ТОП просматриваемых книг сайта:
Die Entleerung des Möglichen. Reinhold Zobel
Читать онлайн.Название Die Entleerung des Möglichen
Год выпуска 0
isbn 9783753181400
Автор произведения Reinhold Zobel
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Er sah, während er einen Schluck trank, seinen eigenen Gedanken nach. Geht mit Gott, brummte er und erwähnte damit jemanden, dessen er nur in manchen Daseinspausen schnittchenweise gedachte.
“Soll ich dir sagen, Oscar, worauf es letztlich im Leben ankommt?”
“Bitte, wie?”
“Darauf, dass die Rechnung aufgeht.”
Vorläufig, dachte Oscar, plötzlich wieder wach und aufmerksam und diese Äußerung für sich behutsam aufgreifend, geht jedenfalls kaum eine Rechnung auf, weder im Großen und Ganzen noch im Kleinen oder in Teilen.
Er fühlte sich zur Zeit nicht gut aufgehoben in seiner Haut, wofür es verschiedene Gründe gab. Es hatte zum einen aktuell mit dem zu tun, was Mohun ihm als Auftrag zugedacht hatte, zum anderen und das weitaus entschiedener, mit Saloua. Eigentlich hätte er zum gegenwärtigen Zeitpunkt den Kontakt mit Mohun meiden sollen, denn er hatte Mühe, diesem unbewaffnet in die Augen zu blicken. Es war ja alles noch so frisch…
Er traf sie in einer gedämpften Seelenlage an. Wenigstens erschien es ihm so. Den Hintergrund erfuhr er überraschenderweise aus ihrem eigenen Mund. Überraschend deshalb, weil sie sonst über ihr Binnenverhältnis zu Mohun wenig nach außen dringen ließ. Was man darüber hörte, hörte man von anderen, erfuhr man aus Beobachtungen anderer, aus Vorfällen, Gerüchten, Vermutungen, wie man sie jederzeit und überall zur Genüge antreffen konnte.
Mohun konnte radikal handeln, wenn es zu Auseinandersetzungen zwischen Saloua und ihm kam. Er wurde zwar nicht tätlich, aber er versteinerte. Und sie schlug sich jedes Mal das Näschen blutig, weil sie glaubte, sie könnte die steinerne Rüstung, die er angelegt hatte, durchbrechen. Das war kaum möglich. Er zog alles von ihr ab, seine Gunst, seine Zuwendung, seine Großzügigkeit. Er schloss sie von allem aus, wies seine Leute an, sie zu meiden, er schuf eine Mauer des Schweigens und der Isolation um sie herum. Da seine Freunde auch ihre Freunde waren, und niemand sich seinen Wünschen widersetzte oder zu widersetzen wagte, war sie am Ende ziemlich allein. Es blieben ihr nur ihre Eltern, doch mischten diese sich nicht ein, wenn es um Dinge ging, die mit Frank Mohun zu tun hatten. Für sie war dieser Mensch und die Beziehung ihrer Tochter zu ihm nicht existent. Sie ignorierten ihn, soweit ihnen das möglich war.
Eine solche Situation hatte ihre Stellungen bezogen, als Oscar und sie sich trafen. Und Saloua berichtete davon, unter Tränen. Er hatte sie noch nie weinen sehen. Sie sah entzückend aus, wenn sie weinte. Das sagte er ihr natürlich nicht. Stattdessen legte er einen Arm um sie, dann beide; dann küsste er sie behutsam auf die Wangen, die nass waren und warm, eine Wärme, die ihr ganzer Leib ausströmte, eine Wärme, die er immer hatte spüren wollen. Nun spürte er sie. Nur ihre Hände waren, als er sie fasste, eisig kalt.
“Wenn ich kann, würde ich dir gern helfen.”
“Du kannst mir nicht helfen, Oscar.”
“Bist du dir da ganz sicher?”
“Ja. Aber es ist schön, dich jetzt bei mir zu haben.”
Sie lehnte sich an ihn. Es war mehr als das. Sie sank in die Arme seiner lang gehegten Wünsche. Er wusste, er hatte das unter anderem oder vielleicht sogar vollständig dem Umstand zu verdanken, dass sie niedergeschlagen und verzweifelt war. Ja, sie mochte ihn, nein, lieben würde sie ihn nie. Das war im Augenblick egal. Er dachte jetzt nicht darüber nach. Er genoss ihre uneingeschränkte Nähe. Er hätte sie so gern getröstet.
Sie verließen das Bistro, in dem sie sich getroffen hatten, nach etwa einer Stunde. Arm in Arm. Sie war wieder gefasster. Sie hatte kein böses Wort über Mohun geäußert, sondern lediglich von ihrer Enttäuschung, ihrem Kummer gesprochen. Das wurmte ihn etwas.
