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Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel
Читать онлайн.Название Traum oder wahres Leben
Год выпуска 0
isbn 9783738079319
Автор произведения Joachim R. Steudel
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Lautstark begann ich um Hilfe zu rufen, als Geräusche von oben herunterdrangen. Bald darauf wurde es dunkel im Brunnen, denn mehrere Männer verdeckten die Öffnung. Sie griffen nach dem straff gespannten Seil und zogen uns mühsam hinauf. Als wir den Rand erreichten, erhaschte das Kind einen Blick auf das zerstörte Dorf. Wimmernd presste es seinen Kopf an meine Brust.
Erleichtert stellte ich fest, dass es Soldaten des Pharao waren, die uns geholfen hatten. Jetzt kam mir zugute, dass ich durch meinen ersten Aufenthalt in Ägypten, die Landessprache hervorragend beherrschte. Schnell überzeugte ich sie davon, dass ich auch ein Opfer war, das sich mit dem Kind im Brunnen versteckt hatte. Glücklicherweise machten ihre Truppenführer Druck, denn sie wollten die lybischen Krieger, die in das Dorf eingefallen waren, verfolgen. Die Einheit setzte sich im Eilschritt wieder in Bewegung, um die deutlich sichtbare Spur nicht zu verlieren. Nur eine kleine Gruppe Soldaten, die sich der Toten annehmen sollten, wurde zurückgelassen.
Keiner kümmerte sich weiter um mich, während sie mit verkniffenen Mienen die Leichen aus den Trümmern zogen und an einem Platz sammelten. Um dem Kind diesen Anblick zu ersparen, griff ich mir unbemerkt mein Wanderbündel, das ich unter die Trümmer des Schaduf geschoben hatte, und strebte mit ihm im Arm dem Wasserkanal zu.
Da einige Büsche die Sicht vom Dorf her behinderten, ließ ich mich an der Böschung nieder. Sanft begann ich das Kind, das sich immer noch an mir festkrallte, von meiner zu Brust lösen, was nur mühsam gelang.
Mit einem Arm das drei bis vier Jahre alte Mädchen haltend, griff ich mit der anderen Hand seitlich in mein Bündel und entnahm ihm ein sauberes Tuch. Nachdem ich es in dem kleinen Wasserrest des Kanals angefeuchtet hatte, begann ich vorsichtig, das Kind vom Schmutz zu befreien. Am Hinterkopf wurde eine große Beule sichtbar. Die aufgeschürfte Haut an dieser Stelle blutete sofort wieder, doch schnell gelang es mir, die leichte Blutung zu stillen. Das war nicht schmerzfrei verlaufen, doch das Kind gab keinen Laut von sich, zuckte nur bei jeder Berührung zusammen und starrte mich mit seinen großen Augen an.
Diesen Blick werde ich nie vergessen, denn die Angst und das Leid, das in ihm lag, waren greifbar. Schweigend reinigte ich sie weiter. An den kleinen Händen erwies sich das wieder als schwierig, denn sie bluteten an vielen Stellen, weil sie sich beim Festhalten die Haut von den Fingern gerissen hatte.
Zum Verbinden hatte ich nichts dabei. Die Soldaten wollte ich auch nicht aufsuchen, da das Mädchen die Leichen nicht noch einmal sehen sollte. Schützend umfing ich sie mit dem linken Arm und legte die rechte Hand auf ihre heiße Stirn. Ich wollte ihr, wie ich es in Shaolin gelernt hatte, bei der Heilung helfen und gleichzeitig Kraft geben, das Erlebte zu verarbeiten. Sicherheit und Geborgenheit sollte sie empfinden, um Angst und Schrecken zu vergessen. Doch so leicht war das nicht. Zum einen kann ein kleines Kind ein solches Erlebnis sicher niemals vergessen, und zum anderen hatte ich alles, was ich in China und Japan gelernt hatte, kaum noch trainiert.
Mit aller Kraft konzentrierte ich mich auf die selbstgestellte Aufgabe und wurde zum ruhenden Pol, der Energie ausstrahlte. Und was ich kaum zu hoffen gewagt hatte, gelang wenigstens in Ansätzen. Das Mädchen begann ruhiger zu atmen, schloss die Augen und lag ganz entspannt in meinem Arm. Fast entstand der Eindruck, dass sie schlief, doch ich konnte fühlen, wie sie innerlich das Erlebte verarbeitete. Anscheinend hatte ich ihr Vertrauen gewinnen können, und darüber war ich sehr froh.
