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sich mit ih­nen – wie sie sag­te – wie mit le­ben­den Men­schen un­ter­hal­ten.«

      Sa­rah at­me­te ge­räusch­voll ein und aus.

      »Das macht mir Angst.«

      »Was ich gut ver­ste­he, aber ich weiß nicht, was ich da­ge­gen tun könn­te. Doch viel­leicht soll­test du ler­nen, sie zu ver­ste­hen, und al­les fin­det ein Ende. Viel­leicht habe ich ja end­lich ge­nug ge­lernt.«

      »Ge­nug ge­lernt?«

      »Ja, denn ums Ler­nen geht es an­schei­nend. Als ich Sis­wa­ti frag­te, warum ihr die Stim­men ver­bo­ten hät­ten, mit mir dar­über zu spre­chen, sag­te sie:

      ›Da­mit du lernst, lernst zu ver­ste­hen.‹

      Doch ich ver­stand gar nichts. Ich dach­te, der Krebs hät­te auch ih­ren Ver­stand an­ge­grif­fen und sie hal­lu­zi­nie­re viel­leicht. Erst viel spä­ter be­griff ich, dass dem nicht so war. Mit al­ler Kraft ver­such­te ich, ihr Lei­den zu min­dern. Am An­fang woll­te sie sich da­ge­gen sper­ren, doch dann gab sie lä­chelnd nach und sag­te:

      ›Es wird dir nicht ge­lin­gen. Du kannst es nur hi­n­aus­zö­gern, aber viel­leicht ist das auch gut so, denn da­bei kannst du viel­leicht doch noch et­was ler­nen.‹

      Die­se Ein­stel­lung mach­te mich wü­tend, und im Ge­hei­men ver­wünsch­te ich die Stim­men in ihr. Sie schi­en es zu wis­sen, lach­te dar­über und be­gann mir vie­les zu er­klä­ren. In der Zeit, als ich sie ver­nach­läs­sigt hat­te, war es ihr ge­lun­gen, die Stim­men zu ver­ste­hen. Sie konn­te Fra­gen stel­len und er­hielt fast im­mer eine Ant­wort. Auch über mei­ne Ver­gan­gen­heit un­ter­rich­te­ten sie die Stim­men. Vie­les von Ka­zu­ko hat­te ich vor ihr ver­heim­licht, doch sie er­zähl­ten es ihr. Sie wuss­te Din­ge, die ich ihr nie­mals ver­ra­ten hat­te, und das ver­un­si­cher­te mich zu­se­hends. Sie lern­te auch viel von ih­nen: Ver­ständ­nis, Hin­ga­be und ei­ni­ges mehr, was mir zu die­ser Zeit in vie­len Si­tua­tio­nen fehl­te. Als die Krank­heit sich ein­stell­te, hal­fen sie ihr, den Schmerz aus­zu­blen­den und al­les mit Ge­duld zu er­tra­gen. Sie sag­te mir, es wäre kei­ne Last für sie ge­we­sen. Im Ge­gen­teil, sie war dank­bar für die Jah­re mit mir. In den we­ni­gen ver­blei­ben­den Mo­na­ten er­schi­en sie glück­li­cher denn je. Im­mer wie­der er­zähl­te sie mir, wie schön es für sie war, als ich mich be­sann und den Weg zu­rück zu ihr fand. Im Lau­fe die­ser Ge­sprä­che be­griff ich, dass es un­sin­nig ist, im Ver­gan­ge­nen ver­haf­tet zu blei­ben. Dass die Zeit, die man da­mit ver­bringt, ver­lo­re­ne Zeit ist, et­was, was man nie­mals wie­der auf­ho­len kann. Vie­le Jah­re, die ich mit Sis­wa­ti hät­te glück­lich sein kön­nen, habe ich so ver­geu­det. Und ob­wohl ich das be­grif­fen hat­te, habe ich spä­ter im­mer wie­der ähn­li­che Feh­ler ge­macht.«

      Sa­rah blick­te nach­denk­lich auf ihre Hän­de.

      »Was ha­ben ihr die Stim­men noch ge­sagt? Es wa­ren doch ver­schie­de­ne?«

      Al-Kis­met­bahr nick­te.

      »Ja, es scheint eine gan­ze Grup­pe ge­we­sen zu sein, und sie ha­ben über vie­les mit ihr ge­spro­chen, doch den Grund für ihr Vor­han­den­sein habe ich nicht er­kannt. Das war es doch, was du wis­sen woll­test, oder?«

      »Hm«, stieß Sa­rah lei­se her­vor. »Ei­ner­seits ma­chen mir die Stim­men Angst. An­de­rer­seits seh­ne ich mich nach ih­nen. Ich habe das Ge­fühl, sie ge­hö­ren zu mir. Aber wenn ich höre, dass sie Sis­wa­ti nicht ge­hol­fen ha­ben und sie dräng­ten, ihre Krank­heit zu ak­zep­tie­ren, ja sie so­gar vor dir zu ver­heim­li­chen, dann möch­te ich sie am liebs­ten wie­der los­wer­den.«

