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Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel
Читать онлайн.Название Traum oder wahres Leben
Год выпуска 0
isbn 9783738079319
Автор произведения Joachim R. Steudel
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Sie waren in der ersten Etage angekommen, und Nailah blieb stehen, um Sarah intensiv zu mustern.
»Hm, das kann ich kaum glauben. Ich spüre ein Band zwischen euch, das stärker ist als alles, was ich bisher an ihm wahrgenommen habe. In deinen Augen kann ich eine Sehnsucht sehen, die ich selbst einmal verspürt habe. Auch wenn noch Zweifel in deinem Herzen wohnen, verbindet euch etwas, was stärker ist als eine lange Freundschaft.«
»Hast du auch solche Fähigkeiten wie er?«
»Was für Fähigkeiten?«, fragte Nailah mit hochgezogenen Brauen.
»Ach nichts ... ich dachte nur ...«, stotterte Sarah, dem Blick der Freundin ausweichend.
»Wenn du eine gute Beobachtungsgabe meinst, dann stehe ich ihm sicher nicht nach. Ich habe deinen Blick gesehen, als ich ihn zur Begrüßung umarmte. Höre die Unsicherheit in deiner Stimme, wenn wir auf ihn zu sprechen kommen, und spüre, wie du dich nach ihm sehnst.«
Sarah schluckte vernehmlich, und ihre Wangen röteten sich.
»Ist es wirklich so offensichtlich?«
Mit einem leisen Auflachen drückte Nailah sie herzlich an sich.
»Mach dir keine Gedanken. Andere sehen es vielleicht nicht gleich, aber ich bin ein bisschen sensibel in dieser Richtung, da mich die gleichen Gefühle auch einmal beherrscht haben. Heute weiß ich, dass ich nicht den Funken einer Chance hatte, doch bei dir scheint das anders zu sein.«
»Meinst du?«, fragte Sarah mit einem hoffnungsvollen Aufflackern in den Augen.
»Ja, da bin ich mir sicher. Willst du es testen? Du findest in dieser Etage alles, um einen Mann zu betören. Such dir ein paar schöne Dessous aus. Schmuck und Make-up sind auch in jeder Richtung zu finden, und ein paar Tipps bekommst du gratis.«
Jetzt war es Sarah, die lachte.
»Ich denke, Tipps brauche ich nicht von dir, ich habe da sicher mehr Erfahrung. Doch, ob das bei ihm hilfreich ist, bezweifle ich.«
Prüfend blickte sie in die Runde.
»Make-up mag er nicht, Schmuck ist etwas Äußerliches, worauf er keinen Wert legt, aber schön Verpacktes könnte ihn vielleicht reizen«, sagte sie mit Blick auf die Dessous.
»Du kennst ihn anscheinend viel besser als ich«, sagte Nailah und strebte den Unterwäscheauslagen zu.
»Warte, das geht nicht. Unser Aufbruch war so plötzlich, dass ich keine Möglichkeit hatte, Geld umzutauschen. Ich kann’s also nicht bezahlen.«
»Dann nehm ich’s mit auf seine Kreditkarte.«
»Auf keinen Fall! Aber vielleicht kann ich mit meiner EC-Karte zahlen?«
»Leider nicht, unser Lesegerät akzeptiert solche Karten nicht. Aber wir können zur Bank auf der anderen Straßenseite gehen, und du hebst am Automaten etwas ab.«
Freudig stimmte Sarah zu, und bald darauf stand sie wieder vor den Dessous und stöberte mit ruhigerem Gewissen in den Auslagen. Wenn Nailah etwas vorschlug, schüttelte sie meist den Kopf und wählte etwas anderes.
Nach einiger Zeit war sie zufrieden mit ihrer Auswahl, hatte bezahlt und drückte mit klopfenden Herzen das kleine Packet an sich. Unsicherheit kam in ihr auf. War es richtig, was sie vorhatte? Sie war sich ja selbst noch nicht sicher, was sie fühlte. War sie wirklich verliebt in ihn, oder waren das Gefühle anderer aus den Geschichten, die er ihr erzählt hatte?
Nailah merkte nichts von ihrer Unsicherheit und führte sie, fröhlich auf sie einredend, in das zum Geschäft gehörende Café. Sarah erfasste kaum, was Nailah sagte, und erst als Karims Name fiel, riss sie sich aus ihren Grübeleien.
»Wie lange kennst du Karim schon«, hatte Nailah gefragt und nur stockend kam ihre Antwort.
»Noch nicht einmal zwei Wochen. Und nur vier Tage, wenn ich die Zeit rechne, die wir bisher gemeinsam verbracht haben. Dennoch ist mir, als kenne ich ihn schon ewig. Diese vier Tage waren so intensiv, so angefüllt mit Informationen, dass ich mich fühle, als hätte ich mein halbes Leben mit ihm verbracht.«
Ungläubig schüttelte Nailah den Kopf.
»Sollte ich mich so täuschen? Ich habe eine derart starke Vertrautheit zwischen euch gespürt, dass ich dachte, ihr seid schon lang ein Paar.«
»Na ja, so falsch liegst du nicht, denn die Vertrautheit ist auf jeden Fall da. Er hat mir Dinge aus seinem Leben erzählte, die noch niemand so von ihm erfahren hat ..., sagt er zumindest. Aber auf jeden Fall hat er mir Kraft gegeben und mich ins Leben zurückgeholt.«
»Wie meinst du das: ins Leben zurückgeholt?«
»So, wie ich es sage. Ich wollte sterben, meinem Leben ein Ende setzen, und er hat mir gezeigt, dass dies der falsche Weg gewesen wäre.«
Nailah setzte ihre Kaffeetasse langsam ab und musterte Sarah zum wiederholten Male skeptisch.
»Aber warum denn das? Du bist jung, scheinst gesund und klug zu sein. Ausnehmend hübsch bist du außerdem. Aus welchem Grund wolltest du das alles wegwerfen?«
Sarah überlegte, wie viel sie ihr erzählen sollte, schüttelte den Kopf und kam zu dem Schluss, dass es gut wäre, sich auch einmal mit jemand anders darüber auszutauschen.
»Weil ich an einem Punkt angekommen war, der mich die Oberflächlichkeit meines Lebens erkennen ließ. Ich habe für den Kick, den Lustgewinn, mich und meinen Körper verkauft. Meine Lehre abgebrochen, alle Zukunftschancen ignoriert. Mit meinen Eltern gebrochen, weil sie sich meiner schämten. Nur für den Augenblick gelebt. Befriedigung in einer Welt gesucht, die nicht real ist. Tausende können das jetzt sehen, und ich schäme mich dafür, doch damals hat mich mein Körper und nicht der Kopf beherrscht.«
Mit offenem Mund starrte Nailah sie an, und stockend fragte sie:
»Du hast bei Pornos mitgewirkt?«
»Ja«, antwortete Sarah trocken. »Jetzt siehst du mich mit anderen Augen, und ich kann es dir auch nicht verübeln.«
»Nein, warte.« Beschwichtigend hob Nailah die Hände. »So war das nicht gemeint. Ich kann’s nur kaum glauben, denn du wirkst überhaupt nicht so, wie ich mir solch einen Menschen vorstelle.«
»Was entspräche denn deiner Vorstellung? Müsste ich halb nackt herumlaufen, schmierige Worte auf den Lippen haben und jeden Mann anmachen?«
Jetzt röteten sich Nailahs Wangen, und beschämt senkte sie den Blick.
»Ich ... ich weiß nicht. Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Entschuldige, ich bin mit der Situation etwas überfordert.«