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Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig Bechstein
Читать онлайн.Название Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen
Год выпуска 0
isbn 9783742749215
Автор произведения Ludwig Bechstein
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Friesen hatten einen Gott, den hielten sie so groß und
mächtig wie das Römervolk seinen Jupiter, den nannten
sie Stavo. Da nun zu einer Zeit aus fernen Landen
drei Brüder zu Schiffe an die Küste kamen, Friso,
Saxo und Bruno geheißen, von vielen Gefährten begleitet,
welches zur Herbsteszeit geschah, so fanden
sie das Land, welches damals Sueven bewohnten, die
keine festen Wohnsitze behaupteten und sich der
Spätherbstüberschwemmungen wegen in höheres
Land zurückgezogen hatten, von Einwohnern fast
ganz entblößt, erbauten ihrem Gott Stavo einen Tempel,
gründeten eine Stadt und nannten sie nach ihrem
Gott Stavoren. Diese Stadt wurde bald groß und viel
größer denn jetzt, und die ganze Südersee war noch
bewohntes Land, von dem jetzt nur noch hie und da
als kleine Insel ein geringer Rest aus den Wogen ragt.
Da blieben sie nun dreizehn Jahre, und ihr Volk
mehrte sich, und sie hatten nicht Raum genug, darum
sprach Friso zu seinen Brüdern, es sei besser, wenn
sie sich teilten und jeder von ihnen mit den Seinen ein
weites Land gewänne. Da schieden die Brüder Saxo
und Bruno in Frieden von Friso, welcher blieb, und
Saxo lief in die Elbe ein, ließ sich an ihrem Ufer nie-
der und bevölkerte das Land, und sein Volk wurde
nach ihm Saxen geheißen. Bruno aber machte sich
seßhaft am Weserstrome und gründete dort eine Stadt,
die hieß nach ihm Brunosvic, die gab hernach dem
ganzen Lande ihren Namen Braunschweig. Friso aber
erreichte ein sehr hohes Alter, er herrschte über Friesland
achtundsechzig Jahre und hinterließ sieben
Söhne und eine einzige Tochter.
Die Stadt Stavoren wurde und war vor diesem die
allerberühmteste Haupt- und Residenzstadt der friesischen
Könige, und war nirgends größere Handlung
und Schiffahrt als in dieser Stadt, denn sie war überaus
wohl gelegen und hatte einen vortrefflichen
Hafen.
156. Der Feuerpütz
Es war zu Kaiser Titus' Zeit, vier Jahre nach der Geburt
unsers Herrn, als im heutigen Westfriesland an
einem Berge, der rote Kliff genannt, ein Feuerpütz
aus der Erde schoß, der drei Tage lang loderte und
weberte. Am vierten Tage kam ein Drache aus der
Öffnung geflogen, aus der das Feuer schoß, hob sich
hoch, schwebte eine halbe Stunde lang in Lüften und
tat sich dann wieder nieder und hinein, woraus er gekommen
war, ward nicht wieder gesehen, und das
Feuer erlosch.
Hundertundfünfzig Jahre später brach der
Feuerpütz wieder auf und brannte ganz schrecklich,
acht Tage lang, und flammte sehr hoch, daß allen, die
daherum wohnten, bange ward; dann erlosch die
Flamme. Die Einwohner fragten das Orakel ihres Abgottes
Staffo, weil sie ein großes Sterben fürchteten,
und der Gott sprach, von diesem Erdfeuer werde das
Land nicht untergehen, eher von dem kalten Stoff, der
nach Länge der Zeit ihm folgen werde.
Und aber nach etwa hundertundvierundzwanzig
Jahren borst der Feuerpütz beim roten Kliff zum dritten
Male auf, doch achtzehn Tritte weiter von der ersten
Stelle, und flammte eilf Tage lang sehr schrecklich
hoch. Da brachten die Einwohner dem Abgott
Staffo Brandopfer und fragten aufs neue das Orakel.
Da gebot ihnen der Gott, aus der Nordsee drei Krüge
Salzwasser zu holen und diese durch einen gegen die
Glut gewappneten Ritter in den Flammenschlund werfen
zu lassen, da werde der inwendige Brand ausgelöscht
werden. Das wurde vollbracht, und der Brand
löschte aus.
157. Der überquellende Wasserpütz
Da man südwestlich von Stavoren, eine halbe Stunde
von der Stadt, einen Pütz (einen Brunnen) grub, so
sprang statt süßen Wassers ein Überfluß von Salzwasser
hervor, wie aus einem Springbrunnen, das
quoll und quoll und drohte, Stadt und Land zu überschwemmen.
Da fragten die Einwohner das Orakel
ihres Gottes Staffo, und das sprach, der Pütz werde
nicht aufhören überzuquellen, bis das Blut eines dreijährigen
Knaben in dasselbe Wasser gesprengt und
mit ihm gemengt werde. Solches geschahe eilend, da
hörte der Pütz auf zu fließen, und war endlich kein
Tropfen Wasser mehr in ihm zu sehen, und wo das
übergequollene Wasser gestanden hatte, blieb das
Land drei Jahre lang dürr und unfruchtbar, bis es allmählich
wieder zu grünen begann und Früchte trug.
158. Das Wunderkorn von Stavoren und der
Frauensand
Bei den Einwohnern der groß und reich gewordenen
Stadt Stavoren ging es gerade so wie bei denen der
Stadt Zevenbergen an der Südersee, sie führten ein
üppiges Leben und kannten ihres Übermutes nicht
Maß noch Ziel. Da war eine Zeit, in der das Korn sehr
teuer wurde, und eine reiche Witwe rüstete ein Schiff
aus und sandte es nach Danzig, dort Korn zu holen,
und gebot dem Schiffer, ihr zugleich von dort das
Köstlichste mitzubringen, was nur dort zu haben sei.
Als nun das Schiff in See war, fiel das Getreide sehr
schnell, und dem geizigen Weibe wurde bange, daß
sie an ihrem Einkauf mächtig Schaden erleiden werde.
Da nun das Schiff aus Danzig zurückkam, ging die
Witwe alsbald an Bord und fragte den Schiffer, was
er ihr Köstliches mitgebracht habe nächst dem Korn,
das ohnedies nichts mehr wert sei, als ins Wasser geworfen
zu werden. Der Schiffer neigte sich und
sprach: Vieledle Frau, den schönsten Weizen bracht'
ich Euch mit, den je ein Menschenauge hat erschauen
können. – Was, Weizen? Und