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und ich konn­te nichts da­ge­gen tun, weil sie es vor mir ver­heim­lich­te.«

      Ka­rim schüt­tel­te trau­rig den Kopf, und Sa­rah merk­te, dass es wie­der Er­in­ne­run­gen wa­ren, die ihm zu schaf­fen mach­ten.

      »Aber ich will dir die Ge­schich­te in ih­ren gro­ben Ab­läu­fen er­zäh­len, da­mit du die Zu­sam­men­hän­ge bes­ser ver­stehst.«

      Er sam­mel­te sich kurz, hol­te tief Luft und be­gann mit lei­ser Stim­me:

      »Ich hat­te, von Bur­ma kom­mend, den in­di­schen Sub­kon­ti­nent schon ei­ni­ge Jah­re ziel­los durch­wan­dert und hör­te im­mer wie­der von ei­nem einst­mals großen Volk im Nord­wes­ten. Vie­le Le­gen­den rank­ten sich um die­se Kul­tur, doch man sprach da­von, dass ihre großen Städ­te nur noch Rui­nen wä­ren. Mein In­ter­es­se war ge­weckt, und ich schlug die be­sag­te Rich­tung ein. Süd­öst­lich vom In­dus fand ich die ers­ten ver­fal­le­nen Sied­lun­gen. In ei­nem brei­ten Flus­stal, das nur noch von ei­nem klei­nen Rinn­sal durch­flos­sen wur­de, traf ich auf Nach­kom­men je­nes Vol­kes. Es wa­ren ein­fa­che Bau­ern und Vieh­hir­ten, die nur noch ein Schat­ten der vor­mals großen Kul­tur wa­ren. Sie er­zähl­ten mir, dass zu den Zei­ten, als die großen Sied­lun­gen be­wohnt wa­ren, das Flüss­chen mehr Was­ser führ­te als der Fluss im Nord­wes­ten, der In­dus. Erd­be­ben und Erd­rut­sche im Hi­ma­la­ja, dem Quell­ge­biet des Flus­ses, lei­te­ten das Was­ser in an­de­re Flüs­se um. Aus­blei­ben­de Re­gen­fäl­le ta­ten ein Üb­ri­ges, die Be­wäs­se­rung der aus­ge­dehn­ten Fel­der ver­sag­te, und die Be­woh­ner des dicht be­sie­del­ten Ge­bie­tes, die nicht mehr er­nährt wer­den konn­ten, wan­der­ten ab. Heu­te durch­zie­hen nur von Men­schen ge­schaf­fe­ne Kanä­le das Ge­biet, doch sie kön­nen den großen Fluss von einst nicht er­set­zen.«

      Eine laut hu­pen­de Li­mou­si­ne über­hol­te sie und riss Ka­rim kurz aus sei­nen Ge­dan­ken. Er be­schleu­nig­te wie­der, hat­te er doch den Ver­kehr für kur­ze Zeit au­ßer Acht ge­las­sen.

      »Aber ich schwei­fe schon wie­der ab. Ich woll­te dir ja von Sis­wa­ti er­zäh­len. Als ich sie das ers­te Mal traf, war sie ge­ra­de sieb­zehn Jah­re alt. Ihr Va­ter woll­te sie mit ei­nem Bau­ern­sohn aus der Nach­bar­schaft ver­hei­ra­ten, ei­nem gro­ben Men­schen, der nicht nach Sis­wa­tis Ge­schmack war. Sie floh von zu Hau­se, und ich stol­per­te fast über das Häuf­lein Elend, als ich mich dem Dorf nä­her­te. Schluch­zend saß sie un­ter ei­nem Baum und wuss­te nicht mehr wei­ter. Ihr Va­ter kam mit Freun­den, um sie zu­rück­zu­ho­len. Sie schrie, sprang auf und lief mir di­rekt in die Arme.«

      Ein Lä­cheln zeig­te sich in Al-Kis­met­bahrs Ge­sicht.

      »So lern­te ich sie ken­nen, die Sanf­te vom Gh­ag­gra-Ha­kra-Fluss. Mit ei­ni­ger Mühe konn­te ich ih­ren Va­ter da­von ab­brin­gen, sie zwangs­zu­ver­hei­ra­ten. Da er kei­ne Söh­ne hat­te, soll­te ich zum Aus­gleich für eine Wei­le bei der Fa­mi­lie blei­ben, um auf den Fel­dern zu hel­fen. Dar­aus wur­den dann 29 Jah­re. Sis­wa­ti wur­de mei­ne Frau, und nach dem Tod ih­rer El­tern führ­ten wir ge­mein­sam die Land­wirt­schaft fort.«

      Sa­rah hat­te mit ei­nem kla­gen­den Ton aus­ge­at­met, und er sah sie kurz an. Schnell senk­te sie die Li­der, und Ka­rim wuss­te nicht, was er da­von hal­ten soll­te. Schul­ter­zu­ckend fuhr er fort:

      »Doch der Rei­he nach: Im ers­ten Jahr ar­bei­te ich wie ein Ta­ge­löh­ner bei der Fa­mi­lie. Sis­wa­ti war über­mü­tig wie ein jun­ges Foh­len und such­te im­mer wie­der mei­ne Nähe. Lang­sam lern­ten wir uns ken­nen und lie­ben, ohne dass ihre El­tern et­was da­von be­merk­ten. Nach ei­nem Jahr dräng­te ihr Va­ter, dass sie nun end­lich einen Mann neh­men müs­se, denn sonst wäre sie bald zu alt da­für. Bei ei­nem Ge­spräch die­ser Art er­öff­ne­te sie ihm, dass sie nur mich hei­ra­ten wür­de, und mit großen Au­gen sah er uns an. Es war ihm wirk­lich ent­gan­gen. Mitt­ler­wei­le wa­ren wir aber bei der Ar­beit ein gut ein­ge­spiel­tes Team und er­gänz­ten uns her­vor­ra­gend. Nach kur­zem Zö­gern stimm­te er zu, und so wur­de ich Teil der Fa­mi­lie.«

      Ka­rim schüt­tel­te trau­rig den Kopf.

