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Die Entleerung des Möglichen. Reinhold Zobel
Читать онлайн.Название Die Entleerung des Möglichen
Год выпуска 0
isbn 9783753181400
Автор произведения Reinhold Zobel
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Außenstehende sprachen gern davon, man habe es mit Gesetzlosen zu tun. Nichts traf weniger zu. Es gab sie, die Gesetze, und sie wurden strikt eingehalten. Jeder Einzelne wusste, er war geschützt, sollte ihm Gefahr drohen; geriet er dagegen auf Abwege, erwarteten ihn harte, strenge Strafen, im äußersten Fall die Exekution. Es war alles in allem eine gut geölte, gut gepanzerte Maschine, kalt auf der Außenhaut, angenehm temperiert im Innern.
Es gab allerdings eine Nichtkonstante. Das war Mohun selbst. Er bedrohte das eigene System. Er schien gespalten in eine Hälfte, die Halt, Sicherheit und Orientierung bot und in eine andere, die ins Unberechenbare tendierte. Oft, so dachte Oscar, scheint der Führer der eigentliche Gesetzlose zu sein. Er stellt die Gesetze zwar auf, aber er ist es auch, der sie immer wieder bricht. Darin ist er ganz wie der Herrgott.
Mohun hatte überdies, so meinte Oscar sicher beobachtet zu haben, eine weitere undichte Stelle, seelenseitig. Denn es zog ihn ins Schöpferische, ins geistige Abenteuer. Er war ein cleverer Geschäftsmann. Nur war ihm das offenbar nicht genug. Hier beendete Oscar seine Analyse. Es war nicht sein Spezialgebiet. Er wandte sich den aktuellen Umständen zu.
Die Runde um ihn löste sich auf. Er fuhr ins Gouffre Bleu. Dort traf er überraschend auf Saloua. Sie hatte Neuigkeiten, die sie ihm mitteilte. Mohun war, wie schon von ihm vermutet, unterwegs in Afrika. In Drogengeschäften. Aber nicht nur. Er sah auch Filme, hörte Musik, traf sich mit Gauklern, Tänzern, Feuerschluckern, Schlangenbeschwörern, schwärmte von magischen Momenten. Mohun, sagte Saloua, spräche davon, dass er jetzt ein Leben in der Hängematte führe...
Oscar sah sich in der Vorstellung zwischen ihnen eingerahmt. Beiden war eine fließende Weichheit zu eigen, neben der er sich oft wie ein zäher Knorpel vorkam. Aber dort, wo sie hart waren, waren sie härter als er. Warum war Saloua zurückgekommen? Hatte Mohun sie fortgeschickt? Sie hüllte sich darüber in Schweigen. Er sah sie jetzt, wie er unter Bedauern feststellte, nur noch selten. Sie war ruhig geworden, ruhig und ernsthaft. Es war wohl nicht allein der Tod des Vaters. Er nahm an, eine andere Frau, auf Seiten Mohuns, sei mit im Spiel.
Oscar hatte, wie allabendlich, sein Mezzoforte. Die Nacht schien - an der Oberfläche - eine x-beliebige. Er verließ den Club als letzter. Er kannte die Räume, hatte sie oft durchschritten, wie auch die Gerüche, er hatte sie oft gerochen; er hatte die Luft hier viele Male geatmet, sie hatte sich mit seinem Atem vermischt. Aber ihm wollte es, als er die Tür verriegelte, so erscheinen, als sei all das wie in Watte verpackt. Er wähnte sich am Rande eines Nichts, aber am Ende war dieses Nichts womöglich der einzig reale, ja, der einzig verlässliche Ort.
Kapitel 14
Er fährt ins Krankenhaus. Was ist geschehen? Sie ist gestürzt und hat sich am Kopf verletzt. Es ist auf dem Fahrrad passiert. Sie hat ein Einzelzimmer. Nun, das ist selbstverständlich, schließlich sind sie privat versichert. Der behandelnde Arzt, dem er kurz auf dem Korridor begegnet, macht einen langmütigen Eindruck, wenngleich seine Gesichtsfarbe, wie Oskar findet, die Annahme nähren könnte, in den Tiefen seines Seelenkastens poche eine cholerische Ader.
