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Entwicklung deutlich stärker auf die Aspekte der Kultur und Kreativität ausgerichtet werden müssen.4 Nur durch das Einbinden von Kultur, so die Einsicht, kann der Wandel zu einer nachhaltigen Gesellschaft beschleunigt werden. Dass gerade die Kulturpolitik eine maßgeblichere Rolle bei der Erreichung nachhaltiger Entwicklung spielen sollte, indem sie kulturelle Praktiken und Rechte bewahren hilft, darauf hinarbeitet, dass kulturelle Organisationen und Industrien grüner werden, sich stärker an der Bewusstmachung in Sachen Nachhaltigkeit und der Prävention von Klimawandel beteiligt und schließlich auch zum Handeln und zur Änderung des Lebenswandels im Sinne der nachhaltigen Entwicklung auffordert – das fordern Nancy Duxbury, Anita Kangas und Christiaan De Beukelaer (2017, 214).

      Die oben beschriebene Kritik am Nachhaltigkeitsbegriff ist der Interventionspunkt für die Kulturwissenschaft, die auf das kulturelle Defizit des Nachhaltigkeitskonzepts aufmerksam macht (vgl. z.B. LeMenager & Foote 2012; Meireis & Rippl 2019). Es gibt eine Reihe von Gründen, weshalb die Kulturwissenschaft in Nachhaltigkeitsdebatten unverzichtbar ist. Erstens lanciert sie die unerlässliche Diskussion darüber, welchen Typus einer nachhaltigen Gesellschaft oder Weltgemeinschaft man schaffen möchte (Johns-Putra et al. 2017, 4) und welche moralischen, ethischen und sozialen Optionen bestehen, um die ausgehandelten Nachhaltigkeitsziele (etwa soziale Gerechtigkeit, Rückbau aggressiver Formen des Kapitalismus, ausgeglichenes Verhältnis zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden) zu erreichen. Weil der naturwissenschaftlich-technologische Fokus die Nachhaltigkeitsforschung lange dominierte, wurden Fragen zu Machtgefällen, sozio-politischen Unterschieden, symbolischen Universen und kulturellen Werten kaum berücksichtigt. Nach Meinung von Forscher*innen wie Stacy Alaimo liegt dies daran, dass die Nachhaltigkeitsforschung auf einer Epistemologie beruht, die das Erkenntnissubjekt vom Erkenntnisobjekt trennt, d.h. auf einer Subjekt-Objekt-Dichotomie beruht. Solch traditionelle Modelle wissenschaftlicher Objektivität und Autorität zu hinterfragen, ist eine zweite zentrale Aufgabe der Kultur- und Geisteswissenschaften. Alaimo spricht in diesem Zusammenhang von „posthumanities“ (Alaimo 2012, 562) und knüpft damit an den ‚material turn‘ und Überlegungen von Rosi Braidotti an, die das Subjekt/menschliche Akteure nicht nur in soziale, sondern immer auch in nicht-menschliche Netzwerke eingebettet sieht (Braidotti 2006). Eine dritte Funktion kulturwissenschaftlicher Nachhaltigkeitsforschung bezieht sich auf die Überwindung einer reduktiven, auf die menschliche Sphäre bezogenen Nachhaltigkeitsdebatte, welche die nicht-menschliche Welt von ihren Überlegungen ausschließt (vgl. Alaimo 2012). Zudem hilft die ausgeprägte hermeneutische Kompetenz der Kulturwissenschaft hinsichtlich der kulturübergreifenden Bedeutung von Schlüsselbegriffen dabei, die Tradition und Tradierung von Wissensbeständen, Erkenntnis- und Wahrnehmungsmustern zu analysieren.

