Danze offjespielt. De Leite ham ihn jemocht. Awer aner is immer dabei, Fritzchen, du waßt. Ich hawwe viel dröwwer nachjedacht. Es hat ehmt jeder san Schicksal, san Päckchen zu traachn, ja? Tante Hildegard blickte mir wieder in die Augen, um sich zu vergewissern, ob ich ihre Meinung teile.

      Tante Hildegard sinnierte vor sich hin. Und ich ruhte mich im Zuhören aus, erstaunt wie erfreut, dass sie so frei mits mir redete, da ich auf das ganze Gegenteil eingestellt gewesen war.

      61 im Sommer wollden mer röwwer, redete sie weiter. Wie man Vader, dan Jroßonkel Ernst, in Rende jink. Iche, mane Jroße un mane Klane. Die Siechlinde niche, die wollde baim Jroßvader blaihm. Man Jott, was hat das Kind anem jehangn! Du kennsten ja aach noch. Iche hawwe man Mann öfters in Berlin besucht. Iche allane un mits de Mächens. Zur Siechlinde hatter gesaacht: Du brauchst kan Vader, du hast dan Jroßvader. War so. Im Westen hat man Mann denn bai Siemens ane jute Arwait jehabt. Was ich ihm anerkannt hawwe: Er hat sich niche als Opfer darjestellt, als er da dröm war. Trotzdem er sich in Bautzen ane offene Debece jeholt hat wie die annern Männer aach, un schließlich starb er dardardran. Na ja, konnte sane Raacherei niche offjehm, hat aach sonst unverninftich jelebt da dröm. Also, wenn man Vader in Rende jink, wolltn mir röwwer. Awer im Mai 61 is man Vader jesterzt, vonner Schoßkelle runger inne Ackerfähre. Bis mern jefundn ham! Denn hawwe iche de Ernte anbringn missn. Das war ne Schungerei.

      Allane?, fragte ich.

      Fast. Nappern ham mer jeholfn, de Arnolds zum Baispiel.

      Trotzdäm, sagte ich. Dass de diche da hast abschinden missn, kann iche mer vorstelln.

      Dan Vader hat aach jetan, wasm meechlich wor, erwiderte Tante Hildegard. In dem Sommer kam de Mauer. Iche denke, es hat so sollen san. Man Mann hat ja denn aach niche mehr lange jemacht. Un ich denn allane mits de Mächens dröm, ja? Un früher ihm nach? Konntch mir offn verlassen? Ich mane, warum isser wech? Hätt mer doch besprechn könn! Mits de Amnestie 56 hat er sane Strafe abjebießt un hat sich zejor ausjezaichnet. Er hätte widder neu anfangn können in san aijentlichen Beruf. Iche denke, er hat uns nischt jesaacht, weil er jedacht hat, mir sin niche dafier. De Frau von dem Arnröder, na jut, die wor niche von hier un hatte niemand, was sollde se machn, un der Mann war schon älter, war schon im erschten Krieje Offzier, die is jlaich mitm Mann und mits ihre zwai Kinner mits. Der Jroße schon mits Awitur. Awer Jlick hat se aach niche jehabt. Iche war bis zuletzt noch mitser im Kontakt. Un ehmt: Ich wollde man Vader niche im Stiche lassn. Der hat for mir un die drai Kinner jesorcht, wie man Mann niche da war. Un öwwerhaupt, mane Eldern hawwen mer alles ermeglicht. Jeld war ja da. Iche de anzije. Trotzdem, annen Hoff ham se mir niche jefesselt. Winters bin iche jeraist un bin in Stellunk jejangn, um zu lern. Un schon als Kind bin ich jerne nach Berlin zu mane Scharlottenburjer Verwandten. Die ham sich mitm Jedankn jetraachn, ob se mir niche adoptiern wolln. Berlin vorm Kriech war scheen. Hat miche jefalln. Awer, Fritzchen, janz in de Stadt? Nee, iche bin an Bauer! Wie was underweechs war, da hat man Vader jesaacht: Du mußtn niche hairatn! Ziehks Kind allane jroß. Mir sin doch da. Musste dir vorstellen, Fritzchen! Damals! Da hat mer noch viele Johre lank an uneheliches Kind als ne Schande betracht. Man Vader hat jeahnt, man Mann passt niche. Er is kan Bauer. An Bruder Lustich. Janz anderscht als wie iche. Iche war niche fors Faiern. Iche muß mits de Hände in de Erde, was pflanzn, säen und glupschen, was rauskommt. Un Fritzchen, nach so vielen Johrn kann ichs saren: Mane jroße Liewe warer aach niche. Das war man Verlobter, der im Kriech jebliehm is. Man Mann war lebensfroh un jut aussehend. Da isses passiert. Es is ehmt ans nach dem andern verkehrt jeloofn. Den Anfang war im Kriech. Un wer dardardran schuld is, waßt du. Woll mir uns mal ehrlich san, de Polen niche un de Tschechen niche oder die Russen. Awer ausbadn missn dies nach so viele Johre immer noch.

