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ver­fal­len.

      Laut­stark be­gann ich um Hil­fe zu ru­fen, als Ge­räusche von oben he­r­un­ter­dran­gen. Bald dar­auf wur­de es dun­kel im Brun­nen, denn meh­re­re Män­ner ver­deck­ten die Öff­nung. Sie grif­fen nach dem straff ge­spann­ten Seil und zo­gen uns müh­sam hi­n­auf. Als wir den Rand er­reich­ten, er­hasch­te das Kind einen Blick auf das zer­stör­te Dorf. Wim­mernd press­te es sei­nen Kopf an mei­ne Brust.

      Er­leich­tert stell­te ich fest, dass es Sol­da­ten des Pha­rao wa­ren, die uns ge­hol­fen hat­ten. Jetzt kam mir zu­gu­te, dass ich durch mei­nen ers­ten Auf­ent­halt in Ägyp­ten, die Lan­des­s­pra­che her­vor­ra­gend be­herrsch­te. Schnell über­zeug­te ich sie da­von, dass ich auch ein Op­fer war, das sich mit dem Kind im Brun­nen ver­steckt hat­te. Glück­li­cher­wei­se mach­ten ihre Trup­pen­füh­rer Druck, denn sie woll­ten die ly­bi­schen Krie­ger, die in das Dorf ein­ge­fal­len wa­ren, ver­fol­gen. Die Ein­heit setz­te sich im Eil­schritt wie­der in Be­we­gung, um die deut­lich sicht­ba­re Spur nicht zu ver­lie­ren. Nur eine klei­ne Grup­pe Sol­da­ten, die sich der To­ten an­neh­men soll­ten, wur­de zu­rück­ge­las­sen.

      Kei­ner küm­mer­te sich wei­ter um mich, wäh­rend sie mit ver­knif­fe­nen Mie­nen die Lei­chen aus den Trüm­mern zo­gen und an ei­nem Platz sam­mel­ten. Um dem Kind die­sen An­blick zu er­spa­ren, griff ich mir un­be­merkt mein Wan­der­bün­del, das ich un­ter die Trüm­mer des Scha­duf ge­scho­ben hat­te, und streb­te mit ihm im Arm dem Was­ser­ka­nal zu.

      Da ei­ni­ge Bü­sche die Sicht vom Dorf her be­hin­der­ten, ließ ich mich an der Bö­schung nie­der. Sanft be­gann ich das Kind, das sich im­mer noch an mir fest­krall­te, von mei­ner zu Brust lö­sen, was nur müh­sam ge­lang.

      Mit ei­nem Arm das drei bis vier Jah­re alte Mäd­chen hal­tend, griff ich mit der an­de­ren Hand seit­lich in mein Bün­del und ent­nahm ihm ein sau­be­res Tuch. Nach­dem ich es in dem klei­nen Was­ser­rest des Ka­nals an­ge­feuch­tet hat­te, be­gann ich vor­sich­tig, das Kind vom Schmutz zu be­frei­en. Am Hin­ter­kopf wur­de eine große Beu­le sicht­bar. Die auf­ge­schürf­te Haut an die­ser Stel­le blu­te­te so­fort wie­der, doch schnell ge­lang es mir, die leich­te Blu­tung zu stil­len. Das war nicht schmerz­frei ver­lau­fen, doch das Kind gab kei­nen Laut von sich, zuck­te nur bei je­der Be­rüh­rung zu­sam­men und starr­te mich mit sei­nen großen Au­gen an.

      Die­sen Blick wer­de ich nie ver­ges­sen, denn die Angst und das Leid, das in ihm lag, wa­ren greif­bar. Schwei­gend rei­nig­te ich sie wei­ter. An den klei­nen Hän­den er­wies sich das wie­der als schwie­rig, denn sie blu­te­ten an vie­len Stel­len, weil sie sich beim Fest­hal­ten die Haut von den Fin­gern ge­ris­sen hat­te.

      Zum Ver­bin­den hat­te ich nichts da­bei. Die Sol­da­ten woll­te ich auch nicht auf­su­chen, da das Mäd­chen die Lei­chen nicht noch ein­mal se­hen soll­te. Schüt­zend um­fing ich sie mit dem lin­ken Arm und leg­te die rech­te Hand auf ihre hei­ße Stirn. Ich woll­te ihr, wie ich es in Shao­lin ge­lernt hat­te, bei der Hei­lung hel­fen und gleich­zei­tig Kraft ge­ben, das Er­leb­te zu ver­ar­bei­ten. Si­cher­heit und Ge­bor­gen­heit soll­te sie emp­fin­den, um Angst und Schre­cken zu ver­ges­sen. Doch so leicht war das nicht. Zum einen kann ein klei­nes Kind ein sol­ches Er­leb­nis si­cher nie­mals ver­ges­sen, und zum an­de­ren hat­te ich al­les, was ich in Chi­na und Ja­pan ge­lernt hat­te, kaum noch trai­niert.

      Mit al­ler Kraft kon­zen­trier­te ich mich auf die selbst­ge­stell­te Auf­ga­be und wur­de zum ru­hen­den Pol, der Ener­gie aus­strahl­te. Und was ich kaum zu hof­fen ge­wagt hat­te, ge­lang we­nigs­tens in An­sät­zen. Das Mäd­chen be­gann ru­hi­ger zu at­men, schloss die Au­gen und lag ganz ent­spannt in mei­nem Arm. Fast ent­stand der Ein­druck, dass sie schlief, doch ich konn­te füh­len, wie sie in­ner­lich das Er­leb­te ver­ar­bei­te­te. An­schei­nend hat­te ich ihr Ver­trau­en ge­win­nen kön­nen, und dar­über war ich sehr froh.