      Wie unterschiedlich kulturelle Nachhaltigkeit heute verstanden wird, zeigen mehrere Publikationen. Ein Abschlussbericht des europäischen Forschungsnetzwerks (COST – European Cooperation in Science and Technology, Dessein et al. 2015) weist ebenso wie ein wegweisender Aufsatz, den Joost Dessein und Katriina Soini 2016 vorlegten, nach, dass Kultur ein wichtiger Faktor in Bemühungen um nachhaltige Entwicklung ist, da Kultur ökologische, soziale und ökonomische Aspekte von Nachhaltigkeit integriert. Besonders aufschlussreich ist auch die von Katriina Soini und Inger Birkeland vorgelegte Analyse verschiedener Verwendungen des Begriffs ‚kulturelle Nachhaltigkeit‘ in wissenschaftlichen Publikationen (Soini & Birkeland 2014; Banse et al. 2011), weil sie die Wichtigkeit kultureller Werte in den jüngsten Nachhaltigkeitsdebatten ins Zentrum rückt (Soini & Birkeland 2014, 214) und aufzeigt, dass kulturelle Nachhaltigkeit häufig sehr unterschiedlich verwendet wird, „from both narrow (culture as art and heritage) to broad (culture as a way of life; network of meanings)“ (Soini & Birkeland 2014, 218). Kultur wird zuweilen als Instrument aufgefasst, um ökonomische, soziale und ökologische Nachhaltigkeit zu erreichen (Soini & Birkeland 2014, 220); andere Forscher*innen verstehen kulturelle Nachhaltigkeit neben der ökonomischen, ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit als vierte Säule der Nachhaltigkeit (vgl. Hawkes 2001; Krainer & Trattnigg 2007; Krainer & Heintel 2012). Für Hildegard Kurt und Bernd Wagner umfasst kulturelle Nachhaltigkeit „gleichberechtigt zu den drei Säulen Ökonomie, Ökologie, Soziales auch Kultur als quer liegende Dimension“ (2002, 13) und hat integrative Wirkung. Das heisst, dass kulturelle Nachhaltigkeit als Querschnittsthema der ökonomischen, ökologischen und sozialen Komponenten von Nachhaltigkeit verstanden wird, weil jede Art der Thematisierung immer kulturell vermittelt ist, d.h. auf bestimmten Wahrnehmungsmustern, Erkenntnismethoden, Wissensbeständen und Werten beruht. In diesem Verständnis ist Kultur nicht nur ein Instrument, sondern die notwendige Grundlage für die Erreichung nachhaltiger Entwicklungsziele, was schlussendlich zu einem neuen Paradigma in der Nachhaltigkeitsdebatte führt: „culture is considered in terms of a new, overarching concern or even a new paradigm in sustainable development thinking“ (Soini & Birkeland 2014, 221). Dieses neue Paradigma geht konsequent von der Naturzugehörigkeit des Menschen aus, was epistemologische Umorientierungen zur Folge hat. Hier liegt ein umfassender Kulturbegriff zugrunde, der nicht nur ‚kulturelle Vielfalt‘ und die Künste meint, sondern die ganze Lebensweise von Menschen im Netzwerk und Austausch mit ihrer Umwelt, ihrem Gebrauch semiotischer Systeme und Medien sowie ihre Konstruktionen von Welt und Werten. In diesem Sinne verstehen auch Torsten Meireis und Gabriele Rippl (2019) Kultur und schlagen vor, die kulturelle Dimension von Nachhaltigkeit nicht als vierte Nachhaltigkeitssäule aufzufassen, sondern Kultur als den alle anderen Dimensionen umfassenden Horizont zu verstehen. Gemäss Meireis und Rippl ist Nachhaltigkeit ohne Rückbezug auf „inner dimensions of sustainability“ (Horlings 2015), d.h. auf eine Wertedebatte und -orientierung, nicht zu denken, und Kultur damit der zentrale Faktor, wie Werte gebildet und vermittelt werden.

      3. Zentrale Konzepte kultureller Nachhaltigkeit

      3.1 Kulturökologie – kulturelle Ökologie – literarische Ökologie

      Einen wegweisenden Beitrag zur Debatte um kulturelle Nachhaltigkeit hat Peter Finke mit seinem Konzept der ‚Kulturökologie‘ geliefert. Unter Verweis auf den Biologen Jakob von Uexküll versteht Finke Kultur als „ein Evolutionsprodukt der Natur“ und plädiert dafür, der Naturökologie die Kulturökologie an die Seite zu stellen. Anhand ökologischer Fragestellungen untersucht die Kulturökologie „Systeme im menschlich-kulturellen Raum“, indem sie „die Innenwelten des Menschen mit seinen kulturellen Umwelten in Beziehung setzt und hierbei von den in der Biologie […] erprobten Grundmustern ökologischen Denkens profitiert“ (Finke 1998, 294). Finkes Theorie kultureller Ökosysteme (1993 und 2006) beruht auf der Grundlage, dass bei der Analyse kultureller Handlungsfelder und Prozesse „Strukturen sichtbar werden, die den Binnenstrukturen und Außenbeziehungen von Ökosystemen auffällig ähneln und wahrscheinlich Relikte eines evolutionären Erbes sind, das die Kultur aus ihren Anfängen in der Natur bis heute mitgenommen und nur an der Oberfläche vielfach institutionell überformt hat.“ (Finke 1998, 295). Wichtige kulturelle Ökosysteme sind etwa die Literatur, die Kunst, die Architektur. Finke versteht diese zwar als Quellen kultureller Kreativität, die „der kulturellen Evolution nicht nur Ausdruck verleihen, sondern den Prozeß ihrer weiteren Entwicklung antreiben“ (Finke 1998, 295), er überträgt also Begriffe aus der Ökologie auf den kulturellen Bereich, „ohne jedoch“, wie Gabriele Dürbeck und Urte Stobbe richtig anmerken, „Hinweise auf eine spezifisch ökologische Interpretation von Kunstprodukten zu geben“ (2015, 12).

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