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kommt das Archiv meiner Papiere und all unsere Bücher, die Ihnen eventuell nützlich sein würden. Selbstverständlich stehe ich Ihnen für Fragen und Gespräche zur Verfügung. Bitte denken Sie in Ruhe darüber nach – es würde mich sehr freuen!« schloss sie nachdrücklich.

      Kapitel 5

      Wie Olivia später zu Leonard sagte, hätte sie sich wohl auch für die Olympischen Spiele beworben, so vollkommen überzeugt habe sich Lady Gaynesford von ihren Fähigkeiten gezeigt. Am Donnerstag war sie sehr früh aufgestanden, um ihren Artikel über die Bildhauerin Victoria Gaynesford für die Süddeutsche zu schreiben und sich wieder dabei zuzuschauen, wie tief beeindruckt sie von der Persönlichkeit »ihrer« Lady war. Nachdem sie den Text am Nachmittag nach München gefaxt hatte, holte sie sich einen Stoß ausgewählter Nummern von ›Arts and Artists‹ und einige Standardwerke über die Geschichte der Skulptur aus der Bibliothek. Es war die Zeit des ersten Büroschlusses und um sie herum wirbelten befreite, müde oder zielstrebige Menschen. Je mehr sie sich Piccadilly Circus näherte, desto geordneter wurde die Richtung all dieser eiligen Bewegungen. Die Menschen strömten an ihr vorbei in die eine oder die entgegengesetzte Richtung. Mit ihren schweren Büchertaschen war Olivia relativ langsam. Doch sie fühlte sich wohl, wenn sie von der Lebendigkeit Londons umgeben war. Heute dachte sie zum ersten Mal, dass diese Lebendigkeit auch Sicherheit bedeutete. Was immer ihr in diesem Augenblick an Missgeschick zustoßen würde, es fände sich ein Mensch, der ihr weiterhelfen würde.

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      »Sicherheit«. Olivia sah von dem Artikel über Barbara Hepworth in ›Arts and Artists‹ auf und ihre braunen Augen schweiften hinaus in den Garten, auf die Sitzgruppe am Kamin und über ihre Bücherregale. Im Geiste ging sie die Gartenmauer entlang und wurde sich der Geborgenheit ihres Lebensraumes auf neue Weise bewusst. Das Anwesen von Greystone Manor war ebenfalls von einer Mauer umgeben, einer viel höheren und das Leben innerhalb war vollständig eingehegt. Sie lachte. Das klang ja fast, als lebte sie im Mittelalter und müsste Leben und Besitz vor streunenden Räuberbanden und entlassenen Soldaten sichern. Und doch konnte sie eine leise Unruhe nicht mehr unterdrücken, auch wenn sie sich deswegen eine Phantastin schalt. Ursache dafür war, dass sie gestern auf dem Rückweg von Buckinghamshire die Puderdose mit der Erde aus Lady Gaynesfords Schlafzimmer zu ihrem Freund Richard Bates gebracht hatte, wohl wissend, dass sie es gleich tun musste, bereits nach dem Abendessen wäre sie sich viel zu albern vorgekommen. Und nun war der folgende Abend so weit vorgerückt, dass er ihr auf seinem Heimweg das Ergebnis der chemischen Analyse vorbeibringen könnte. Er hätte natürlich auch unter Tags einfach anrufen und durchgeben können: »Liebe Freundin, bei einem so hohen Anteil an Guano in der Erde muss eine Pflanze einfach eingehen.« oder etwas in der Art. Oder er hatte so viel Arbeit, dass er es einfach vergessen hatte, oder… oder… oder. Olivia seufzte. Wenn sie auf etwas zu warten begann, produzierte sie endlose Oder-Möglichkeiten statt einfach weiter zu arbeiten, zumal sie in diesem Fall ganz genau wusste, dass Richard kommen würde.

       Er war einer ihrer ältesten Freunde und gehörte zu den Menschen, auf die man sich bedingungslos verlassen konnte. Seine Eltern wohnten im Nachbarhaus. Das hatten sie schon vor mehr als dreißig Jahren getan. Als Richard und sie Kinder gewesen waren, besuchten sie sich gegenseitig, indem sie von einem Apfelbaum über die Mauer in den anderen kletterten. Sie bestanden gemeinsame Abenteuer in den Gärten der weiteren Nachbarn und dehnten später ihren Forscherdrang bis ans Themse-Ufer aus. Immer hatte Richard sie erwartet, wenn sie im Sommer und zu Weihnachten aus Salzburg zu ihren Großeltern kam, und sie hatten Stunden in den Apfelbäumen gesessen, weil Olivia alles, einfach alles wissen wollte, was während ihrer Abwesenheit geschehen war. Richard behauptete später, er sei nur deshalb zu Scotland Yard gegangen, weil er seine Jugend damit verbracht hätte, um Olivias Wissensdurstes willen seine Nachbarn noch bei ihren geheimsten Tätigkeiten zu beobachten. Nun wohnte sie seit etlichen Jahren ganz hier in Fulham. Bald nach ihrer Rückkehr hatte Richard in der nächsten Querstraße ein Haus gekauft. Sein Grundstück und das seiner Eltern und somit auch das von Olivia gehörten zum selben Grünquadrat auf dem Stadtplan. Richard war verheiratet und Olivia die Patin seiner ersten Tochter. Da sie sich auch mit Richards Frau Fiona gut verstand, lebten sie ein vergnügtes Hin und Her zwischen Häusern und Gärten und interessierten sich für ihre Nachbarn nicht mehr, als das normal war. Manchmal kam Richard, um mit Olivia über ein Problem wie in Jugendtagen zu knobeln; der alte Unernst hatte manchen Fall befördert. Richard war inzwischen Chief Inspector in der Mordabteilung des Yard. So war es gestern Abend selbstverständlich gewesen, ihm die Erde fürs Labor zu bringen, auch wenn sie nie vorher etwas so ernsthaft Kriminalistisches getan hatte.