      »Es hät­te al­les per­fekt sein kön­nen. Ich hat­te wie­der eine Auf­ga­be, die mich aus­füll­te, eine Frau, die mich von Her­zen lieb­te. Ei­gent­lich viel zu jung und un­ge­bär­dig für mich, doch eben­so ein­fühl­sam und hin­ge­bungs­voll. Aber ir­gend­wie hing ein Teil von mir im­mer noch in der Ver­gan­gen­heit. Ich konn­te mit Ka­zu­ko ein­fach nicht ab­schlie­ßen. Die Ver­bin­dung mit Sis­wa­ti blieb wie­der kin­der­los, und nach ei­ni­gen Jah­ren dräng­ten sich Schat­ten in un­ser Le­ben. Ich mach­te den­sel­ben Feh­ler, den ich schon ein­mal ge­macht hat­te, in­dem ich mich in die Ar­beit ver­grub und mei­ne Frau ver­nach­läs­sig­te. Sis­wa­ti litt dar­un­ter, er­trug es aber klag­los. Dies­mal er­kann­te ich mein Fehl­ver­hal­ten von selbst und ver­such­te es zu än­dern. Ob mir das ganz ge­lang, be­zweifle ich, doch Sis­wa­ti blüh­te wie­der auf. Es folg­ten ei­ni­ge glück­lich Jah­re. Ich ließ mir einen Bart wach­sen, um äl­ter zu er­schei­nen. Das ge­lang auch sehr gut, da Kopf und Bart­haar seit Ka­zu­kos Tod, fast voll­stän­dig er­graut wa­ren. Nach­dem ich mir den Schä­del noch lan­ge Zeit kurz ge­scho­ren hat­te, ließ ich die Haa­re jetzt wach­sen. Ei­ni­ge vor­ge­täusch­te Weh­weh­chen ver­voll­stän­dig­ten den Ein­druck, und kei­ner schi­en et­was zu be­mer­ken. Sis­wa­ti ver­fiel zu­neh­mend, und mit Mit­te vier­zig schlepp­te sie sich nur noch da­hin. Sie klag­te nicht, und auf mei­ne Fra­gen fand sie im­mer plau­si­ble Er­klä­run­gen. Als mich das nicht mehr be­ru­hig­te, ver­such­te ich ver­geb­lich ih­ren Kör­per zu er­kun­den. Ich glaub­te die­se Fä­hig­keit ver­lo­ren zu ha­ben, da ich al­les in die­ser Rich­tung ver­nach­läs­sigt hat­te, doch es hat­te einen an­de­ren Grund.«

      Ka­rim mach­te eine kur­ze Pau­se, und Sa­rah wag­te nicht, die Stil­le zu durch­bre­chen.

      »Ei­nes Ta­ges kam ich vom Feld und fand sie, be­wusst­los im Haus auf dem Bo­den lie­gend. Ich trug sie auf un­ser La­ger und ver­such­te sie zu we­cken, doch ohne Er­folg. In mei­ner Ver­zweif­lung un­ter­nahm ich noch ein­mal den Ver­such, ih­ren Kör­per zu er­kun­den, und dies­mal ge­lang es mir. Was ich he­r­aus­fand, traf mich hart. Sie hat­te Krebs. Ihr gan­zer Kör­per wur­de von den wu­chern­den Zel­len zer­fres­sen. Kurz ent­schlos­sen ver­such­te ich mich in der Hei­lung, was von An­fang an zum Schei­tern ver­ur­teilt war. Zum einen war die Krank­heit schon zu weit fort­ge­schrit­ten. Zum an­de­ren hat­te ich das Trai­ning die­ser Fä­hig­kei­ten stark ver­nach­läs­sigt. Das Ein­zi­ge, was ich er­reich­te, war, dass sie er­wach­te. Er­schro­cken blick­te sie mich an und frag­te:

      ›Hast du es he­r­aus­ge­fun­den?‹

      Ich nick­te nur, und trau­rig senk­te sie die Li­der.

      ›Das woll­te ich nicht, und die Stim­men in mir ha­ben es mir auch im­mer ver­bo­ten, mit dir dar­über zu re­den.‹

      ›Was für Stim­men?‹, frag­te ich un­ge­hal­ten.

      ›Die, die zu mir spre­chen, seit wir uns das ers­te Mal be­geg­net sind. Sie hel­fen mir, aber sie le­gen mir auch Ver­bo­te auf. Und eins da­von war, nicht mit dir über die Krank­heit zu spre­chen.‹

      Das ver­stand ich nicht und ...«

      »Die Stim­men in ihr?«, frag­te Sa­rah mit an­ge­spann­ter Stim­me.

      Ka­rim nick­te.

      »Ja,

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