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Kulturelle Nachhaltigkeit lernen und lehren. Группа авторов
Читать онлайн.Название Kulturelle Nachhaltigkeit lernen und lehren
Год выпуска 0
isbn 9783706561921
Автор произведения Группа авторов
Жанр Документальная литература
Серия Pädagogik für Niederösterreich
Издательство Bookwire
Die Fakten, als empirische Daten von den Erdsystemwissenschaften zur Verfügung gestellt (vgl. IPCC 2021), machen die Wirkmächtigkeit des Menschen als geologischer Faktor sichtbar. Das Anthropozän, zunächst von dem Atmosphärenchemiker Paul Crutzen als provozierender Fachbegriff zur Bezeichnung eines neuen Erdzeitalters in die Diskussion gebracht (vgl. Leinfelder 2012), hat sich mit einer Dynamik vergleichbar der ‚großen Beschleunigung‘ zu einem transdisziplinären Konzept entwickelt (vgl. Horn & Bergthaller 2019).
Seine simplistische Übersetzung als ‚Menschenzeitalter‘ (vgl. den Beitrag von Fritz Lošek in diesem Band) erweist sich als janusköpfig, könnte sie doch dazu verleiten, in an thropozentrischem Denken alles auf die Karte des technologischen Fortschritts zu setzen. Der globalen Herausforderung will die „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ der Vereinten Nationen dagegen mit einer gesamtgesellschaftlichen „Transformation unserer Welt“4 begegnen, deren Ziel der Schutz und die Sicherung der menschlichen und nichtmenschlichen Lebensbedingungen im Anthropozän ist. Die technologische Entwicklung ist dabei ein Faktor von vielen, eingebunden in eine Voraussetzungskette von Wissen und Wissensvermittlung, um verantwortungsvolle Folgenabschätzung zu gewährleisten. Die Rede ist von „kühnen und transformativen Schritten, die dringend notwendig sind, um die Welt auf den Pfad der Nachhaltigkeit und der Widerstandsfähigkeit zu bringen“, wie es die Agenda 2030 formuliert. Die 17 Nachhaltigskeitsziele (Sustainable Development Goals, SDGs), die dafür gesteckt wurden, sind an den Dimensionen der Ökonomie, der Ökologie, des Sozialen ausgerichtet.
„Nachhaltigkeit ist eine Frage der Kultur“ (Krainer & Trattnig 2007; vgl. Sorgo 2011, Braun-Wanke & Wagner 2020), wurde jedoch schon vor der Verabschiedung der Resolution durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen 2015 deutlich gemacht. „Die Transformation ist der Ursprung des Kulturellen“, betont François Jullien (2017, 47; Hervorh. i. Orig.). Und weil der Klimawandel „in seiner Gesamtdynamik kein natürliches, sondern ein kulturelles Phänomen“ ist, „bedarf es eines kulturellen Perspektivenwechsels, durch den sich kollektive Lebensformen aus eigenem Antrieb ändern und so gesellschaftliche Transformationen in Gang bringen“ (Heidbrink 2010, 55). Die Transformation betrifft also insbesondere „Bildung als Schlüsselbereich für nachhaltige Entwicklung“5 und das damit verbundene Konzept transformativen Lernens (vgl. Singer-Brodowski & Taigel 2020). Denn Lernen und Lehren sind zentrale kulturelle Praktiken des Menschen.
Das Anthropozän als kulturelles Konzept richtet den Fokus auf den Menschen als „Teilnehmer an Netzwerken sehr unterschiedlicher Handlungsträger, die Pflanzen, Tiere, Landschaften, Ressourcen, Atmosphären und Dinge umfassen“ (Horn 2017, 9). Um in diesem Verständnis menschliches Wahrnehmen, Denken, Fühlen, Interpretieren, Handeln neu zu orientieren und ökologisches Bewusstsein zu schaffen, braucht es Erfahrungsräume als Zukunftslabore, in denen Bildung als transformatives Geschehen kognitiv, emotional, sozial erfahren werden kann. Die Schulen und die Hochschulen stellen diese Erfahrungsräume als Zukunftslabore dar.
