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Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel
Читать онлайн.Название Traum oder wahres Leben
Год выпуска 0
isbn 9783738079319
Автор произведения Joachim R. Steudel
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Karim schüttelte traurig den Kopf, und Sarah merkte, dass es wieder Erinnerungen waren, die ihm zu schaffen machten.
»Aber ich will dir die Geschichte in ihren groben Abläufen erzählen, damit du die Zusammenhänge besser verstehst.«
Er sammelte sich kurz, holte tief Luft und begann mit leiser Stimme:
»Ich hatte, von Burma kommend, den indischen Subkontinent schon einige Jahre ziellos durchwandert und hörte immer wieder von einem einstmals großen Volk im Nordwesten. Viele Legenden rankten sich um diese Kultur, doch man sprach davon, dass ihre großen Städte nur noch Ruinen wären. Mein Interesse war geweckt, und ich schlug die besagte Richtung ein. Südöstlich vom Indus fand ich die ersten verfallenen Siedlungen. In einem breiten Flusstal, das nur noch von einem kleinen Rinnsal durchflossen wurde, traf ich auf Nachkommen jenes Volkes. Es waren einfache Bauern und Viehhirten, die nur noch ein Schatten der vormals großen Kultur waren. Sie erzählten mir, dass zu den Zeiten, als die großen Siedlungen bewohnt waren, das Flüsschen mehr Wasser führte als der Fluss im Nordwesten, der Indus. Erdbeben und Erdrutsche im Himalaja, dem Quellgebiet des Flusses, leiteten das Wasser in andere Flüsse um. Ausbleibende Regenfälle taten ein Übriges, die Bewässerung der ausgedehnten Felder versagte, und die Bewohner des dicht besiedelten Gebietes, die nicht mehr ernährt werden konnten, wanderten ab. Heute durchziehen nur von Menschen geschaffene Kanäle das Gebiet, doch sie können den großen Fluss von einst nicht ersetzen.«
Eine laut hupende Limousine überholte sie und riss Karim kurz aus seinen Gedanken. Er beschleunigte wieder, hatte er doch den Verkehr für kurze Zeit außer Acht gelassen.
»Aber ich schweife schon wieder ab. Ich wollte dir ja von Siswati erzählen. Als ich sie das erste Mal traf, war sie gerade siebzehn Jahre alt. Ihr Vater wollte sie mit einem Bauernsohn aus der Nachbarschaft verheiraten, einem groben Menschen, der nicht nach Siswatis Geschmack war. Sie floh von zu Hause, und ich stolperte fast über das Häuflein Elend, als ich mich dem Dorf näherte. Schluchzend saß sie unter einem Baum und wusste nicht mehr weiter. Ihr Vater kam mit Freunden, um sie zurückzuholen. Sie schrie, sprang auf und lief mir direkt in die Arme.«
Ein Lächeln zeigte sich in Al-Kismetbahrs Gesicht.
»So lernte ich sie kennen, die Sanfte vom Ghaggra-Hakra-Fluss. Mit einiger Mühe konnte ich ihren Vater davon abbringen, sie zwangszuverheiraten. Da er keine Söhne hatte, sollte ich zum Ausgleich für eine Weile bei der Familie bleiben, um auf den Feldern zu helfen. Daraus wurden dann 29 Jahre. Siswati wurde meine Frau, und nach dem Tod ihrer Eltern führten wir gemeinsam die Landwirtschaft fort.«
Sarah hatte mit einem klagenden Ton ausgeatmet, und er sah sie kurz an. Schnell senkte sie die Lider, und Karim wusste nicht, was er davon halten sollte. Schulterzuckend fuhr er fort:
»Doch der Reihe nach: Im ersten Jahr arbeite ich wie ein Tagelöhner bei der Familie. Siswati war übermütig wie ein junges Fohlen und suchte immer wieder meine Nähe. Langsam lernten wir uns kennen und lieben, ohne dass ihre Eltern etwas davon bemerkten. Nach einem Jahr drängte ihr Vater, dass sie nun endlich einen Mann nehmen müsse, denn sonst wäre sie bald zu alt dafür. Bei einem Gespräch dieser Art eröffnete sie ihm, dass sie nur mich heiraten würde, und mit großen Augen sah er uns an. Es war ihm wirklich entgangen. Mittlerweile waren wir aber bei der Arbeit ein gut eingespieltes Team und ergänzten uns hervorragend. Nach kurzem Zögern stimmte er zu, und so wurde ich Teil der Familie.«
Karim schüttelte traurig den Kopf.
