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»Als ich nach geeigneten Figuren für die Versteigerung vom letzten Samstag suchte, fand ich völlig vergessene Arbeiten, es war wie eine Neubegegnung mit alten Freunden. Der Vorgang wiederholte sich, als ich jetzt einige frühe Arbeiten ans Tageslicht brachte, um sie Ihnen, Miss Lawrence, zu zeigen. Wissen Sie, niemand verpackt so gewissenhaft Kunstgegenstände wie Museumspersonal, und es bedeutete mir durchaus eine Beruhigung, die Dinge so wohlgeschützt auf dem Speicher zu wissen, während ich mit anderen Arbeiten beschäftigt war. Nun auf einmal scheint der Zeitpunkt eines Resümees gekommen, darüber möchte ich nachher mit Ihnen noch sprechen. Auch die olmekischen Figuren gedenke ich herauszuholen und vielleicht sogar –«

       Ein dumpfer Schlag unterbrach sie. Entsetzt fuhren die beiden Frauen herum. Mit einem Gesicht, das für den Augenblick jeden geistreichen Ausdruck vermissen ließ, richtete David sich mühsam auf.

       »Um Himmels willen, hast du dich verletzt?« erschrocken streckte Lady Gaynesford beide Hände nach ihrem Neffen aus, der schweigend, sehr bleich und benommen knapp vor dem letzten Querbalken stand. Olivia wandte sich leise wieder ab, um ein unpassendes Lachen zu verbergen, und ihr Blick fing sich an einer kleinen Jaguarfigur zuoberst auf den Kisten am Ende des Speichers.

       Zumindest blickweise musste ihr die alte Dame gefolgt sein: »Nehmen Sie ihn ruhig in die Hand. Nach den Maßstäben der Archäologie ist er sehr jung, sechzig bis siebzig Jahre. Mein Lehrer in Yukatan hat ihn gearbeitet und ich suchte ihn eigens für Sie aus den alten mexikanischen Kisten heraus.«

       »Hallo, David! Geht es dir nicht gut? Du siehst blass aus.« Eine junge Frau, groß und schlank, mit einer auffallenden Fülle aschblonder langer Haare kam von der Treppe auf Lady Gaynesford zu.

       »Ich hatte in deiner Gegend zu tun und alles lief so viel reibungsloser als man hätte hoffen dürfen, dass ich nicht widerstehen konnte, dir die Hand zu schütteln,« teilte sie mit, doch stattdessen umarmte sie die alte Dame sanft und herzlich; ein grüßender Blick streifte Olivia. »Aber ich habe sichtlich keinen ruhigen Augenblick getroffen und will auf gar keinen Fall stören!« Sie drückte Lady Gaynesford einen Kuss auf jede Wange und schoss davon, bevor die alte Dame sie aufzuhalten vermochte.

       Ihrer zukünftigen Schwiegertochter Laureen nachschauend fiel deren Blick erneut auf David: »Junge! Du solltest dich setzen. Komm, wir gehen hinunter und bitten Dorothy um einen starken Kaffee. Ein Eisbeutel würde deinem Kopf sicher auch helfen. Komm!«

       Lady Gaynesford war schon fast an der Treppe, bis David sich so weit aufgerafft hatte, dass er wieder Herr seiner selbst wurde: »Lass dich von mir, bitte, nicht weiter aufhalten. Ein kräftiger Schlag auf den Hinterkopf von Zeit zu Zeit fördert sicherlich die Konzentration. Ich werde jetzt nach Hause gehen und mich mit einer Kanne Kaffee an meinen Schreibtisch setzten. Das hätte ich schon früher machen sollen.« Eine leichte Verbeugung zu Olivia, ein Kuss für seine Tante und seine Schritte verklangen auf den Stufen.

       Leichte Besorgnis war Lady Gaynesford anzumerken, als sie, die sich ihrerseits geläufig unter den Querbalken hindurch beugte, zu Olivia zurückkehrte. »David ist ein Perfektionist, wissen Sie. Wenn ihm ein Fehler zustößt, wie unwichtig auch immer, kann ihn der Humor verlassen. Es krachte ja auch eindrucksvoll, Sie konnten es gar nicht überhören.« Ein feines Lächeln spielte um ihre Lippen.

       »Nun denn, wenn er diesen Anspruch auf Perfektion in seinem Beruf auslebt, wird er ein hervorragender Wissenschaftler werden.«

       Olivias Finger waren währenddessen weiter über die glattpolierte Fläche des kleinen Jaguar glitten.

       »Aus was für einem Material ist er gemacht? Er ist derart detailgenau und fein gearbeitet, dass es fast kein Stein sein kann und doch…«

       »Nein, es ist kein Stein. Das Material ist indianisch. Die Tolteken fanden heraus, dass mit Wasser angerührter sehr feiner Kalk, also Gips, über längere Zeit in einer Art Schwebezustand gehalten werden kann, wenn man eine Lösung aus pflanzlichem Gummi hinzugibt. Auf diese Weise sind feinste Arbeiten möglich. Nach der vollständigen Erstarrung kann dieses Material so glatt poliert werden wie Marmor und ist nach dem Trocknen so hart wie Stein. Mein Lehrer Onetti experimentierte darüberhinaus mit pflanzlichen Farbstoffen, die ihm schließlich erlaubten, Figuren in den verschiedensten Farben zu arbeiten. Der einzige Nachteil dieser Technik ist, dass Feuchtigkeit schadet. In den Garten sollte man solche Skulpturen nicht stellen, vielleicht auch nicht ins Badezimmer.«