Sie gingen zu ihm. Es war früher Abend. Er nahm eine Flasche Rotwein aus dem Schrank, sowie zwei Gläser. Er entkorkte die Flasche und schenkte ein. Sie tranken und schwiegen gemeinsam. Dann setzte sie sich aufs Bett und streifte mit dem jeweils einen Fuß die Sandale von dem anderen Fuß, so dass das Schuhwerk zu Boden purzelte. Sie zog die Beine auf das Bett und an ihren Leib. Mit einer Hand umfasste sie ein Knie, mit der anderen hielt sie das Glas Rotwein. Sie sah ihn lange an. Ihr Blick war vieldeutig, ihr Atem ruhig. Schließlich sagte sie:
“Ich weiß, was du willst, und heute will ich es auch.”
Sie schlief mit ihm... Zwischen Steinen wächst der Mond. Es war nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte. Es war besser. Und das, obwohl er in seiner Fantasie bereits tausendmal mit ihr geschlafen hatte. Oft überflügelt die Fantasie die Wirklichkeit. Hier war es umgekehrt.
Kapitel 13
Oskar öffnet den Wasserhahn, greift dann nach der Flasche mit der Flüssigseife. Sohn David hat sich gemeldet. Dieses Mal ging es nicht um Geld. Es ging um seinen Plan, Amerika zu erobern. Er möchte über den Großen Teich in die Neue Welt, um drüben mit einem Freund in einem alten Buick einmal quer über den Kontinent zu fahren, von New York bis San Francisco. Er wolle das tun, ehe er sich, wie er sich ausdrückte, ins Geschirr begeben, sprich, sein Studium antreten würde. David ist im allgemeinen eher wortkarg, dieses Mal war er gesprächig am Telefon.
Erzählt man, fragt Oskar sich, wenn man jung ist, so wenig, weil man so wenig zu erzählen hat oder weil man mehr damit beschäftigt ist, etwas zu erleben? Er müsste es ja eigentlich wissen, schließlich war er selbst einmal jung. Er entscheidet sich für eine weitere Induktion: Man redet wohl, aber, wie die Erfahrung zeigt, mehr mit seinesgleichen, weniger mit den Alten, und man redet gern über die eigenen Probleme. Später dann redet man über die der anderen. Nachdem er diese Überlegungen längere Zeit hat zirkulieren lassen, entscheidet er, dass das wiederum auch nicht wirklich zuträfe. Aber was ist schon zutreffend? Oder, um noch eine halbe Umdrehung hinzuzufügen: Was ist schon berechenbar? Man kommt dem Leben nicht auf die Spur, schon gar nicht mit einem geistigen Histogramm.
Oskar schließt den Wasserhahn. Er verlässt das Bad, steigt die Treppe hinunter. Constanze ist nicht im oder am Haus. Sie ist früher aufgestanden als er. Hat bereits gefrühstückt. Sie ist - erstmalig nach seinem Geburtstag - allein mit dem Drahtesel unterwegs gewesen. Einkaufen. Der Frühstückstisch ist gedeckt. Ein Morgenei harrt unter einer pinkfarbenen Wollmütze der Guillotine, und der Kaffee in der Thermosflasche. Selbst die Tageszeitung liegt bereit.
Er streckt bequem die Füße aus und greift nach dem Zeitungsblatt. Dort liest er von gestrandeten Walen. Man hat versucht, die riesigen Meeressäuger ins tiefe Wasser zurück zu schaffen, doch die meisten Tiere sind verendet. Vor einigen Jahren, erinnert er sich, gab es ein sonderbares Vogelsterben hier in der Region. Über die Ursachen fand man nichts heraus. Mutter Natur hütet, wie üblich, ihre Rätselecke.
Sie haben Post bekommen, erstmalig in diesen Ferien. Es ist keine gute Post. Eine Freundin von Constanze ist tot. Keine sehr intime Freundin, aber dennoch, die Nachricht hat Constanze zugesetzt. Oskar kannte die Freundin. Es war eine angenehme Person, einige Jahre jünger als seine Frau. Sie hatte einen Herzstillstand. Keiner weiß, warum. Sie schien gesund. Oskar steht auf und blickt über den stark verbrannten Rasen. Das Alltägliche lässt Fragen, die wie altgriechischer Chorgesang unsichtbar im Hintergrund der Daseinsbühne walten, selten den Vortritt. Oskar hofft immerhin, dass die Kunde über diesen Sterbefall die letzten Tage, die ihnen noch verbleiben, nicht zu sehr überschatten möge. Constanze neigt dazu, traurige Ereignisse, statt sie zu verabschieden, in den Kammern ihres Herzens einzulagern und gelegentlich eruptiv abzurufen.
Er fragt sich zwischendurch, wo sie eigentlich steckt? Er ist mit dem Frühstücken fertig. Vielleicht ist