»Es hätte alles perfekt sein können. Ich hatte wieder eine Aufgabe, die mich ausfüllte, eine Frau, die mich von Herzen liebte. Eigentlich viel zu jung und ungebärdig für mich, doch ebenso einfühlsam und hingebungsvoll. Aber irgendwie hing ein Teil von mir immer noch in der Vergangenheit. Ich konnte mit Kazuko einfach nicht abschließen. Die Verbindung mit Siswati blieb wieder kinderlos, und nach einigen Jahren drängten sich Schatten in unser Leben. Ich machte denselben Fehler, den ich schon einmal gemacht hatte, indem ich mich in die Arbeit vergrub und meine Frau vernachlässigte. Siswati litt darunter, ertrug es aber klaglos. Diesmal erkannte ich mein Fehlverhalten von selbst und versuchte es zu ändern. Ob mir das ganz gelang, bezweifle ich, doch Siswati blühte wieder auf. Es folgten einige glücklich Jahre. Ich ließ mir einen Bart wachsen, um älter zu erscheinen. Das gelang auch sehr gut, da Kopf und Barthaar seit Kazukos Tod, fast vollständig ergraut waren. Nachdem ich mir den Schädel noch lange Zeit kurz geschoren hatte, ließ ich die Haare jetzt wachsen. Einige vorgetäuschte Wehwehchen vervollständigten den Eindruck, und keiner schien etwas zu bemerken. Siswati verfiel zunehmend, und mit Mitte vierzig schleppte sie sich nur noch dahin. Sie klagte nicht, und auf meine Fragen fand sie immer plausible Erklärungen. Als mich das nicht mehr beruhigte, versuchte ich vergeblich ihren Körper zu erkunden. Ich glaubte diese Fähigkeit verloren zu haben, da ich alles in dieser Richtung vernachlässigt hatte, doch es hatte einen anderen Grund.«
Karim machte eine kurze Pause, und Sarah wagte nicht, die Stille zu durchbrechen.
»Eines Tages kam ich vom Feld und fand sie, bewusstlos im Haus auf dem Boden liegend. Ich trug sie auf unser Lager und versuchte sie zu wecken, doch ohne Erfolg. In meiner Verzweiflung unternahm ich noch einmal den Versuch, ihren Körper zu erkunden, und diesmal gelang es mir. Was ich herausfand, traf mich hart. Sie hatte Krebs. Ihr ganzer Körper wurde von den wuchernden Zellen zerfressen. Kurz entschlossen versuchte ich mich in der Heilung, was von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Zum einen war die Krankheit schon zu weit fortgeschritten. Zum anderen hatte ich das Training dieser Fähigkeiten stark vernachlässigt. Das Einzige, was ich erreichte, war, dass sie erwachte. Erschrocken blickte sie mich an und fragte:
›Hast du es herausgefunden?‹
Ich nickte nur, und traurig senkte sie die Lider.
›Das wollte ich nicht, und die Stimmen in mir haben es mir auch immer verboten, mit dir darüber zu reden.‹
›Was für Stimmen?‹, fragte ich ungehalten.
›Die, die zu mir sprechen, seit wir uns das erste Mal begegnet sind. Sie helfen mir, aber sie legen mir auch Verbote auf. Und eins davon war, nicht mit dir über die Krankheit zu sprechen.‹
Das verstand ich nicht und ...«
»Die Stimmen in ihr?«, fragte Sarah mit angespannter Stimme.
Karim nickte.
»Ja,