      Du hast werklich wechmachn wolln?, fragte ich.

      Ja. Awer wie die Mauer kam, war ich aus mane Frarerei, was nu richtich is, raus. Man Vader hat sich nochemal jerappelt. Im Herbst isser denn furtjemacht. Leukämie. Der Arzt hat gesaacht, die paar Monate bei dem Alder, das is unjewehnlich, das musser schon lange mits sich rumjeschleppt hawwen. Un wie de Pfäre um ihn jetrauert ham, Fritzchen! Das ane hatn doch offn Friedhoff jezochn. Am Ahmd musste iche das ane das mits Nappern rejelrecht vom Jrabe wechtreckn. Zun Menschen jabs vonnem sowieso nie an böses Wort. Hawwe ich zwischen man Vader un mane Mudder nie jeheert. Un trotzdem er so jrob zu die Zottn war, ham se wohl sane Liewe jefiehlt, wasser werklich forn Mensch war.

      Ich dachte an meinen Vater. Der in der Art vielleicht von seinem Onkel was hatte. Und hat ja auch die Jäule manichmal traktiert, wenn sie nicht wollten wie er. Aber trotzdem!

      Meine Tante guckte mits offenen Augen in sich hinein. Bei der Betrachtung wollte ich nicht stören. Ich erinnerte mich an meinen Großonkel Ernst, was der für einer gewesen war. Offenbar ein Mann mits viel Liebe und Zartheit für seine einzige Tochter. Ich sahk ihn vor mir, wie ich ihn am liebsten hatte: als stattlichen Mann im Sonntagsstaat. Die Sonntage oben auf seinem Hof so ganz anderscht als wie bei uns: Er ging nicht zur Kirche. Doch er kleidete sich feiertäglich. Wenn er um Feldarbeit nun gar nicht drumrum kam, so hat er sich nachhert noch gewaschen und ist in seinen Anzug gestiegen, sodass er fein aussah. Auch meine Großtante, was eine liebe Frau war, und die ganze Familie am Sonntag fein angezogen. Manichmal habe ich mich hingeschlichen, damits ich an so einer Familie teilhatte, die den Sonntag feierte und von allen Tagen sonst unterschied. Ich aß mits vom frischen Blechkuchen und ließ es mir wohl sein. Ich sahk auch die drei Mächen gerne an, wovon die älteste hellblonde Haare hatte und blaue großtraurige Augen, die mittelste, die Sieglinde, goldene fast kupferne lockige Haare. Die leuchteten! Sieglinde gefiel mir am besten. Heute ihre vielen Haare auch dunkel und kurz. Als eine der wenigen von unse Verwandtschaft hat sie mits ihren kleinen, schrägstehenden Augen und ihren hohen Wangenknochen und breitem Gesicht Ähnlichkeit mits dem Martin Luther, der der Bruder von unsem Urahn sein soll. Die Jüngste, eine kleine Schwarze, ist mir damals bisschen tücksch vorgekommen. Heute ist sie eine regelrechte Schönheit auf andere Art als ihre Mutter vorzeiten, mehr herbe, doch hat sie von ihr die Schwärze der Haare und Augen.

      Mächtigen Respekt hatten ich und alle Menschen vor meinem Großonkel. Er ein studierter Bauer, was man damals sonst nicht oft hatte. Der hatte sich viele Gedanken gemacht, was dem Boden guttut und damits den Menschen. Er hatte eine hohe Vorstellung von seinem Beruf. Trotzdem er nicht der älteste Sohn war und kein Hoferbe, hat er sich dem Bauernsein

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