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gehörte.

      „Da drüben“, Erin wies zur Rechten, „ist das frühere Townhouse, also ein Stadthaus, aus dem 18. Jahrhundert. Heute ist dort das Städtische Museum untergebracht.“

      „Das werde ich mir auf jeden Fall ansehen. Und ich habe gelesen, dass ihr auch ein Schloss habt.“ Sarah sah ihre Freundin erwartungsvoll an.

      Erin lachte. „Wenn du so eine große, alte Ruine meinst, wie bei euch in Heidelberg, die imposant auf einem Hügel steht, muss ich dich enttäuschen. Von Dingwall Castle steht nur noch ein Rundturm von etwa vier Metern Durchmesser. Wir sehen ihn uns die nächsten Tage mal an.“

      Sie bog in eine ruhige Straße ein. Sarah sah auf der linken Seite schmale Häuser, die so eng nebeneinander standen, dass man auf den ersten Blick nicht sah, wo das eine aufhörte und das andere anfing.

      „So, hier wären wir. Die sechs hier gehören mir.“

      Sie parkte vor dem letzten der Häuser. „Ich habe im Moment vier davon vermietet. Ich habe dir das letzte gegeben, weil du von dort aus nur etwa 200 Meter weitergehen musst, um am Meer zu sein.“

      „Das ist super. Ich danke dir!“

      Sie holten die Einkaufstüten aus dem Kofferraum und danach Sarahs Gepäck. Erin schloss die Tür zu dem alten hellgrauen Steinhaus auf. Sarah folgte ihr in einen engen Gang.

      Rechterhand lag eine gemütlich eingerichtete Wohnküche, vor der eine kleine Terrasse auf ein Minirasenstück von etwa vier Metern Länge und drei Metern Breite führte. Eine Garage stand neben dem steinernen Weg, der nach hinten in Richtung Feld führte.

      „Rein theoretisch kannst du von hier aus die Hügel da vorne hochgehen und bist irgendwann oben mitten in den Highlands. Aber alleine solltest du keine Wanderung unternehmen. Man kann sich, wenn man sich hier nicht auskennt, leicht verlaufen. Und das Wetter schlägt manchmal sehr schnell um.“

      Gegenüber der Küche lag ein recht großzügiger Waschraum, komplett mit Maschine und Trockner. Merkwürdigerweise waren an einer Seite eine Toilette und ein kleines Becken in die Wand eingelassen.

      „Das ist die frühere Sommerküche, die alten Häuser hier hatten alle eine. Meine Großeltern haben sie dann zu einer Waschküche umfunktioniert, ich habe später die Toilette neben dem Becken einbauen lassen, sonst müsste man immer in den ersten Stock raufgehen, wenn man mal muss.“

      Hinter der Küche war ein gemütliches Wohnzimmer. Die Sitzmöbel waren mit altrosafarbenem Chintz überzogen. In dem Wohnzimmerschrank aus schwerer Eiche stand ein moderner Flachbildschirm, daneben ein DVD-Rekorder. „Du kannst nichts damit aufnehmen, aber Filme abspielen. Wenn du Interesse daran hast, kann ich dir etliche DVDs mit Dokus aus Schottland leihen.“

      „Das wäre toll, das interessiert mich.“ Sarah sah sich in dem Zimmer um. Der Kamin an der einen Seite gab dem Zimmer einen behaglichen Touch und der große Ohrensessel würde ihr Lesesessel werden. Sie nickte anerkennend. „Hier werde ich mich wohlfühlen.“

      Erin führte sie in den Gang zurück. „Und damit sind wir im Erdgeschoss schon durch.“ Hinter der Waschküche führte eine schmale Treppe nach oben. „Der erste Stock wurde erst im 20. Jahrhundert draufgesetzt. Deshalb ist er moderner gestaltet.“

      Vom Gang oben gingen drei Türen ab: eine in ein Schlafzimmer mit Doppelbett, eine andere in das Bad daneben. Wie meist üblich in Großbritannien, hatte es keine Dusche, sondern eine Wanne mit Duschvorrichtung und Vorhang.

      Erin wandte sich der dritten Tür zu. „Und hier ist in den anderen Häusern noch ein Einzelzimmer. Aber ich dachte mir, da du keine zwei Betten brauchst, habe ich es ein bisschen anders eingerichtet. Ich habe nämlich im Frühjahr die Wände neu streichen und gleich einige Zimmer anders gestalten lassen. Und wenn ich mich richtig erinnere, hast du dir ein bisschen Arbeit mitgebracht.“

      „Ja, stell dir vor, der Mann von der Immobilienfirma, für den ich arbeite, hat letzte Woche angerufen und mich gefragt, ob ich für einen Kollegen von ihm einen Teil des neuen Katalogs übersetzen könne. Es sind 100 Hochglanzseiten mit tollen Fotos von teuren Villen. Dahinter kommt ein Teil von zwanzig Seiten, die er auf Französisch braucht. Da werden Details der Häuser angeführt. Und ich bekomme pro Seite fünfzig Euro. Das sind tausend Euro und es ist gutes und leicht verdientes Geld. Allerdings muss ich das bis Ende August fertig übersetzt haben, also habe ich es mitgebracht.“