      »Ich gehe da­von aus, dass dir das nicht ge­lin­gen wird. Vie­le, mit de­nen ich nä­her be­kannt wur­de, ha­ben mir von den Stim­men er­zählt, und ich schei­ne der Grund für ihr Auf­tre­ten zu sein. Es tut mir leid, dass du da­mit be­las­tet wirst, an­de­rer­seits hof­fe ich, da­durch end­lich den ewi­gen Kreis­lauf durch­bre­chen zu kön­nen. Han Li­ang Tian, der alte Abt von Shao­lin, sprach als Ers­ter von ih­nen. Ihm hat­ten sie be­foh­len, mich aus­zu­bil­den. Mir al­les bei­zu­brin­gen, was er wuss­te. Der Schmied von Sen­dai er­wähn­te sie auch. Ihn hat­ten die Stim­men ver­an­lasst, mich auf der Ban­dai-Missi­on zu be­glei­ten. Da­mals habe ich nicht wei­ter dar­auf ge­ach­tet, denn ge­ra­de der Schmied wähl­te oft kau­zi­ge Er­klä­run­gen für sein Ver­hal­ten. Doch im­mer, wenn die Stim­men ver­stärkt auf­tra­ten, habe ich grund­le­gen­de Er­kennt­nis­se ge­won­nen. Auch heu­te, bei der Gra­bungs­stel­le, ist mir durch die Ge­sprä­che, die ich in letz­ter Zeit mit dir ge­führt habe, et­was be­wusst ge­wor­den. Ich muss einen der gra­vie­rends­ten Feh­ler, den ich je­mals be­gan­gen habe, kor­ri­gie­ren.«

      »Was für einen Feh­ler?«, frag­te Sa­rah und blick­te ge­spannt in Ka­rims Ge­sicht.

      »Du wirst es er­fah­ren, aber nicht jetzt! Ich muss heu­te un­be­dingt noch ei­ni­ges in die Wege lei­ten, und da­bei kannst du mich lei­der nicht be­glei­ten. Die Män­ner, die ich auf­su­chen muss, sind streng­gläu­bi­ge Mus­li­me und in der Ge­gen­wart ei­ner Frau wür­den sie nie­mals mit mir über die Din­ge ver­han­deln, die ich brau­che.«

      »Weil ich noch kei­ne ent­spre­chen­de Klei­dung habe?«

      »Nein, weil ih­nen an­de­re Wert­vor­stel­lun­gen ei­gen sind. Im Grun­de wie­der­strebt es mir sie ein­zu­be­zie­hen, doch die der­zei­ti­gen Um­stän­de las­sen mich kei­nen bes­se­ren Weg er­ken­nen.«

      Sa­rah zog die Brau­en hoch und blick­te Ka­rim skep­tisch an.

      »Viel­leicht ...«

      »Nein Sa­rah! Ich wer­de nicht mit dir dis­ku­tie­ren und dir auch nichts wei­ter dar­über sa­gen.«

      Nach ei­nem Blick in sei­ne Au­gen schüt­tel­te Sa­rah mit ei­nem ent­täusch­ten Ge­sichts­aus­druck den Kopf. Wie­der ein­mal war es ihr, als ken­ne sie ihn schon vie­le Jah­re, und die Un­um­stöß­lich­keit sei­ner Mei­nung war ihr be­wusst.

      Al-Kis­met­bahr hol­te tief Luft, als er merk­te, dass er in alte Ge­wohn­hei­ten ver­fiel.

      »Wenn es dir recht ist, wür­de ich dich ger­ne bei ei­ner gu­ten Freun­din ab­set­zen. Sie ist die Frau von Ha­ma­di Fa­t­hal­lah, dem be­freun­de­ten Re­gie­rungs­be­am­ten aus der heu­ti­gen Grup­pe. Nailah Fa­t­hal­lah hat ein gut ge­hen­des Ge­schäft in Kai­ro. Sie kann jede Frau in je­der ge­wünsch­ten Form ein­klei­den, und zur Ent­span­nung gibt es auch noch ein Café. Män­ner wirst du dort nicht fin­den, aber ich den­ke, Nailah wird dir ge­fal­len.«

      »Soll ich mir dort die Klei­dung be­sor­gen, von der du sprachst?«

      »Nur, wenn du willst. Lass dich von ihr be­ra­ten, wenn dir nichts ge­fällt, kaufst du nichts.«

      In der Zwi­schen­zeit wa­ren sie schon in Kai­ro an­ge­langt und fuh­ren ge­ra­de über eine Brücke, um auf die an­de­re Sei­te des Nils zu kom­men. Kur­ze Zeit spä­ter hielt Ka­rim am Ran­de ei­ner be­leb­ten Ein­kaufs­s­tra­ße. Nach we­ni­gen Me­tern Fuß­weg lie­fen sie an den gut de­ko­rier­ten Schau­fens­tern und dem Ein­gangs­por­tal ei­nes Be­klei­dungs­ge­schäf­tes vor­bei, des­sen Aus­la­gen nur streng­gläu­bi­ge Mus­li­me an­zu­spre­chen schie­nen.

      Al-Kis­met­bahr führ­te Sa­rah nach dem letz­ten Schau­fens­ter in einen of­fe­nen Haus­ein­gang, folg­te der Trep­pe in den ers­ten Stock und klin­gel­te an ei­ner un­schein­ba­ren

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