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irritierende Papier so lange beiseite legen, bis ein konkreter Umstand sie veranlassen mochte, es wieder zu beachten. Na also. Sie schaute in ihren Garten. Die Büsche warfen lange Schatten, doch noch war es hell genug. Rasch ordnete sie das Material auf dem Schreibtisch, legte das Blatt mit den Fragen für das Interview zuoberst und beugte sich wenig später über ihre Rosen. Während sie das alte Holz ausschnitt und jeder einzelnen Pflanze ihre Anfangsform für den neuen Sommer gab, war ihre Konzentration vollständig gefangen.

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      Die Nacht über hatte es geregnet, jetzt war der Himmel wolkenfrei und sehr hoch. Als Olivia in die schmalen heckengesäumten Straßen um Copper Hill eintauchte, kurbelte sie das Seitenfenster herunter und rollte friedlich dahin. Sie roch die frische Erde, freute sich an Huflattich, Primeln und den ersten Veilchen, die ihr in diesen tiefeingesunkenen alten Wegen fast auf Augenhöhe entgegenwuchsen, und an den Schatten der Vögel, die durch die Hecken oberhalb der kleinen Blumen huschten. Sie kam durchs Dorf, an der Kirche und dem Gemeinedesaal vorbei. Als sie auf der anderen Seite wieder zwischen den Hecken versank, tauchte sehr bald die Einfahrt von Greystone Manor auf. Sie parkte ihren alten Saab so weit von den Wirtschaftsgebäuden entfernt wie möglich. Dort würde er hoffentlich niemanden stören. Entschlossen ging sie denselben Weg, den Lady Gaynesford sie geführt hatte. Schon kam ihr die Frau entgegen, die bei ihrem Besuch nach der Versteigerung den Tee serviert hatte. Sie stellte sich als Mrs Dorothy Jonas vor, die Wirtschafterin von Greystone Manor. Dorothy führte sie in denselben Wohnraum, in dem sie am Samstag gesessen hatte. Olivia ging zur Terrassentür und sah hinaus auf den sitzenden Jaguar. Da war er; noch in Ruhe, doch an seiner Kraft bestand kein Zweifel.

       Lady Gaynesford trug heute ein dunkelgrünes Kleid mit silbergrauem Schal. Heiter betrat sie den Raum, umschloss mit beiden Händen Olivias Rechte und sah sie für einen konzentrierten Augenblick sehr genau an. Offensichtlich einverstanden setzte sie sich, diesmal in einen Sessel an der Glastür, und läutete.

       »Ich möchte Ihnen zur Begrüßung eine heiße Schokolade anbieten so wie ich sie gern trinke.«

       Die Tassen, die Dorothy hereinbrachte, gehörten zu den dampfenden Geistern, nur war dieses Mal die Grundfarbe ein leuchtendes Dunkelblau. Alles vollzog sich ruhig und zügig wie beim ersten Mal: Dorothy stellte Tischchen neben die Sessel, eine Schale mit Ingwergebäck in erreichbare Nähe und goss das heiße Getränk in die Tassen. Ein über die Massen verlockender Duft nach Zartbitterschokolade mit einem Hauch Vanille stieg davon auf.

       »Schon die Azteken tranken Kakao, sie genossen ihn kalt und süßten mit Vanille,« erzählte Lady Gaynesford, die heiße Tasse zwischen den Händen haltend. »Meine Kinderfrau in Belize, sie gehörte zu den Maya, nicht zu den Azteken natürlich, brachte mir jeden morgen eine Tasse dieses gewürzten Kakaos ans Bett. Sie war der Überzeugung, nur so gestärkt könne ich in den neuen Tag starten. Auch als ich schon fast erwachsen war – mit achtzehn Jahren fühlt man sich erwachsen, nicht wahr – behielt sie ihre Gewohnheit, und ihre Überzeugung, bei. In Mexiko trank ich dann kaum je Kakao. Erst als ich in dieses Haus in England kam und Mittelamerika weit entfernt lag, nahm ich die Gewohnheit meiner Kindertage wieder auf. Zwar beginnt mein Tag seither mit einer Tasse Tee; am späten Vormittag aber mache ich regelmäßig eine Pause und trinke meinen indianischen Kakao. Das Pulver kommt übrigens wirklich aus Mexiko und nicht aus Afrika wie heute der meiste Kakao.«

       Olivia hatte zuhörend vorsichtig probiert und was sie trank, war überraschend weich und mild auf der Zunge, wiewohl weniger süß als der ihr vertraute Geschmack. Es war gut.

       »Ich wusste, dass es hier jetzt heiße Schokolade gibt! Liebe Tante, du verzeihst mein frühes Eindringen und spendierst mir eine Tasse?«

       Ein junger Mann, in makelloses Beige von sportlich-elegantem Zuschnitt gekleidet, beugte sich über Lady Gaynesford und begrüßte sie mit einem Kuss. Lächelnd erwiderte sie seine Begrüßung, hieß ihn nach einer weiteren Tasse läuten und sich setzen. Daraufhin wandte sie sich an Olivia.

       »Darf ich Ihnen meinen Neffen David Gaynesford vorstellen.« David schaffte gerade noch, sich formvollendet zu verbeugen, bevor er in einen Sessel sank.

