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aufbrausendes Temperament. Im Falle von Frank Mohun war das weniger offensichtlich. Er beherrschte sich besser. Wenn sie sich stritten, flogen aber, wie man auch gerne sagt, die Fetzen. Und sie stritten sich nicht selten. Meistens war es Saloua, die den ersten Seitenhieb austeilte. In der Regel kehrte nach angemessener Zeit wieder Friede ein.

      Augenblicklich, fürchtete Oscar, mochte es gut sein, dass der Unfrieden anhielt. Warum er das fürchtete? Es war eine Ahnung. War das also der Grund, warum er am heutigen Abend nicht recht glücklich wurde mit der Rolle, die er sich doch selber so erfolgreich zugelegt hatte? Er fühlte sich, als würde er auf einer ihm fremden Hebebühne den Hanswurst machen.

      Die Male davor war das völlig anders gewesen. Das Publikum hatte applaudiert und vergnügt, ja ausgelassen mit den Füßen gestampft. Und er hatte nicht mit diesen Reaktionen gerechnet. Es waren erst eine Handvoll Auftritte vergangen, in denen er sich als Clown ausprobiert hatte, als Musikclown. Beim ersten Mal hatte noch Bruder Martin ihm assistieren müssen, um ihm die vielen dummen, kleinen Hemmungen zu nehmen. Am Ende saß er schweißnass auf seinem Hocker und spielte sich in einen von delikaten Stimmungen umrankten, musikalischen Vollrausch.

      Es war ein aus den Tiefen des Unterbewussten aufsteigender Einfall, eine bizarre Laune gewesen, in das laufende Programm ein paar klassisch-romantische Klavierperlen mit aufzunehmen. Er spielte sie nicht einfach so, er parodierte sie. Umfassender gesagt, er parodierte Gestus und Mimik bestimmter Konzertpianisten. Er übertrieb den oft elefantösen Ausdruck ihres Mienenspiels, das monumentale Pathos ihrer Hände, das Ekstatische oder meditativ Versunkene ihrer Körperhaltung; er unterhielt sich mit seinem Flügel, als wäre dieser ein Hund oder als wäre er, Oscar, selbst der Hund, und zwischendurch flocht er teils melancholisch dahin fließende, teils stürmische Bossa Nova Nummern mit ein.

      Er hatte, was die komischen Partien anbetraf, ein heimliches Vorbild. Das Vorbild hieß Victor Borge. Kurzum, die Darbietung kam glänzend an. Mit einem Mal war die Musik der Scheinwerfer frivoler Nächte. Und das in einem Nacht- und Amüsierclub.

      “Oscar, du bist ja eine Kanone am Klavier, eine Scherzkanone.

      “Das war eine große, ganz ganz große Bühnennummer, wirklich.

      “Perfekt. Wo hast du dein Talent nur die ganze Zeit über versteckt gehalten?

      Soweit die anfänglichen Kommentare von Mohun, von Saloua und von Attila Ferenczy. Es wäre zu viel behauptet, dass Oscar darüber entzückt war. Doch es freute ihn. Es baute ihn auf. Es freute ihn besonders, dass selbst sein Ex-Arbeitgeber Ferenczy ihn lobte. Der Ungar hatte einigen Grund, nicht gut auf ihn zu sprechen zu sein. Nicht nur, dass Oscar unpünktlich seiner Arbeit nachgegangen und so manches Mal angetrunken zum “Dienst” erschienen war, Ferenczy hatte ihn am Ende auch noch ersatzlos abtreten müssen, ans Gouffre Bleu.

      Was Oscar weitaus mehr beglückte, war, dass Saloua Christine Ferenczy von seinen musikalischen Clownerien angetan war. Christine, das war ihr zweiter Vorname, der Name, den ihr Vater für sie gewählt hatte. Durchgesetzt hatte sich Saloua. Wenn Oscar, was manchmal der Fall war, unsichtbare Begegnungen und Dialoge mit ihr hatte, nannte er sie Christine. Es gab ihm ein Empfinden, das anderen, hätten sie davon Kenntnis gehabt, vielleicht etwas obskur erschienen wäre, ein Empfinden, in diesen Momenten ein exklusives Band zwischen dem Mädchen und sich knüpfen zu können. In ihrer Gegenwart unterließ er es, da er wusste, dass ihr sehr daran lag, mit ihrem ersten Vornamen angeredet zu werden. Der Vater dagegen pflegte seine Tochter gelegentlich, und er war der einzige, dem sie so etwas nachsah, bei ihrem zweiten Rufnamen zu nennen.

      Oscar betrat die Bühne, begann sein Programm. Es war jetzt mehr als bloßes Hintergrundgeklingel. Es war eine echte burleske Show. Er hatte einen Namen dafür gefunden: Mezzoforte. Mohun hatte ihm sogar einen Gehilfen bewilligt, dieser Gehilfe war Pepe, Oscar hatte auf ihm bestanden. Pepe reichte dem Ex-Barpianisten die benötigten Requisiten, ging ihm auch sonst zur Hand. Denn Oscar setzte zunehmend mehr ein als nur sein Klavier.