       Als es gegen neun Uhr an der Haustür klopfte, hatte Olivia doch noch zwei Stunden konzentriert gearbeitet und stand entsprechend zufrieden vom Schreibtisch auf.

       Es war Richard. Er deutete auf die Rotweinflasche in seiner Hand: »Ich hoffe, du hast ein wenig Zeit?« Auf Olivias einladende Handbewegung hin klopfte er seine Pfeife neben dem Buchsbaum aus und trat ins Haus.

       Mit großer Selbstverständlichkeit steuerten sie auf den Kamin zu und während Olivia Gläser holte und ein Holzscheit nachlegte, überbrachte Richard die neuesten Nachrichten aus seiner Familie. Dann schwieg er und sah für einen Augenblick nachdenklich ins Feuer.

       »Das Analyseergebnis deiner Blumenerde hat uns ein nettes Rätsel beschert.«

       Olivia sah ihn neugierig an.

       »Die Erde enthält eine erstaunliche Dosis Zyankali.«

       Das war ein Paukenschlag. Olivia sah Lady Gaynesford mit der Karaffe vor sich, wie sie den Baumfarn goss. Was wäre gewesen, wenn sie in der Nacht aus dieser Karaffe getrunken hätte? Hätte ein halbes Glas dieses Wassers ausgereicht, sie zu töten? Laut hörte sie sich etwas töricht fragen: »Bringt Zyankali denn auch Pflanzen um?«

       »Das weiß ich nicht. Seine Giftigkeit beruht in der Blockierung des Eisens. Beim Menschen wirkt sich das als erstes auf die Atmung aus. Die Folge ist bekannt. Bei Pflanzen ist Eisen unter anderem an der Bildung des Blattgrüns beteiligt. Wenn es durch zu viel Kalk im Boden gebunden wird, beispielsweise, bekommen die Pflanzen gelbe Blätter. Zyankali wirkt deiner Beschreibung nach zu urteilen, wesentlich durchschlagender als Kalk. Absterben muss die Pflanze deswegen noch nicht, wenn sie möglichst bald in neue Erde mit viel Torf umgesetzt wird. Und wenn man eventuell sauren Spezialdünger dazugibt, mag sie wohl wieder austreiben.«

       »Hätten wenige Schlucke, also ein nicht mal halbvolles Glas dieses Wassers, bei einem Menschen tödlich gewirkt?«

       »Was weißt du über dieses Wasser?«

       Olivia erzählte ihm von Lady Gaynesfords Angewohnheit, eine Karaffe mit Wasser am Bett stehen zu haben, um einige Schlucke zu trinken, wenn sie nachts wach wurde, und morgens das restliche Wasser an eine ihrer Pflanzen zu gießen. Sie schätzte, dass die Karaffe vielleicht einen Liter Wasser fassen mochte, sicher stand sie aber nicht völlig gefüllt am Bett.

       »Wenn ich annehme, dass Lady Gaynesford diesen dreiviertel Liter um die Pflanze herum gegossen hat und nicht auf eine einzige Stelle, die du dann prompt erwischt hast, reicht die Dosis, die ein halbes Glas enthalten mag, leicht aus.«

       Es entstand eine Pause, bevor Richard fortfuhr: »Das heißt, wenn ich dich richtig verstanden habe, dass das Trinkwasser, das regelmäßig an ihrem Bett steht, in dieser Nacht um Zyankali bereichert war. Wir dürfen allerdings auf einen ersten Versuch in dieser Sache schließen, denn von anderen Pflanzen mit vergilbten Blättern war nicht die Rede.«

       »Und das heißt, irgendjemand wollte die alte Dame ermorden?«

       »Ein anderer Schluss ist kaum möglich.«

       Entsetzt starrte Olivia Richard an: »Und nun?«

       »Und nun was?« Leonard war nach Hause gekommen und Olivia hatte ihn tatsächlich überhört.

       »Ja, das ist die Frage,« stimmte Richard zu.

       »Was ist die Frage?«

       »Was wir jetzt tun sollen.«

       In komischer Verzweiflung blickte Leonard auf Olivia und dann auf Richard. Der begriff und fasste ihm die Fakten knapp zusammen, während Leonard an seinem Rotwein roch. Richard schaute

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