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Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel
Читать онлайн.Название Traum oder wahres Leben
Год выпуска 0
isbn 9783738079319
Автор произведения Joachim R. Steudel
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Er hatte mich in meine eigene Falle laufen lassen, und ich stand da wie eine unwissende Schülerin.«
Nailah schüttelte den Kopf, und Sarah nutzte die entstandene Pause für eine Frage.
»Warst du damals nicht sehr wütend auf ihn?«
»Und wie! Ich wünschte ihm die Pest an den Hals, andererseits beeindruckte mich sein Fachwissen enorm. Er hatte mich bewusst vorgeführt, wie ich es mit ihm tun wollte, das gestand er mir später auch ein. Nach diesem ersten Zusammenstoß entwickelte sich eine wundervolle Zusammenarbeit. Ihm standen Mittel zur Verfügung, von denen unser Ministerium nur träumte. Innerhalb von zwei Tagen organisierte er einen modernen Terahertz-Scanner, mit dem wir zerstörungsfrei die unteren Schichten sichtbar machen konnten. Teile der alten Malereien und Hieroglyphen waren unwiederbringlich verloren, vermutlich sogar herausgemeißelt. Das galt für alle Darstellungen des Hohepriesters und auch für seinen Namen. Doch der größte Teil der Schriftzeichen war erkennbar, und Karim las die Hieroglyphen wie ich eine Zeitung. Seine Vermutung bewahrheitete sich: Es war ursprünglich das Grab für einen Hohepriester des Aton gewesen. Ob dieser jemals darin beigesetzt oder ob die Anlage schon vor seinem Tod umgestaltet worden war, konnten wir nicht herausfinden. Auch der Grund, warum später der Lesepriester Qenamun hier seine letzte Ruhe fand, blieb im Dunklen. Die Zusammenarbeit mit Karim Al-Kismetbahr beflügelte mich. Er lehrte mich Dinge über die altägyptische Archäologie, die keiner meiner Professoren je erwähnt hatte. In seiner Nähe fühlte ich mich energiegeladen wie noch nie. Deshalb dauerte es auch nicht lange, bis ich ihn anhimmelte und mich nach mehr sehnte. Aber zweideutige Anspielungen ignorierte er, und als ich mich schließlich offenbarte, wies er mich ab.«
»Er gab dir einen Korb? Mit welcher Begründung?«, fragte Sarah.
»Oh, die war plausibel, und heute bin ich ihm dankbar dafür, denn er hat mir ein glückliches Leben ermöglicht. Nicht ohne bitteren Beigeschmack, aber das liegt nicht an ihm.«
»Weil er dich abgewiesen hat?«
»Nein, heute weiß ich, dass es richtig war, denn meine Sehnsucht beruhte auf der Verehrung für sein Wissen, Können und seiner Ausstrahlung, was er mir deutlich vor Augen führte. Ich bin mir jetzt auch sicher, dass es bald Konflikte zwischen uns gegeben hätte, denn seine Art zu leben steht im krassen Gegensatz zu meiner. Dieses Unstete, wenig Sesshafte passt nicht zu mir. Im ersten Moment war ich wie vernichtet, doch andere Ereignisse traten in den Vordergrund. Mursi kam an die Macht und besetzte immer mehr Posten mit islamistisch geprägten Männern. Dummerweise war unser Ministerium schon vorher von Mustafa Amin übernommen worden. Er ist streng gläubiger Muslim und bevorzugt Männer als Mitarbeiter. Bald wurden mir von allen Seiten Steine in den Weg gelegt, und ich bekam nur noch die Aufgaben einer besseren Sekretärin. Eine Entlassung drohte mir nicht, aber die Arbeit füllte mich nicht mehr aus. In dieser Phase öffnete mir Karim auch in anderer Hinsicht die Augen. Ich arbeitete schon einige Zeit mit Hamadi zusammen, hatte aber durch meine Fixierung auf Karim nicht bemerkt, wie sehr er sich nach mir verzehrte. Bei Hamadi erkannte ich die wahre Liebe und bin überaus glücklich mit ihm.«
»Aber wie kommst du bei so einem beruflichen Werdegang zu diesem Geschäft?«, fragte Sarah mit einem Stirnrunzeln.
»Durch Karim Al-Kismetbahr. Er bemerkte sofort, dass mich der Beruf nicht mehr ausfüllte, und baute mit mir zusammen diese neue Existenzgrundlage auf. Ohne seine Mittel wäre das niemals möglich gewesen. Das Schöne daran ist, dass ich anderen Frauen, die in ähnlichen Situationen sind, helfen kann. In unserer intimen Atmosphäre kann ich Beziehungen aufbauen, in solchen Kaffeegesprächen Hintergrundwissen erwerben und über ein geheimes Netzwerk von Karim Unterstützung anbieten. Vielen Frauen, die unter den neuen Verhältnissen leiden, konnten wir in der kurzen Zeit, in der mein Geschäft besteht, schon helfen. Aber das Beste ist, dass ich durch meinen Mann weiterhin an der Forschung zur altägyptischen Geschichte beteiligt bin, denn abends wird unsere Wohnung zu einem Büro für Ägyptologie.«
Beide Frauen nippten nachdenklich an ihrem Kaffee. Nailah dachte an ihre Zeit im Ministerium zurück, und Sarah fragte sich, ob ihre Liebe zu Karim wirklich echt war und eine Zukunft hatte.
Zur gleichen Zeit saß Safi Al-Meschwesch mit seinem Vater Zarif unweit der Pyramiden von Gizeh unter einem Vorzelt und trank arabischen Kaffee. Safi hatte sich im Zelt seines Vaters umgezogen und passte nun perfekt in das beduinische Umfeld. Der abgegrenzte Bereich mit den zehn Zelten und doppelt so vielen Kamelen wirkte wie aus einer anderen Zeit. Aber das war gewollt, denn die Bewohner verdienten ihren Lebensunterhalt damit, den Touristen genau das vorzugaukeln. Reiseveranstalter buchten Wüstentouren bei ihnen, und Einzelpersonen konnten kurze Kameltrips in die Umgebung unternehmen. Vor einem der Zelte war ein Stand mit Souvenirs, und gegen Bakschisch ließen sich die Bewohner fotografieren. Abende am Lagerfeuer gehörten genauso zum Angebot wie eine Einladung zum arabischen Kaffee.
Soeben hatte sich eine junge Europäerin mit den beiden Männern fotografieren lassen, und Zarif nahm mit einem freundlichen Lächeln das Trinkgeld in Empfang. Safi musste seine ganze innere Kraft aufwenden, um keinen Abscheu zu zeigen. Sobald die Touristen außer Hörweite waren, zischte er seinem Vater zu:
»Es ist erniedrigend! Ich komme mir vor wie ein Affe im Zoo. Wie kannst du nur so leben? Es geht sicher auch ohne diese demütigenden Auftritte, die einer der Gründe sind, warum ich nicht mehr hier leben möchte.«
Dabei stand seine Mimik im krassen Gegensatz zu seinen Worten, und jeder Außenstehende hätte einen ganz anderen Gesprächsinhalt vermutet.
»Es ist weiter nichts als ein Geschäft. Wenn du im Namen Karims Verhandlungen führst, trägst du auch nicht deine wahren Gedanken nach außen. Es wäre ja auch unpassend, wenn du zeigtest, wie einträglich das Gespräch gerade war. Genauso ist es hier, ich kann diese Menschen freundlich behandeln, ihnen das Gefühl geben, willkommen zu sein, und