      Er benutzte Triangeln, Trommeln, Hüte, Fächer, eine Geige, einen Kamm, sein altes Bandoneon, eine Hupe sowie Handschuhe. Ja, er bestritt sein Programm in Handschuhen. Sie waren weiß und, was man im Publikum nicht sehen konnte. an den Fingerkuppen offen. Danach verlangte sein Tastsinn. Und er trat in unterschiedlichen Kostümen auf. Stets stand dabei ein halb gefülltes Glas Whisky auf dem Flügel. Für all das sorgte, in diskreter Unauffälligkeit , Pepe.

      Wie gesagt, in der gerade laufenden Vorstellung wollte bei ihm keine rechte Bühnenstimmung aufkommen. Ihm schien überdies, das Publikum würde verhaltener reagieren als sonst. Und hoppla, da waren sie wieder, die Selbstzweifel. Statt den Narren zu geben, narrte er sich selbst, mit finsteren Fantasien. Pepe musste das Glas häufiger als in den übrigen Nächten auffüllen. Der treue Gehilfe machte ein besorgtes Gesicht, mischte dem Whisky heimlich Wasser bei. Er kannte den Ablauf des Stücks mittlerweile, er kannte die Glanzlichter, und er kannte die Bruchstellen.

      Oscar spielte, selbst dann, wenn er zu tief ins Glas geschaut hatte, nie so schlecht, dass es in der nicht eben kunstsinnigen Zuhörerschaft groß aufgefallen wäre, wenn er sich einmal in den Tönen vergriff. Außerdem, wäre es doch häufiger vorgekommen, hätte es immer noch als Bestandteil der Show durchgehen können. Es mochte sogar dazu beitragen, die Fußangeln der Begeisterung im Publikum zu spannen, wenn er in unfreiwilligen Zugaben den Tollpatsch gab. Er fragte sich ohnehin unter den fluglahmen Schwingen jener Seelenlage, die ihn nun mehr und mehr einzunebeln drohte, ob es an dieser Stätte denn überhaupt die geeigneten Antennen gab für das, was er zu Gehör brachte?

      Mit einem Mal sah er sich wieder als der frühe Knabe auf dem Holzschemel, der er einst gewesen war, brav seinen Czerny übend, sah den alten Klavierlehrer Samrei, wie dieser während der Etüden zeitweise einnickte. Sein Klavierlehrer hatte immer strebend sich bemüht, dem Schüler ein frühes Bewusstsein dafür einzuimpfen, was “tiefe” Musik ausmachte - zunächst mit geringem Erfolg.

      Der alte Samrei meinte einmal, als Oscar gerade das Rondo alla turca übte, in diesen wenigen Noten liege bereits der ganze Reichtum eines außerordentlichen musikalischen Gehirns: Fülle, Sinnlichkeit und Kraft. Oscar brauchte einige Zeit, bis er willens war, dieser Beurteilung etwas abzugewinnen. Was, so fragte er sich, würde der gute Samrei sagen, könnte er ihn, Oscar, zur heutigen Stunde hier sitzen sehen? Vermutlich bekäme er Schluckauf oder einen Hörsturz.

      Er legte die Hupe aus der Hand, mit der er gerade, sich vom Klavierschemel erhebend, einige Späße hatte einleiten wollen. Er brauchte es nicht mehr, da nun die Tänzerinnen an der Reihe waren. Er hatte Pause. Er nahm Platz, während ein halbes Dutzend nur unzureichend verhüllter sekundärer weiblicher Geschlechtsmerkmale sich ringsum den Saugnapf-Blicken der männlichen Gästeschaft aussetzte.

      Oscar fühlte sich durch ein Gitter aus träger Verwirrung und matschiger Erschöpfung von dem übrigen Geschehen abgetrennt. Mittendrin, aber nicht dabei. Er starrte die kleine, stumpfmetallene Hupe an, die vor ihm lag. Ich spiele wie viele, schien sie zu sagen, nur werde ich nicht dafür bezahlt. Hatte sie gerade gesagt: bezahlt oder bezahlen? Er fragte sich ferner, ob das das Echo eines eigenen Gedankens war oder das eines fremden und in beiden Fällen, ob er ihn auf sich beziehen musste.

      Kapitel 15

      Oskar blättert noch einmal in dem schmalen Büchlein, das er von Timo geschenkt bekommen hat. Ein flottierendes Thema darin ist der Tod und seine Vasallen. Der Autor heißt Artur B. J. Frost. Es finden sich neben Gedichten viele Prosasplitter, Auszüge aus längeren Arbeiten. Das Ganze ist wohl eine Art Best of. Das ist, denkt Oskar, eine beliebte Mode der Jetztzeit. Man nimmt ein paar Happen und hastet weiter. Es erspart Zeit, Aufwand und schont vermeintlich kostbare eigene Ressourcen. Man träfe, heißt es gerne, eine repräsentative Auswahl. Das sagt sich, als folge man einem allgemein gültigen Naturprinzip. Nur, wer wählt hier eigentlich was aus und für wen? Und mit welcher Befugnis?

      Oskar legt die Geburtstagsgabe beiseite. Eine Firma könnte man mit diesen gedanklichen Texturen sicher nicht erfolgreich führen,

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