       »Und mein Gast, David, ist Miss Lawrence. Sie wird für eine deutsche Zeitung einen Artikel über mich schreiben.«

       Während sie weiter heiße Schokolade und Ingwergebäck zu sich nahmen, fuhr Lady Gaynesford mit einem Anflug von Stolz fort: »David studiert Archäologie. In seiner Doktorarbeit beschäftigt er sich mit ägyptischer Kleinplastik und den durch sie überlieferten Verrichtungen des täglichen Lebens; was mich zu der Frage veranlasst,« damit wandte sie sich wieder ihrem Neffen zu, »warum du hier und nicht in London bist?«

       »Der Frühling! Weißt du, wenn die Natur wieder erwacht, zieht es den Engländer aufs Land,« antwortete er mit ironischem Pathos, »aber ich habe meine Arbeit mit herausgebracht. Es besteht immer noch begründete Hoffnung, sie vor meiner Abreise abzuschließen – ich werde in gut zwei Wochen nach Oberägypten fahren, um an einer Ausgrabung teilzunehmen,« erklärte er Olivia und berichtete anschaulich von den Zielen dieser Exkursion. Olivia stellte weitere Fragen zu seiner Erwartung, an dieser Stelle auch Kleinplastiken zu finden und zu deren Bedeutung innerhalb der altägyptischen Welt. David schenkte heiße Schokolade nach und es schien unvermeidbar, dass auch die Figuren der altamerikanischen Kulturen Gegenstand der Unterhaltung wurden. Olivia beobachtete eine leichte Rivalität zwischen Lady Gaynesford und ihrem Neffen, was den höheren künstlerischen Wert der indianischen oder ägyptischen Bildwerke anging.

       »Lady Gaynesford,« nutzte sie eine Pause, »Sie selbst haben doch eine hochinteressante Sammlung olmekischer Figuren.«

       »Und die werde ich Ihnen jetzt zeigen,« erhob sich die alte Dame energisch. »Entschuldigen Sie, dass ich dieses Gespräch überhaupt zuließ. Sie sind schließlich zum Arbeiten hier und vergeuden Ihre Zeit.« Schon schritt sie in den kurzen Gang neben dem Salon und stieg die Treppe hinauf. Hinter dem Treppenabsatz erhob sich ein hohes schmales Fenster. Davor stand eine große ovale Schale, aus der eine Palme emporwuchs. Als sie sich am Ende der Treppe umwandte, sah Olivia in einem in die Wand eingelassenen Regal eine Dreiergruppe stehender Figuren, völlig realistisch dargestellt mit herabhängenden Armen, doch birnenförmig nach oben verlängerten Köpfen, leicht geöffneten breiten Mündern und großen, etwas seitlich in die Länge gezogenen Augen. Sie waren aus glänzend poliertem Stein gearbeitet. Im Fach darüber saß eine einzelne Figur aus gröberem und damit rauerem Stein, die einen großen zylinderförmigen Gegenstand in den Händen hielt und über ihn hinweg auf ein weiter entferntes Ziel blickte. Ihr Gesicht zeigte den Mund mit den aufgeworfenen Lippen und der breiten flachen Nase, wie Olivia es von olmekischen Kolossalköpfen her kannte. Eingehend betrachtete sie die Figuren, bis Davids Frage dazwischen drang: »Sind sie nicht archaisch?«

       Olivia blickte auf und sah den eleganten jungen Mann an. Hinter seinen Schläfen pochte das Blut. Ihre Augen trafen seinen fordernden Blick: »Sicherlich, wenn man ägyptische Figuren daneben denkt, deren kultivierte Kleidung und Frisuren; auch deren Physiognomie steht uns sicher näher. Aber schauen Sie, die tiefe Menschlichkeit dieser Gesichter, das In-sich-Ruhen, welches mit entspannter Aufmerksamkeit nach außen gerichtet ist, verdeutlicht ebenfalls ein hohes Maß an Kultiviertheit, wenn auch von fremderer Art.«

       Olivia wandte sich zu Lady Gaynesford um und bevor David eine neue Diskussion auslöste, stieg diese eine schmale Treppe zum Speicher hinauf.

       »Dort oben stehen eine Reihe meiner eigenen Figuren, ich möchte sie Ihnen zeigen. Magst du sie womöglich auch sehen, David? Mit Dorothys tatkräftiger Unterstützung habe ich einige Kisten ausgepackt.«

       Am Ende der Treppe öffnete sich vor ihnen ein weiter, über die ganze Länge des Hauses laufender Dachstuhl. Es war eine mächtige Holzkonstruktion aus dem sechzehnten Jahrhundert, erfuhr Olivia. Den Lehmverputz zwischen den Balken hatte man weiß gekalkt und die einfachen Bretter des Bodens wirkten wie frisch mit Sand gescheuert. Der Raum war hoch genug, um sich bequem aufrecht bewegen zu können, nur unter den gewaltigen Querbalken, die die Konstruktion in regelmäßigen Abständen stützten, musste man sich hindurch beugen. Unter der Schrägen zur Linken standen die verschiedensten Skulpturen in langer Reihe, gegenüber türmten sich bis ganz nach hinten ans Ende des langen Speichers die verschiedensten Kisten.

      

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