Oskar kommt, wie es sich gehört, mit Blumen. Constanze liegt in einem weißen, metallenen Krankenbett, die Hände über einer weißen, sauberen Bettdecke gefaltet, den Kopf zur Hälfte in einem weißen Verband, der den Gedanken an einen Turban nahe legt. Sie schaut ein bisschen pathetisch geradeaus. Er sucht nach einer Vase für die Blumen, es sind keine Chrysanthemen, sondern Astern und lässt sie sich schlussendlich von einer hilfreichen Schwester abnehmen, die in der erklärten Absicht damit verschwindet, einen passenden Behälter ausfindig machen zu wollen. Oscar setzt sich auf den Bettrand und greift nach der Hand seiner Frau. Es ist die linke.
“Wie geht es dir?”
“Gut.... Sag jetzt bloß nicht: Du machst vielleicht Sachen, oder: Wie konnte das nur passieren?”
“Erzähl es mir trotzdem, Schatz.”
“Ich bin umgefallen, ich weiß auch nicht, wie.”
“Wo bist du denn umgefallen?”
“In einer Kurve. Es war etwas abschüssig und ziemlich glatt, vom Regen. Und ein Bus kam. Er war dicht hinter mir und hupte. Ich glaube, das hat mich erschreckt.”
“Armes Kleines...”
“Lass nur, es geht schon wieder.”
Sie richtet sich ein Stück auf. Er will ihr dabei helfen, schiebt ihr das Kissen in den Rücken. Es gibt einen Knopf, der - man kennt das - wenn man ihn drückt, dafür sorgt, dass das Kopfende des Bettes sanft seinen Winkel verändert. Constanze betätigt ihn.
“Es ist keine schlimme Verletzung. Ein Riss in der Kopfhaut. Er musste aber genäht werden.”
“Hast du Schmerzen?.”
“Nur ein leichtes Pochen, nicht mehr. Ich werde morgen bereits entlassen.”
“Schön. Ich hole dich dann mit dem Wagen ab.”
Die Schwester kommt zurück. Sie stellt stumm und lächelnd die Blumen neben dem Bett auf einem Beistelltisch ab. Als Vase dient ein Gefäß, das ein wenig an einen pot de chambre erinnert. Oscar folgt ihr mit den Blicken, als sie das Zimmer wieder verlässt. Sie ist jung, sympathisch und dunkelhaarig. Irgendwann, denkt er, wird sie heiraten und Kinder haben… Rasch dreht er dann den Kopf zurück in Richtung seiner Frau.
“Timo hat angerufen.”
“Was sagt er?”
“Es hat ihm gut gefallen bei uns. Er ist in Brüssel. Er sendet dir tausend Küsse.”
Sie reden noch ein paar Takte miteinander. Dann geht Oskar. Auf dem Gang kommt er an einem Zimmer vorbei, dessen Tür offen steht. An einem Tisch sitzt der Arzt, Dr. Billet, er blättert in einer Zeitschrift. Es ist ein Blatt für Freunde und Liebhaber der Eisenbahn. Das kann Oskar zwar zunächst nicht sehen, doch der Arzt winkt ihn heran, und da sieht er es.
“Ihre Frau kann morgen bereits nach Hause.”
“Ja, sie hat es mir gesagt.”
“Es war nur ein kleines Malheur. Sie müssen sich weiter keine Sorgen machen.”
“Ja, danke, Doktor.”
“Interessieren Sie sich für Eisenbahnen?”
“Nein, weshalb?”
“Ich dachte, weil Sie gerade so aufmerksam auf das Magazin hier geschaut haben.”
“Ist es denn Ihr Hobby?”
“So kann man sagen, ja.”
“Ich habe einmal an der Konstruktion einer Eisenbahnbrücke mitgewirkt.”
“Sie sind Architekt?”
“Ja.”
“Ein schöner Beruf. Man schafft Dinge, die bleiben, die einen gar überleben, nicht wahr?”
“Von Fall zu Fall. Und Sie? Sie sorgen bei unsereins für das Überleben?”
“Gelegentlich, Monsieur.”
Man versteht sich. Man lächelt sich an. Es