Kinder sind erstaunliche Wesen und haben den Erwachsenen einiges voraus. Sie spüren schneller, ob es jemand gut meint, und können sich einer unbekannten Situation oftmals besser anpassen. So war es auch hier, und für eine kurze Zeit entstand in und um uns eine Oase des Friedens. Bald stiegen Bilder des zuletzt Erlebten in dem Kind auf, und durch die Verbindung, die ich aufgebaut hatte, wurde ich Zeuge des Angriffs.
Das Mädchen hatte im Haus ihrer Eltern geschlafen, als sie die angsterfüllten Schreie der Dorfbewohner weckten. Der Tumult wurde immer heftiger und die Laute der sterbenden Menschen quälender. Zitternd vor Furcht, versuchte sie unter die Strohmatten zu kriechen, die als Schlafstätte dienten, doch in diesem Augenblick stürmte der Vater ins Haus. Er griff sie mit groben Händen, drehte sich um, riss eine Sichel von der Halterung an der Wand und hastete aus dem Haus. Ein fremder Krieger stand mit dem Rücken zu ihm, über eine tote Frau gebeugt. Es war ihre Mutter, und mit einem Schrei, wie sie ihn noch nie aus der Kehle des Vaters gehört hatte, hieb der dem Krieger die Sichel in den Hals. Wie ein Stein fiel der Mann zu Boden und die Sichel entglitt der Hand des Vaters. Er stockte kurz, blickte sich gehetzt um und rannte weiter, das Kind wie ein Bündel unter dem Arm. Doch es schien keinen Ausweg zu geben, die Fremden waren überall.
Am Brunnen stolperte er über den am Boden liegenden Ledereimer. Ohne weiter zu überlegen, steckte er seine Tochter mit den Füssen zuerst hinein, hob ihn hoch und begann ihn langsam in den Brunnen hinunterzulassen. Starr vor Angst hatte das Kind alles über sich ergehen lassen, doch jetzt, vom Vater getrennt, begann es bitterlich zu weinen. Plötzlich, das Mädchen war noch nicht weit hinabgelassen, ein dumpfes Klatschen, gepresstes Aufstöhnen, und der Eimer sauste ohne Halt in die Tiefe. Sie schlug mit dem Kopf an die Einfassung, fiel aus dem Eimer und landete im Wasser. Instinktiv suchte sie nach Halt und griff nach einem kleinen Steinvorsprung. Jemand beugte sich über den Brunnenrand, und unter höhnischem Lachen wurden Seil und Eimer hochgezogen. Dann war es still.
Ich wusste nun, wie das Mädchen in den Brunnen gelangt war. Auch, dass sie elternlos war, denn den toten Vater hatte ich beim Schaduf liegen sehen. Tief erschüttert öffnete ich die Augen und sah auf das gequälte Kind hinab. Tränen quollen unter ihren gesenkten Lidern hervor, doch stumm verarbeitete sie ihr Leid. Sanft begann ich das Kind zu wiegen, dabei ein Lied summend, das ich von meinem ersten Aufenthalt her kannte. Mit ihm hatte die Frau von Amunwashu ihre Kinder in den Schlaf gewiegt, und auch hier verfehlte es seine Wirkung nicht. Erschöpft von den Erlebnissen schlief das Mädchen ein.
Wie lange wir so ausharrten, kann ich nicht genau sagen, denn ich wagte es nicht, mich zu bewegen, um das Kind nicht zu stören. So nutzte ich die Gelegenheit, lange Vernachlässigtes wieder einzuüben. Ich meditierte mit dem einzigen Ziel, dem Kind und auch mir Frieden zu geben.
Näher kommende Stimmen störten die Ruhe und ich öffnete die Augen. Da die Sonne mich blendete, schirmte ich mit der freien Hand die Augen ab und konnte eine Gruppe Priester erkennen, die auf dem Weg am Kanal daherkamen. Ich sah nach unten und begegnete dem Blick des Mädchens. Erst jetzt erkannte ich, wie dunkel ihre Augen waren. Die Iris hatte eine kastanienbraune Farbe, zum äußeren Rand hin mit fast schwarzen Streifen