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ideal wäre für ihre Mutter. Sie könnte ja zunächst an einem Tag pro Woche dort hingehen, und wenn es ihr gefiele, auch öfter. Finanziell wäre es kein Problem. Ihre Mutter hatte eine gute Rente von Ellas Vater.

      Am nächsten Tag wollte sie endlich ausprobieren, wie es ihrer Mutter dort gefallen würde. Es wurde ein kostenloser Schnuppertag angeboten, und da ihre Mutter sich bisher kategorisch geweigert hatte, ihn wahrzunehmen, würde Ella sie jetzt eben quasi zu ihrem Glück zwingen.

      ~

      Am nächsten Tag schien eine kräftige Märzsonne. Ella war pünktlich um neun bei ihrer Mutter, die sie verwundert ansah. „Was machst du denn um diese Zeit schon hier? Du kommst doch immer erst mittags.“

      Ella erinnerte sie an ihren Plan. Es lag ihr auf der Zunge zu sagen: „Aber Mama, hast du denn seit gestern Nachmittag schon vergessen, dass wir heute einen Ausflug machen?“ Doch das hatte keinen Sinn, denn ihre Mutter konnte ja nichts dafür, dass sie zunehmend die einfachsten Dinge vergaß.

      Nach einigem Hin-und-Her verfrachtete sie die alte Dame schließlich auf dem Vordersitz ihres Autos, den Rollator klappte sie zusammen und schob ihn in den Kofferraum. Sie hatte dafür den Rücksitz ihres Kleinwagens seit Monaten auf einer Seite nach vorne geklappt, denn für die regelmäßigen Fahrten zum Arzt oder zum Essen gehen brauchte Hannelore Schmitz ihre Gehhilfe immer.

      Sie fuhren ein Viertelstündchen, dann hielt Ella vor einem weiß getünchten Haus mit roten Balkons an der Vorderseite. Sie schnallte ihre Mutter ab, sagte: „Komm!“ und stieg aus. Sie holte den Rollator aus dem Kofferraum und schob ihn ihrer Mutter vor die geöffnete Autotür.

      Sie brauchte zwei Anläufe, bis sie mit Ellas Hilfe endlich stand. Verunsichert sah sie ihre Tochter an. „Was wollen wir denn hier? Ich dachte, wir machen einen Ausflug.“

      „Genau. Und der fängt hier an!“

      Sie gingen langsam nebeneinander her. Ella öffnete die breite Glastür und hielt sie ihrer Mutter auf. Sie hatte das Ehepaar, das die Tagesstätte betrieb, am Nachmittag zuvor darüber informiert, dass sie ihre Mutter bringen würde und die wahrscheinlich nicht nur überrascht, sondern auch abweisend wäre.

      „Das kennen wir schon!“, hatte die freundliche Frau gesagt. „Die alten Leute wollen zunächst alle nicht zu uns kommen, weil sie denken, ihre Angehörigen wollen sie abschieben. Aber wenn sie bemerken, dass sie nicht mehr allein sind und beschäftigt werden, gefällt es ihnen bei uns.“

      Ella hoffte, dass dies bei ihrer Mutter auch der Fall wäre.

      Nun kam die Leiterin der Tagesstätte in den Vorraum hinaus. „Hab ich doch richtig gehört, wir bekommen Besuch!“ Sie lächelte der alten Dame freundlich entgegen. „Guten Tag, ich bin Brigitte Metzger. Kommen Sie herein!“

      Hannelore Schmitz war so überrascht, dass sie der Aufforderung folgte. Als Ella hinter ihr den großen Raum betrat, sah sie weiter vorne vor dem breiten Fenster einen langen Tisch, an dem sieben alte Menschen saßen. Zur Linken stand ein breiter Schrank, der als Raumteiler diente und allerlei Utensilien enthielt, wie sie später erfuhr: Spiele, Scheren, Klebstoff und andere Dinge, die sich zum Basteln eigneten.

      Die Leiterin bugsierte ihre Mutter samt Rollator zu dem Tisch, wo auch eine junge Frau mit einem Baby auf dem Arm saß. Sie lächelte Hannelore Schmitz freundlich entgegen, und die setzte sich auch prompt neben sie. Ella schien sie vergessen zu haben.

      Die blieb unschlüssig nahe der Tür stehen. In dem Moment kam ein etwa fünfzigjähriger Mann aus der Küche neben dem Eingang. Er verbeugte sich lächelnd und reichte ihr die Hand. „Guten Morgen. Ich bin Herbert Metzger und leite hier zusammen mit meiner Frau die Tagesstätte.“

      Ella schüttelte seine Hand und ließ sich von dem freundlichen Mann über einiges informieren. Zwischendurch warf sie immer wieder bange Blicke zu dem Tisch hinüber, wo Brigitte Metzger ihre Mutter gerade den anderen alten Leutchen vorstellte.

