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Monate überstehen. In dieser ganzen Zeit arbeiten wollte sie nicht, sie brauchte eine Pause von allem.

      Ein längerer Auslandsaufenthalt steckte ihr in der Nase – nur wo? Alleine wegzufahren stellte sie sich nicht besonders amüsant vor. Und Tanja ging mit ihrem Freund auf Tour.

      Sie fuhr in die Leihbücherei und gab die drei Wälzer zurück, die ihr bei der Vorbereitung aufs mündliche Abitur geholfen hatten. Danach streifte sie durch die Gänge und besah sich hie und da Romane und Biografien, fand aber nichts, was sie gereizt hätte. Sie ging gerade am Empfang vorbei, als eine Frau ein Buch zurückgab: Ich bin dann mal weg.

      Sarah hatte von dem Buch gehört, es aber bisher nicht gelesen. Jetzt zog sie etwas Magisches zu ihm hin. Sie nahm es in die Hand, las den Klappentext und sagte: „Ich möchte das Buch leihen.“

      In der WG kochte sie sich eine Kanne Tee und schälte sich ein paar Karotten. Dann kuschelte sie sich in ihren Lesesessel und tauchte ab. Als sie wieder auftauchte, war es drei Uhr morgens. Sie hatte das gesamte Buch gelesen und beschlossen, dass auch sie diesen Pilgerweg nach Santiago de Compostela gehen wollte. Es musste etwas Außergewöhnliches her, etwas, das sie aus dem bisherigen Einerlei herausreißen würde.

      Und wer weiß, dachte sie, vielleicht habe auch ich das Glück und erfahre irgendetwas Spirituelles auf dem Weg. Wenn nicht, habe ich meinem Körper etwas Gutes getan, mein Spanisch aufgefrischt und bestimmt einige interessante Menschen kennengelernt.

      Sarah öffnete die Augen, sah auf ihre Uhr und stellte fest, dass sie bereits eine Viertelstunde später in Glasgow landen würde. Sie war unterwegs zu einem dieser interessanten Menschen: Erin, die sie auf dem „Camino“ bei Inca getroffen hatte.

      Die Schottin hatte sie drei Jahre zuvor in Heidelberg besucht und seither bekniete sie Sarah, doch zu ihr nach Schottland zu kommen. „Ich vermiete in Dingwall, wo ich lebe, einige Cottages. Ich mache dir als meine Jakobswegschwester einen guten Preis, und du kannst solange dort bleiben, wie du willst.“

      Aber Sarah hatte bisher nicht die Ruhe gehabt, dieser Einladung zu folgen. Studieren und nebenher arbeiten war recht zeitintensiv gewesen. Doch jetzt, bevor sie ihr Berufsleben anging, wollte sie vier Wochen in diesem Schottland verbringen, von dem Bekannte ihr gesagt hatten, dass „wenn du einmal dort warst, dich die Sehnsucht packt und du immer wieder hin willst bzw. gar nicht mehr von dort weg“.

      Von Glasgow aus würde sie den Zug in den Norden nehmen, bis Inverness, wo Erin sie abholen wollte. Sarah streckte sich. Sie war gespannt, was sie erwartete, und sie freute sich, endlich die Frau wieder zu sehen, mit der sie sich auf Anhieb so gut verstanden hatte.

      Kapitel 2

      Ella lehnte sich zurück, schloss die Augen und lockerte die verspannten Schultern, so gut es auf die Schnelle ging. Für heute hatte sie wahrlich genug geschrieben. Außerdem musste sie dringend eine Maschine Wäsche waschen, sie hatte kaum noch Shirts und Blusen zum Anziehen. Ihre Bügelwäsche wartete auch geduldig darauf, dass irgendjemand sich ihrer erbarmte, und die Unterlagen vom ganzen letzten Jahr musste sie auch dringend einsortieren.

      Ella hasste diese Augenblicke, wenn sie wusste, dass sie sich von ihrem Schreiben lösen, von ihren erdachten Charakteren abwenden musste, um ihre Pflichten zu erledigen. Die Personen in ihren Romanen waren für sie so real wie für andere liebe Bekannte oder Freunde. Sie lebte mit ihnen und in ihren Gedanken. Sie waren ihr vertrauter als manch anderer, den sie schon ihr Leben lang kannte. Sie hätte gern gleich weitergeschrieben und erzählt, wie das erste Wiedersehen von Sarah und Erin verlaufen würde.

      Und es floss gerade so gut. Nach dem Anruf vom heutigen Vormittag waren ihr Flügel gewachsen. Sie hatte schon länger wieder einen Schottlandroman schreiben wollen. Jetzt war es endlich soweit, und sie hätte sich am liebsten eingeigelt und sich nur noch ihrer Geschichte gewidmet.

      Als sie zum Anfang des Kapitels zurückscrollte, um wenigstens ein erstes Mal das Geschriebene zu überarbeiten, hörte sie, wie die Wohnungstür geöffnet wurde. Ein überraschter Blick zur Uhr zeigte ihr, dass es fast sechs war. Wo war denn die Zeit hingekommen? Sie hatte doch vor kurzem, als sie sich einen Kaffee gemacht hatte, noch auf die Uhr gesehen. Da war es vier.