      Kin­der sind er­staun­li­che We­sen und ha­ben den Er­wach­se­nen ei­ni­ges vor­aus. Sie spü­ren schnel­ler, ob es je­mand gut meint, und kön­nen sich ei­ner un­be­kann­ten Si­tua­ti­on oft­mals bes­ser an­pas­sen. So war es auch hier, und für eine kur­ze Zeit ent­stand in und um uns eine Oase des Frie­dens. Bald stie­gen Bil­der des zu­letzt Er­leb­ten in dem Kind auf, und durch die Ver­bin­dung, die ich auf­ge­baut hat­te, wur­de ich Zeu­ge des An­griffs.

      Das Mäd­chen hat­te im Haus ih­rer El­tern ge­schla­fen, als sie die angst­er­füll­ten Schreie der Dorf­be­woh­ner weck­ten. Der Tu­mult wur­de im­mer hef­ti­ger und die Lau­te der ster­ben­den Men­schen quä­len­der. Zit­ternd vor Furcht, ver­such­te sie un­ter die Stroh­mat­ten zu krie­chen, die als Schlaf­s­tät­te dienten, doch in die­sem Au­gen­blick stürm­te der Va­ter ins Haus. Er griff sie mit gro­ben Hän­den, dreh­te sich um, riss eine Si­chel von der Hal­te­rung an der Wand und has­te­te aus dem Haus. Ein frem­der Krie­ger stand mit dem Rücken zu ihm, über eine tote Frau ge­beugt. Es war ihre Mut­ter, und mit ei­nem Schrei, wie sie ihn noch nie aus der Keh­le des Va­ters ge­hört hat­te, hieb der dem Krie­ger die Si­chel in den Hals. Wie ein Stein fiel der Mann zu Bo­den und die Si­chel ent­glitt der Hand des Va­ters. Er stock­te kurz, blick­te sich ge­hetzt um und rann­te wei­ter, das Kind wie ein Bün­del un­ter dem Arm. Doch es schi­en kei­nen Aus­weg zu ge­ben, die Frem­den wa­ren über­all.

      Am Brun­nen stol­per­te er über den am Bo­den lie­gen­den Le­de­rei­mer. Ohne wei­ter zu über­le­gen, steck­te er sei­ne Toch­ter mit den Füs­sen zu­erst hi­n­ein, hob ihn hoch und be­gann ihn lang­sam in den Brun­nen hi­n­un­ter­zu­las­sen. Starr vor Angst hat­te das Kind al­les über sich er­ge­hen las­sen, doch jetzt, vom Va­ter ge­trennt, be­gann es bit­ter­lich zu wei­nen. Plötz­lich, das Mäd­chen war noch nicht weit hin­ab­ge­las­sen, ein dump­fes Klat­schen, ge­press­tes Auf­stöh­nen, und der Ei­mer saus­te ohne Halt in die Tie­fe. Sie schlug mit dem Kopf an die Ein­fas­sung, fiel aus dem Ei­mer und lan­de­te im Was­ser. In­stink­tiv such­te sie nach Halt und griff nach ei­nem klei­nen Stein­vor­sprung. Je­mand beug­te sich über den Brun­nen­rand, und un­ter höh­ni­schem La­chen wur­den Seil und Ei­mer hoch­ge­zo­gen. Dann war es still.

      Ich wuss­te nun, wie das Mäd­chen in den Brun­nen ge­langt war. Auch, dass sie el­tern­los war, denn den to­ten Va­ter hat­te ich beim Scha­duf lie­gen se­hen. Tief er­schüt­tert öff­ne­te ich die Au­gen und sah auf das ge­quäl­te Kind hin­ab. Trä­nen quol­len un­ter ih­ren ge­senk­ten Li­dern her­vor, doch stumm ver­ar­bei­te­te sie ihr Leid. Sanft be­gann ich das Kind zu wie­gen, da­bei ein Lied sum­mend, das ich von mei­nem ers­ten Auf­ent­halt her kann­te. Mit ihm hat­te die Frau von Amun­was­hu ihre Kin­der in den Schlaf ge­wiegt, und auch hier ver­fehl­te es sei­ne Wir­kung nicht. Er­schöpft von den Er­leb­nis­sen schlief das Mäd­chen ein.

      Wie lan­ge wir so aus­harr­ten, kann ich nicht ge­nau sa­gen, denn ich wag­te es nicht, mich zu be­we­gen, um das Kind nicht zu stö­ren. So nutz­te ich die Ge­le­gen­heit, lan­ge Ver­nach­läs­sig­tes wie­der ein­zuü­ben. Ich me­di­tier­te mit dem ein­zi­gen Ziel, dem Kind und auch mir Frie­den zu ge­ben.

      Nä­her kom­men­de Stim­men stör­ten die Ruhe und ich öff­ne­te die Au­gen. Da die Son­ne mich blen­de­te, schirm­te ich mit der frei­en Hand die Au­gen ab und konn­te eine Grup­pe Pries­ter er­ken­nen, die auf dem Weg am Ka­nal da­her­ka­men. Ich sah nach un­ten und be­geg­ne­te dem Blick des Mäd­chens. Erst jetzt er­kann­te ich, wie dun­kel ihre Au­gen wa­ren. Die Iris hat­te eine kas­ta­ni­en­brau­ne Far­be, zum äu­ße­ren Rand hin mit fast schwar­zen Strei­fen

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