Das Forschungs- und Entwicklungsprojekt „Das Anthropozän lernen und lehren“ der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich (PH NÖ), gefördert von der Abteilung Wissenschaft und Forschung der NÖ Landesregierung6, hat sich die Frage gestellt, wie das für eine Neugestaltung der Mensch-Natur-Beziehung notwendige interdisziplinäre Denken und Wissen in aktiven Lernprozessen generiert, angeeignet, transformiert werden kann. Der Sammelband Das Anthropozän lernen und lehren (Sippl, Rauscher & Scheuch 2020) hat dafür in der Zusammenführung fachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Perspektiven eine Vielzahl an Impulsen angeboten. Diese werden an der PH NÖ in der seminaristischen Arbeit mit Lehramtsstudierenden aufgegriffen und von diesen zu beispielhaften Lernszenarien ausgearbeitet, welche sie als Lehrende auf ihrem Berufsweg in die Schulen tragen.7
Bei diesem partizipativen Suchprozess wird deutlich, dass Faktenwissen individuell bedeutungsvoll werden muss, um ein Verstehen in Zusammenhängen und das Beschreiten der Brücke vom theoretischen Wissen zum praktischen Handeln zu ermöglichen. Für diesen Weg braucht es Transportmittel wie Visualisierungen, Metaphern, Narrative, die in eigenem Tun kreativ erdacht, erkundet, erfahren werden. Kultur- und medienpädagogischen Zugängen kommt bei transformativen Lernprozessen daher eine zentrale Rolle zu, so lautet eine wesentliche Erkenntnis dieses Projekts.
Wir haben eingeladen, zuerst bei einem Symposium8, dann in diesem Sammelband das transformative Potenzial kultureller Praktiken, Produkte, Perspektiven in Bildungsprozessen zu fokussieren. Ausgangspunkt dafür ist ein Verständnis von kultureller Nachhaltigkeit als Querschnittsthema, „weil jede Art der Thematisierung [von Nachhaltigkeit – C.S./E.R.] immer kulturell vermittelt wird, d.h. auf bestimmten Wahrnehmungsmustern, Erkenntnismethoden, Wissensbeständen und Werten beruht“ (Gabriele Rippl, in diesem Band, S. 38). Erkundet wurden die Bedeutung und die Möglichkeiten kultureller Nachhaltigkeit als Bildungskonzept für eine gesellschaftliche Transformation.
Das Symposium „Kulturelle Nachhaltigkeit lernen und lehren“ der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich am 22./23. April 2021 musste pandemiebedingt im virtuellen Raum stattfinden, konnte sich dafür aber einer Anzahl von interessierten Teilnehmer*innen aus fünf Ländern öffnen, die das Fassungsvermögen des an der PH NÖ „Aequalitas“ benannten Auditorium maximum9 um ein Mehrfaches überstiegen hätte. Während die Keynotes von Willy Puchner, Gabriele Rippl, Berbeli Wanning, Reinhold Leinfelder und Kaspar H. Spinner zum Nachschauen und Nachhören zur Verfügung stehen10, versammelt der vorliegende Sammelband darüber hinaus die Beiträge aus den Workshops11 zum Nachlesen und Vertiefen, zur Auseinandersetzung und Anregung. Sie bieten innovative Impulse für den Theorie-Praxis-Transfer, ausgehend von Fragen nach der theoretischen Fundierung und den didaktischen Konzepten, der Gestaltung von Lehr-Lernprozessen und der Rolle von Literatur, Kunst und Ästhetik in einer Bildung für kulturelle Nachhaltigkeit. Auf diese Weise werden hier Modellprojekte „für eine kulturintegrierende Bildungspraxis im Sinne nachhaltiger Entwicklung“ vorgestellt bzw. in der Folge initiiert, die „Kultur als Perspektive“ (Holz 2016, 11) und in ihrer Brückenfunktion verwirklichen.
Theorie und Praxis werden daher in diesem Band bewusst nicht in getrennten Blöcken vorgestellt – vielmehr stellt jeder einzelne Beitrag einen Baustein bzw. ein Transportmittel für das Beschreiten jener Brücke zwischen Theorie und Praxis dar, im schulischen wie im hochschulischen Kontext und in die Gesellschaft hineinwirkend. Der erste Block „Words & Stories“ zeigt Wege auf aus deutschdidaktischer (Sabine Anselm, Christian Hoiß, Wilhelm Trampe), literaturdidaktischer (Felix Heizmann, Elisabeth Hollerweger, Anke Kramer, Thomas Kronschläger, Carmen Sippl), elementarpädagogischer (Simone Breit) Perspektive, mit besonderem Blick auf Genres der Kinderliteratur (Georg Huemer, Jana Mikota), den Sachunterricht der Primarstufe (Sabine Apfler, Bettina Mikas, Margarethe Kainig-Huber, Franz Vonwald) und die epistemischen Voraussetzungen (Tanja Obex, Madeleine Scherrer), deren kritische Reflexion erst den Blick für Alternativen öffnet. Diesem ersten Block zur Orientierung vorangestellt sind die grundlegenden Einblicke von Gabriele Rippl in die zentralen Konzepte kultureller Nachhaltigkeit und von Berbeli Wanning in die kulturökologische Literaturdidaktik. Sie plädieren nachdrücklich für die Reflexion der kulturellen Dimension von Nachhaltigkeit und ihre kreative Erkundung und imaginative Erprobung