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Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig Bechstein
Читать онлайн.Название Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen
Год выпуска 0
isbn 9783742749215
Автор произведения Ludwig Bechstein
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Nach dem Messeopfer wurden den Bettlern Silberpfennige
ausgeteilt, und da wurde Wittekinds Heldengestalt
erkannt trotz seiner Verkleidung und er vor
Kaiser Karl geführt. Aber Karl empfing seinen großen
Gegner gütig und sprach mit ihm über den Christengott
und seinen Dienst, und Wittekind erzählte von
dem Kinde, das ihm vorgeschwebt. Darauf hat der
Sachsenheld die heilige Taufe willig angenommen
und hat auch veranlaßt, daß viele seiner ihm untergebenen
Fürsten und Führer sich taufen ließen, und Karl
der Große machte ihn zum Herzoge von Sachsen, Engern
und Westfalen und verwandelte das schwarze
springende Roß, welches der Sachsenheld in seinem
Schilde führte, in ein weißes.
163. Das Oldenburger Horn
Im heutigen Oldenburger Lande herrschte ein Graf,
des Namens Otto, der hatte große Lust am Jagen, und
zog aus mit seinen Vasallen, Jagdgenossen und Jägern
nach einem Walde, der hieß Bernefeuer, nicht
allzufern von dem Osenberge. Da stieß dem Grafen
ein Reh auf, das floh vor ihm her, und er hetzte es mit
seinen Rüden und kam in der Verfolgung seinem
Jagdgefolge ganz aus dem Gesicht, und sein weißes
Pferd trug ihn also schnell von dannen, daß er selbst
seinen schnellen Winden aus der Spur kam und sich
mit einem Male, ohne auch nur vom weiten etwas von
seiner Jägerei zu sehen oder zu hören, auf einer stillen
Bergfläche befand. Auch das Reh, das ihn so weit
verlockt, sah er nimmer. Nun war die Hitze an diesem
Tage groß, es soll im Julimond gewesen sein, und den
Grafen durstete sehr, daher sprach er zu sich selbst: O
Gott, wer kühlen Wassers nur einen einzigen Trunk
hätte! – Siehe, da öffnete sich eine Felswand am
Osenberg, und es trat aus ihr eine schöne, wohlgezierte
Jungfrau, reizend anzuschauen, die hielt in ihrer
Hand ein uraltes Jägertrinkhorn, verziert mit mancherlei
seltsamem Bildwerk, das war von Silber überkleidet
und kostbar vergüldet und überaus künstlich, voll
Figuren, und das Horn war voll eines Trankes, den
bot die Jungfrau dem Grafen sittiglich dar. Graf Otto
nahm das Trinkhorn, schlug den Deckel auf und wollte
es zum Munde führen, sah aber in das Horn hinein
und beschaute den Trank, und der gefiel ihm mitnichten,
denn als er ihn schüttelte, war er trübe und roch
auch nicht wie Malvasier – und der Graf trank nicht.
Die Jungfrau aber ermunterte den Grafen, er solle nur
ihr vertrauen und trinken; es werde ihm und seinem
Geschlechte gedeihen. Dies und die Landschaft Oldenburg
werde davon ein gutes Gedeihen haben. –
Aber der Graf weigerte sich fortdauernd, um so mehr,
da die Jungfrau in ihn drang, doch zu trinken, und so
sagte sie: Wo du nicht trinkest, wird in deinem Geschlechte
und deiner Nachkommenschaft nimmermehr
Einigkeit sein. Nun hielt der Graf immer noch das
Horn mit dem Trunke in seiner Hand und hatte sein
Bedenken, und da zuckte das Roß, und es troff etwas
von dem Tranke über und auf des Pferdes hintern
Bug, da gingen gleich dem Pferde die Haare weg.
Jetzt langte die Jungfrau nach dem Horne und begehrte
es wieder aus seiner Hand zu nehmen, aber der
Graf behielt es in seiner Hand und ritt von dannen,
und die Jungfrau schwand wieder in den Berg hinein.
Den Grafen aber kam ein Grauen an, und schüttete
das Horn aus, und behielt es, und ritt weiter, indem er
sein Roß spornte, bis er sich wieder zu seiner Jägerei
fand, zeigte ihr das Horn und erzählte, auf wie wun-
derbarliche Weise er zu dem köstlichen Kleinod gekommen
sei. Darauf ist das Horn sorgsam im Schatz
der Grafen von Oldenburg aufbewahrt worden.
Dieser Graf Otto war dieses Namens der erste in
seinem edlen Geschlecht und hatte von seiner Gemahlin
Mechthild, Gräfin von Alvensleben, fünf Söhne,
deren ältester war Johannes der Erste, dieser hatte
wiederum fünf Söhne, von denen ward der erste Udo
geheißen, Bischof zu Hildesheim, der zweite aber
hieß Huno, der war gar herrlich und ehrenreich, also
daß er den Beinamen Gloriosus empfangen hat.
164. Friedrich der Löwensieger
Graf Huno von Oldenburg war auch ein frommer und
rechter Mann, der lebte zu den Zeiten Kaiser Konrad
des Saliers und wurde von diesem Kaiser zu einem
Reichstag nach Goslar beschieden. Aber über den
Übungen seiner Frömmigkeit vor Gott und über guten
Werken verabsäumte er den Fürstentag, weshalb
Übelgesinnte ihn übler und aufwieglerischer Gesinnung
ziehen und den Zorn des Kaisers gegen ihn erregten.
Und der Kaiser gebot, Graf Huno solle seine
Unschuld durch ein Gottesurteil beweisen oder als
Aufrührer sterben. Er solle auf Tod und Leben mit
einem ungeheuern, grausamen Löwen kämpfen. Nun
hatte Graf Huno einen jungen freudigen Sohn, der war
stark und gewandt und mutvoll, der begleitete seinen
Vater an des Kaisers Hof und trat für seinen Vater als
Kämpfer ein, denn Graf Huno war alt und wäre dem
grimmen Löwen wohl leicht erlegen. Beide gelobten
der heiligen Jungfrau, wenn ihnen der Sieg zufiele, ein
reiches Stift zu gründen. Vor dem Kampfe ersann der
junge Graf von Oldenburg eine List, er ließ eine
Puppe von Stroh und Leinwand lebensgroß anfertigen
und dieselbe ritterlich bekleiden, so daß sie einen
Mann vorstellte, die trug er vor sich her, und als der
Löwe ihm entgegensprang, warf er ihm die Puppe ent-
gegen, darauf fiel er den Löwen an, während der
Löwe den Strohmann zerriß, und besiegte ihn ohne
Verletzung. Der Kaiser war froh und umarmte den