       »Haben Sie ebenfalls damit gearbeitet?«

       »Oh ja. Das Material ist sehr angenehm, vor allem, weil es nicht so viel physische Kraft verlangt; es ist relativ preiswert und bringt die Möglichkeit der Farben hinzu. Kommen Sie, in meinem Schlafzimmer stehen ein paar Arbeiten daraus. Ich zeige sie Ihnen.«

       Am Fuß der Speichertreppe stand Olivia wieder vor den olmekischen Figuren. Rechts neben ihr öffnete Lady Gaynesford die Tür zu einem großzügigen hellen Raum. Die der Tür gegenüberliegende Wand bestand hauptsächlich aus Fenstern, die Wände waren weiß und die alten Dielenbretter mit einem Teppich in stillem tiefdunklem Grün belegt. Darauf und auf kleinen Tischen und hochbeinigen Blumenständern standen inmitten einer Fülle verschiedener Grünpflanzen Skulpturen von unterschiedlichster Größe und Farbe. Sie alle stellten menschliche Figuren dar. Es war eine Art Parklandschaft, die vor der gesamten Fensterfront ausgebreitet in einem Bogen zur Badezimmertür links hin ausschwang. Begeistert blieb Olivia eine Weile stehen und schaute, bis sie weiter in den Raum hineintrat. Lady Gaynesford erläuterte einzelne Figuren, erzählte von ihrer Entstehung oder sprach von Vorbildern. Sie unterhielten sich über Figuren und Menschen. Und sie sprachen über Pflanzen, über die Herkunftsländer vieler heute in England und überhaupt in Europa als Zimmerpflanzen bekannter Palmen, von denen es in diesem Raum etliche gab. Direkt vor dem Fenster standen einige ursprünglich mexikanische Kakteen, ein gewaltiger ebenfalls mexikanischer Flaschenbaum bildete mit der aufspringenden Figur neben sich eine überzeugende Einheit. Dazu gruppierten sich Farne, einheimische, japanische und zwei australische Baumfarne, von denen einer allerdings abgestorben zu sein schien. Lady Gaynesford blieb vor ihm stehen und strich ratlos über die verwelkten Blätter.

       »Vor zwei Tagen war er noch so frisch wie alle Pflanzen hier, das heißt am Morgen, als ich ihn goss. Ich gieße jeden Morgen das restliche Wasser aus der Karaffe, die nachts auf meinem Nachtkasten steht, an eine der Pflanzen. Nun, wie gesagt, als ich das tat, war der Baumfarn noch wunderschön, am Abend sah er so aus wie jetzt.«

       Es klopfte. Mrs Jonas meldete, dass sie ein Telefonat zu Myladys Schreibtisch durchgestellt habe und Olivia war überraschend allein. Nah an einer der Palmen stehend atmete sie die Frische des Grüns ein. Sie sah auf die glänzenden Blätter und blieb an einem Wasserzerstäuber hängen, skeptisch betrachtete sie den abgestorbenen Farn. ›In the dark valley’s silver-grey fragrance my dim thoughts…‹ Die Todesanzeige schob sich in ihre Gedanken. Einem Impuls folgend nahm sie ihre Puderdose aus der Handtasche, füllte soviel Erde als möglich hinein, beseitigte die Spuren und eilte zur Gästetoilette im Erdgeschoss, um sich gründlich die Hände zu waschen. Als Lady Gaynesford zu ihr zurückkehrte, betrachtete sie wieder den aufmerksam witternden Jaguar im Garten.

       »Lassen Sie uns hinausgehen, meine Liebe!« Lady Gaynesford schritt, jetzt mit einem Stock in der Hand, voran. »Dieser Jaguar, der des Morgens, ist aus grünem, besonders grünem Horton-Stein gearbeitet, der sich außerordentlich glatt polieren ließ. Ich liebe die Lichtreflexe auf den spiegelnden Flächen. Der Jaguar des Abends drüben ist aus schwarzem Marmor, der wiederum andere Wirkungen des Lichtes erzeugt.«

       Langsam schlenderten sie durch den Garten, sorgfältig zwischen den späten Krokusfeldern hindurch und an einem Teppich blauer Zilla entlang, der nah an der Mauer blühte.

       »Im übrigen gehörte das Telefonat, das ich gerade führte, zum Thema dieses Vormittags. Kennen Sie die Zeitschrift ›Arts and Artists‹?« Olivia nickte.

       »Dann wissen Sie, dass den Hauptteil eines jeden Heftes eine Künstlermonographie ausmacht, sechzig bis siebzig Seiten mit Photos. Die Redaktion trat vor einigen Monaten in diesem Zusammenhang an mich heran; eine sowohl ehrenvolle wie auch heikle Angelegenheit. Denn die Wahl des Autors der Monographie liegt jeweils beim betreffenden Künstler.« Lady Gaynesford blieb stehen und sah Olivia an. »Ich denke, ein guter Stern hat Sie zu mir geführt und so möchte ich Sie bitten, diese Arbeit zu übernehmen. Wenn es Ihnen nicht allzu

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