      „Dann stell deinen Laptop hierher und stürz dich drauf – aber erst am Montag, wenn ich wieder arbeiten gehe. Die nächsten vier Tage will ich dich uneingeschränkt für mich!“

      Sarah ging hinter ihr in den kleinen Raum, der schätzungsweise zwölf Quadratmeter hatte. Am breiten Fenster stand ein alter dunkelbrauner Schreibtisch aus massivem Eichenholz. Davor ein bequem aussehender Stuhl und linkerhand ein schmaler Aktenschrank.

      „Wow!“ Sarah ging zum Schreibtisch und fuhr mit einer Hand über die Platte. „Es ist absolut spitze, dass ich den habe. Und wunderschön ist der!“ Sie drehte sich zu Erin um und umarmte sie. „Ich danke dir sehr!“ Dann sah sie zum Fenster hinaus und stellte fest, dass sie hinter den Nachbarhäusern, die etwas tiefer lagen, einen schmalen Streifen Meer sehen konnte.

      Erin wies nach links. „Siehst du den kleinen Fußweg dort? Wenn du den an dem letzten Haus entlanggehst, kommst du ans Meer. Leider haben wir hier keinen Strand. Da musst du mit dem Zug oder dem Bus nach Dornoch fahren oder weiter nördlich nach Brora.“ Erin wusste, dass Sarah weder einen Führerschein noch ein Auto hatte.

      „An einem so warmen Tag wie heute kann ich mir gut vorstellen, genau das zu tun.“ Schließlich hatte Erin sich von ihrem Jahresurlaub, der nur zwei Wochen betrug, gerade mal vier Tage frei nehmen können für Sarahs Besuch. Im August, der Hauptreisezeit, konnte sie ihre Kollegin in der Tourist Info nicht länger alleine lassen. Sie hatte die vier Tage auf zweimal zwei aufgeteilt: je am Anfang und am Ende von Sarahs Aufenthalt. Somit wusste sie, dass sie sich die meiste Zeit über allein würde beschäftigen müssen. Aber das war sie ja gewohnt.

      Erin wies nach rechts. „Wenn du die Straße entlanggehst, die wir hereingefahren sind, und dann scharf nach links abbiegst, kommst du nach etwa hundert Metern zum Rosslair. Unsere Gegend hier ist das Easter Ross, ein lair ist ein Versteck oder Schlupfwinkel. Meine Großeltern haben ihrem Pub diesen Namen gegeben, eingedenk der alten Zeiten, wo die Männer sich abends auf ein Bier oder auch mehr im Pub quasi vor ihren Frauen versteckten, um ihre Ruhe zu haben.“ Sie grinste. „Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Allerdings gibt es immer mehr Frauen, die ihre Männer heutzutage ins Pub begleiten.“

      „In Deutschland ist die Kneipenkultur nicht ganz so stark ausgeprägt wie bei euch hier. Aber ihre Ruhe wollen die deutschen Männer auch meist, allerdings eher vor dem Fernseher.“

      Erin lachte. „Der kommt dann nach dem Pubbesuch zum Einsatz.“ Sie ging auf den Gang hinaus und sah auf ihre Uhr. „Ich würde vorschlagen, du packst erst einmal aus und machst dich mit deinem neuen Zuhause vertraut. Ich müsste dringend einige E-Mails beantworten. Aber ich dachte, wir treffen uns später so um sechs im Pub. Meine Schwester ist ganz gespannt auf dich, ich habe ihr viel von dir erzählt.“

      „Klingt gut. Dann bis später!“

      Sarah ging mit Erin nach unten und begann, ihre Lebensmittel einzuräumen. Dann kochte sie sich einen Tee und setzte sich an den Küchentisch. Sie war zwar erst seit einer knappen Stunde hier, aber irgendwie fühlte sie sich schon wohl. Das Häuschen war genau richtig für sie. Und da sie in Deutschland nur ein Zimmer ihr eigen nennen konnte, weil sie Küche und Bad mit zwei weiteren Mitbewohnerinnen teilen musste, empfand sie dieses Cottage als puren Luxus. Drei Zimmer ganz für sich alleine, das würde sie auskosten. Und das alles für nur hundert Pfund pro Woche … normalerweise verlangte Erin 550 Pfund inklusive Endreinigung. Die würde Sarah selbst übernehmen.

      Sie dachte darüber nach, dass sie sich über die Geschichte des Landes informieren, etliche Romane auf Englisch lesen und sich vieles anschauen wollte. Die zwanzig Seiten aus dem Immobilienkatalog musste sie auch übersetzen. Und plötzlich verschmolzen die langen vier Wochen, die vor ihr lagen, zu einem sehr kurzen Zeitraum.

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