      Hannelore Schmitz saß mit zusammengepressten Lippen auf einem Stuhl in der Mitte und sagte kein Wort.

      Ella hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie sie nicht vorgewarnt hatte. Sie kam sich wie eine Rabenmutter vor, die ihr Kind am ersten Tag im Kindergarten ablieferte, obwohl es eigentlich nicht hin wollte.

      „Wann ist die Betreuung zu Ende?“, fragte sie den Mann.

      „Um halb fünf werden die Leute wieder abgeholt oder wir bringen sie heim, je nachdem, ob ein Familienmitglied sie fahren kann oder nicht.“

      Ella nickte zögernd. Ob ihre Mutter freiwillig so lange hier bleiben würde? Sie nahm einen Zettel aus ihrer Handtasche und kritzelte ihre Festnetz- sowie ihre Handynummer darauf. „Für den Fall, dass sie zuvor heim möchte“, sagte sie und gab dem Mann den Zettel.

      Er nahm ihn, sagte aber: „Ich glaube nicht, dass dies nötig sein wird. Sehen Sie mal!“ Er wies zu dem Tisch. Ella sah, wie ihre Mutter dem Baby auf dem Arm der jungen Frau liebevoll über die Wange strich. Und sie strahlte dabei!

      „Die Frau kommt ab und zu mit ihrem Kind hier vorbei. Eine andere hat einen kleinen Terrier, mit dem sie uns besucht. Den Leuten gefällt das.“

      Das konnte Ella sehen. Die Alten sahen alle das Baby an, ein Lächeln auf ihren Gesichtern. Und ihre Mutter schien vergessen zu haben, dass sie da war. Sie grinste den Mann an. „Ich glaube, das ist der perfekte Moment für meinen Abgang! Um halb fünf bin ich wieder da.“ Sie winkte ihm kurz zu und ging.

      Da sie schon einmal unterwegs war, besorgte sie in einer nahen Apotheke gleich Medikamente für ihre Mutter, kaufte sich ein Paar dringend benötigte Frühjahrsschuhe und ging ganz spontan in ein Café in der Altstadt, wo sie einen Kaffee trank und ein Croissant aß, während sie sich Notizen für das nächste Kapitel machte.

      Gegen Mittag kam sie entspannt nach Hause, sah auf ihrem Anrufbeantworter nach, ob in ihrer Abwesenheit jemand angerufen hatte – nein. Dann startete sie die Waschmaschine, nahm sich eine Flasche Wasser und setzte sich vor ihren Laptop. Erleichtert stellte sie fest, dass sie noch einen halben Tag vor sich und fast alles erledigt hatte, was dringend gewesen war.

      Während sie die Datei mit ihrem angefangenen Roman aufrief, dachte sie, wie hilfreich es wäre, wenn ihre Mutter für ein bis zwei Tage pro Woche in diese Tagesstätte ginge. Sie hätte jemanden zum Reden, wäre beschäftigt, und Ella müsste nicht jeden Tag für sie mitkochen.

      Kapitel 5

      Sarah war ein paar Meter von dem Pub entfernt, als neben ihr Erins Land Rover parkte. „Perfektes Timing!“ Sarah strahlte sie an.

      Hinter der schweren Holztür hing ein dicker roter Samtvorhang, wahrscheinlich, um an regnerischen und windigen Tagen, von denen es hier im Norden bestimmt etliche gab, Feuchtigkeit und Kälte abzuhalten.

      Sarah sah einen Raum, der etwa so groß wie ein geräumiges Wohnzimmer war. Rechts, zur Straße hin, waren zwei Butzenfenster in die Wand eingelassen, die nur wenig Licht hereinließen. Gegenüber vom Eingang war eine Theke aus dunklem Holz, daneben führte eine Tür zu den Toiletten. Im mittleren und linken Bereich standen fünf Tische, die jeweils sechs Personen Platz boten. Sie waren verwaist und von den fünf Barhockern war nur einer besetzt.

      „Es ist noch ziemlich früh, aber innerhalb der nächsten halben Stunde kommen sie angekrochen“, sagte Erin.

      Ein grauhaariger Alter drehte sich auf seinem Hocker herum, als die beiden jungen Frauen an die Theke traten.

      „Angus, grüß dich! Was macht das Rheuma?“ Erin klopfte ihm auf die Schulter.

      „Frag nich …“ Er trank einen großen Schluck Guinness, dann zeigte er auf Sarah. „Is das die Frau mit der Salbe?“

      Erin lachte. „Genau. Das ist Sarah, meine Jakobswegschwester. Sarah, das ist Angus. Ich weiß nicht genau, wie alt er ist. Aber er kommt hierher, seit ich als kleines Kind zum ersten Mal da war. Er gehört also quasi zum Inventar.“

      „Mach mich nich noch älter“, brummte der Grauhaarige in seinen Bart, aber er nickte Sarah freundlich zu.

      Erin

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