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Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel
Читать онлайн.Название Traum oder wahres Leben
Год выпуска 0
isbn 9783738079319
Автор произведения Joachim R. Steudel
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Wart mal, den Namen habe ich heute schon einmal gehört. War der nicht an einer Grabgestaltung beteiligt, die Nailah erforscht hat?«
Karim lachte leise auf.
»Ja, und ich auch, doch das konnte ich ihr natürlich nicht erzählen.«
»Deshalb wusstest du so gut über dieses Grab Bescheid. Das ist ja gemein.«
Mit einem verschmitzten Lächeln stellte Al-Kismetbahr fest:
»Sie hat dir also davon erzählt. Aber wieso gemein? Ich hatte nur die Absicht, ihr zu helfen. Als sie mich aber demütigen wollte, konnte ich nicht widerstehen und ließ sie in ihre eigene Falle tappen. Das war nicht böse gemeint, im Gegenteil, es hat unsere Beziehung am Ende eher befruchtet. Leider konnte ich ihr nicht alles über die Grabanlage erzählen, denn vieles ließ sich nicht belegen, und deshalb äußerte ich nur einige Vermutungen. Der Hohepriester, für den das Grab eigentlich bestimmt war, wurde nie in ihm beigesetzt. Bei den Unruhen, die zur Zeit von Echnatons Tod ausbrachen, kam er ums Leben und seine Leiche wurde vom Nil verschlungen. Danach blieb das Grab, wie so viele andere auch, ungenutzt. Die Familie dieses ersten Gottesdieners von Aton war hoch angesehen und in vielen wichtigen Positionen vertreten. Der Vorlesepriester Qenamun war ein Spross jenes Clans. Reichtum und Einfluss seiner Familie verhalfen ihm zu hohem Ansehen. Geschickt nutzte er das, um sich emporzuarbeiten. Wäre er nicht in relativ jungen Jahren am Sumpffieber gestorben, hätte sich sein Wunsch, erster Gottesdiener des Amun-Re zu werden, sicher erfüllt. Aufgrund des frühen Todes waren die Vorbereitungen für sein Leben nach dem Tod noch nicht weit gediehen, und die Familie sah sich gezwungen, andere Optionen in Erwägung zu ziehen. Die Wahl fiel auf besagtes Grab. Grabschänder hatten in der Zwischenzeit schon viel Schaden angerichtet, so den Namen des Vorbesitzers getilgt und anderes. Es blieben nur siebzig Tage – die Zeit, in welcher der Leichnam mumifiziert und die Riten zur Vorbereitung auf das ewige Leben vollzogen wurden –, um die Gestaltung des Grabes zu vollenden. Viele Handwerker konnten aus diesem Grund die Arbeit nicht übernehmen, nur Amunwashu, Hui sowie zwei weitere hoch angesehene Künstler hatten gerade ein Fürstengrab fertiggestellt und waren frei. So kam es, dass ich mit Amunwashu die zeichnerischen Arbeiteten ausführte. Nailah wird leider nichts von alldem erfahren, und du bist die Einzige, der ich bisher davon erzählt habe.«
»Verständlich, aber eigentlich schade, denn irgendwie mag ich Nailah sehr. Aber wie kam es, dass du in zwei Etappen im Reich der Pharaonen gelebt hast?«
Wieder einmal fuhr sich Karim mit der Hand über Stirn und Augen und sagte mit trauriger Stimme:
»Bedingt durch mein Nichtaltern, kamen nach vierzehn Jahren Gerüchte auf. Neidische Handwerker streuten sie unter ihresgleichen. Mein Meister war alt geworden und konnte wegen einer Sehschwäche kam noch arbeiten. Ich sollte sein Nachfolger werden, doch das erboste einige. Ein Brand, bei dem ich meinen Tod vortäuschten konnte, kam mir zu Hilfe. Da ich keine tieferen Freundschaften geschlossen hatte, verließ ich das Land. Mit einem kleinen Boot fuhr ich flussaufwärts und wanderte, immer in der Nähe des Nil, bis zu seinen Quellen. Nachdem ich einen großen Teil des Kontinents durchstreift hatte, betrat ich nach etwa dreißig Jahren, aus der lybischen Wüste kommend, erneut das Gebiet der Pharaonen.«
Karim richtete sich auf, entfernte den Tisch zwischen ihnen und rückte näher an Sarah heran.