      Rasch speicherte sie die Datei ab und klappte ihren Laptop zu, als auch schon ihr Mann ins Arbeitszimmer kam.

      „Ach, DA bist du! Ich dachte, das Essen sei so gut wie fertig.“

      Innerlich total genervt, weil sie weiterschreiben anstatt kochen wollte, sagte sie: „Ich lege gleich los, aber ich musste zuerst noch dieses Kapitel beenden.“

      Während sie an ihm vorbei zur Tür ging, murmelte er: „Pseudoarbeit.“

      Sie drehte sich um. „Wie bitte?“ Ihr Blick war streng.

      „Naja, ich mein ja nur, du solltest besser etwas Sinnvolles mit deiner Zeit anfangen, als diesen Mist da zu schreiben, den eh keiner lesen will.“

      Sie ging in die Küche, holte den Eisbergsalat aus dem Kühlschrank und attackierte die harten Blätter verbissen mit einem scharfen Messer. „Erstens schreibe ich keinen Mist, sondern romantische Geschichten, die vielen Leuten gefallen. Und zweitens hat mich heute Morgen meine Literaturagentin angerufen, um mir zu sagen, dass ein mittelgroßer Verlag meinen dritten Roman angenommen hat. Ich werde zwar einiges ändern müssen, aber das ist doch eine gute Nachricht, oder?“

      Klaus hatte sich ein Bier aus dem Kühlschrank geholt, dann war er damit zum Sofa geschlurft, hatte es sich liegend bequem gemacht und den Fernsehapparat, der den ganzen Tag lang ohne ihn hatte auskommen müssen, zum Leben erweckt. Eine schlanke, junge Moderatorin mit dem ewig gleichen gekünstelten Lächeln kündigte den neuesten Klatsch von B- und C-Promis an, während Klaus den Videotext aktivierte. „Mm“ brummte er nur. Und Ella wusste, dass er ihr mal wieder nicht zugehört hatte. So wie fast immer.

      Sie legte das Schneidemesser zur Seite, ging zur Couch und pflanzte sich neben ihm auf. „Und was soll ich stattdessen Sinnvolles tun? Mich durch den Videotext lesen, die Nachrichten und danach irgendeinen Krimi oder eine Sportsendung anschauen, bei der ich dann einpenne und laut schnarche?“

      „Mein Gott, ist ja schon gut!“ ereiferte sich ihr Göttergatte. „Da kommt man müde gearbeitet nach Hause, hat Hunger und will etwas Leckeres essen, bevor man sich ein bisschen entspannt. Stattdessen wird man angepflaumt!“

      „Damit hast ja wohl du angefangen!“ verteidigte sich Ella, während sie in die Küche zurückging, um den Salat zu waschen.

      „Ach, lass mich doch in Ruhe! Du bist heute wohl mit dem falschen Fuß aufgestanden. Weiber!“

      Ella stand vor dem Spülbecken und presste die Lippen zusammen. So lief es in letzter Zeit meist zwischen ihnen. Kaum war Klaus zuhause, gab es irgendeinen Grund zum Streiten. So war das früher nie gewesen. Sie hatten eine gute Ehe geführt, hatten Respekt voreinander gehabt und sich geliebt. Wann hatte sich das geändert?

      Sie füllte den großen Topf mit Wasser, gab etwas Olivenöl und Salz hinein, dann stellte sie die Herdplatte auf Stufe 12. Im Vorratsschrank holte sie drei Dosen mit stückigen Tomaten, schnitt zwei große Zwiebeln in Würfel, hackte zwei Zehen Knoblauch, den rohen Schinken schnitt sie in dünne Streifen und die Oliven halbierte sie. Dann gab sie Olivenöl in die Pfanne, erhitzte sie, holte die Linguine aus dem Schrank und begann, den Parmesankäse oder das, was man als Parmesan hierzulande verkaufte, zu hobeln.

      Sie hatten sich einmal geliebt, aber das war lange her. Seit über zwei Jahren hatte Klaus sie nicht mehr angerührt. Okay, sie hatte einiges an Gewicht zugelegt in den letzten Jahren. Dann kam noch diese OP am rechten Sprunggelenk. Nach der Physiotherapie hatte sie es versäumt, wieder ihre Joggingrunden zu drehen, die sie schon in den Jahren zuvor meist vernachlässigt hatte. Es hatte geschmerzt, sobald sie es versuchte. Und einfach so spazieren gehen brachte ihr keine Freude. Sie gehörte nicht zu den Frauen, die im Februar die ersten Schneeglöckchen am Wegesrand entdeckten und darüber in Freudentränen ausbrachen.

      Also hatten sich über die Jahre einige unerwünschte Fettpolster an ihren Hüften breitgemacht. Und sie hatten sich dort offensichtlich so wohl gefühlt, dass sie ihre Kameraden riefen, die dann die

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