»Jetzt kommt der Teil, den ich dir intensiver wiedergeben möchte. Gib mir bitte deine Hand, du weißt ja, wie es geht.«
Gespannt auf das, was nun kommen würde, und erfreut, es wieder erleben zu dürfen, setzte sich Sarah zurecht, legte ihre linke Hand in seine Hände und schloss die Augen. Sofort spürte sie wieder die Wärme und die Kraft, die von ihm ausging, ließ sich fallen und nahm die Bilder zu seinen erklärenden Worten in sich auf. Wieder tauchte sie in seine Welt ein und schien es, teils aus seiner Sicht, oder über ihm schwebend, mitzuerleben.
»Ungefähr auf halber Strecke von hier bis zur Mittelmeerküste erreichte ich die fruchtbaren Randgebiete des Nildeltas. Eigentlich wollte ich mich nicht wieder für längere Zeit in Ägypten aufhalten, sondern nur das Delta durchqueren, um ins Zweistromland zu gelangen. Ich hatte die Wüste noch nicht verlassen, als mir Brandgeruch in die Nase stieg. Daher wechselte ich die Richtung und lief auf die leichten Rauchwolken zu, die in der Ferne sichtbar wurden. Je näher ich kam, umso beißender wurde der Gestank. Er vermischte sich mit dem Geruch von frischem Blut und verbranntem Fleisch. An einem Kanal, der Wasser von einem der Nil-Arme bis in die Randgebiete der Wüste führte, stapfte ich über ein niedergetrampeltes Hirsefeld auf die Reste eines kleinen Dorfes zu. Nur noch schwelende Trümmer waren von den Wohnstätten übrig. Ein winselnder Hund lief mit eingekniffenem Schwanz davon, als ich den Rand des Dorfes erreichte. Mir stockte der Atem bei dem, was ich sah.
Verstreut lagen Leichen zwischen den Brandherden, teilweise bis zur Unkenntlichkeit verkohlt. Ein Esel hatte versucht, seine Einfriedung zu überwinden, und sich selbst aufgespießt. Die Augen waren angsterfüllt hervorgequollen, doch die dahingeschlachteten Menschen erschütterten mich viel mehr. Viele hatten klaffende Wunden, abgetrennte Gliedmaßen, und wenn noch Gesichtszüge erkennbar waren, zeugten sie von der Panik, die sie ergriffen hatte. Es waren einfache, unbewaffnete Bauern gewesen, von denen anscheinend keiner überlebt hatte.
Nachdem ich zu diesem Schluss gekommen war, wollte ich das Dorf verlassen, um Hilfe zu holen, damit die Leichen geborgen wurden, bevor Aasfresser sich über sie hermachten. Als ich an einem Brunnen vorbei kam, blieb ich abrupt stehen.
Für einen Augenblick war es mir so, als hörte ich ein leises Wimmern, doch kaum stand ich, war es wieder still. Ich schüttelte den Kopf und setzte mich wieder in Bewegung, aber schon nach zwei Schritten hörte ich es wieder. Sowie ich stand, herrschte Stille, doch diesmal war ich mir sicher und ging vorsichtig bis zum Brunnen. Ich blickte über den Rand, aber auf dem tiefen Grund konnte ich im ersten Moment nichts erkennen. Erst nach einiger Zeit sah ich eine Bewegung auf der leicht schimmernden Wasserfläche. Jetzt hörte ich wieder das leise Wimmern sowie ein kratzendes, rutschendes Geräusch, das durch den engen Brunnenschacht verstärkt wurde.
Hastig sah ich mich um, fand ein Seil, an dem noch ein Ledereimer hing, befestigte es an den Überresten des halb zerstörten Schaduf und kletterte in den Brunnenschacht hinab. In etwa fünf Metern Tiefe erreichte ich die Wasseroberfläche und sah ein verängstigtes Kind, das sich kaum noch an einem kleinen Steinvorsprung halten konnte. Gerade in diesem Moment rutschte es