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von Nachhaltigkeit tief in den kulturellen Haushalt von Gesellschaften hinein. Die Auseinandersetzung mit verschiedenen Positionen und Entwicklungen innerhalb der Nachhaltigkeitsforschung und -politik verdeutlicht, wie sehr vorgenommene Korrekturen des Nachhaltigkeitskonzepts und der Nachhaltigkeitspolitik der wichtigen Einsicht geschuldet sind, dass nachhaltiges Verhalten eng mit kulturellen und (von Kultur geprägten) persönlichen Werten zusammenhängt. Bei der Entwicklung einer nachhaltigeren Gesellschaft spielen Werte wie Umweltschutz, Generationengerechtigkeit oder nachhaltige Bildung eine zentrale Rolle, weil das Wertebewusstsein menschliche Handlungsweisen prägt. Kulturelle Produkte nehmen in diesem Zusammenhang eine Schlüsselfunktion ein, weil Literatur, Film oder religiöse Narrative Werte entwickeln, formen und verhandeln und in der Folge konstitutiv für unsere ethischen Entscheidungen und unser Handeln sind. In diesem Zusammenhang ist Charles Taylors Konzept des ‚sozialen Imaginären‘ von Interesse. Dieses ‚soziale Imaginäre‘ besteht, so Taylor, aus Narrativen, Bildern und Ideen, die von vielen Leuten geteilt werden und soziale Praktiken ermöglichen: „making possible social practices and a widely shared sense of legitimacy“ (Taylor 2004, 23). Taylor erklärt seine Präferenz für den Begriff des ‚Imaginären‘ durch sein Interesse daran, wie sich Leute, d.h. große Gruppen von Menschen, wenn nicht sogar von einer ganzen Gesellschaft (und eben nicht nur gebildete Wissenschaftler*innen), ihre soziale Umwelt vorstellen. Die geteilten Vorstellungen finden meist nicht in Theorien, sondern in Bildern, Geschichten und Legenden ihren Ausdruck („ordinary people ‚imagine‘ their social surroundings, and this is often not expressed in theoretical terms, but is carried in images, stories, and legends“, Taylor 2004, 23). Das soziale Imaginäre ist komplex und hat faktische wie normative Anteile: „Such understanding is both factual and normative; that is, we have a sense of how things usually go, but this is interwoven with an idea of how they ought to go, of how missteps would invalidate the practice.“ (Taylor 2004, 24) In aktuellen Diskussionen über kulturelle Nachhaltigkeit wird in Anlehnung an Taylor häufig der Begriff des ‚ökologischen Imaginären‘ verwendet (Meireis & Rippl 2019b), was sich aufgrund der normativen Dimension anbietet. Der Begriff des ‚ökologischen Imaginären‘ dient dazu, die tiefgreifende Formung unserer kognitiven, normativen und emotionalen Wahrnehmung von Umweltthemen und Nachhaltigkeit durch kulturelle Produkte wie Bilder, Filme, graphic novels und Narrative zu beschreiben, die dann aufgrund ihrer normativen Dimension geteilte Handlungsoptionen eröffnen.

      Dass sich Nachhaltigkeit trotz aller Anstrengungen bislang nicht etablieren konnte, dürfte damit zusammenhängen, dass den kulturellen Aspekten der Nachhaltigkeit, und insbesondere normativen, mit Werten zusammenhängenden Aspekten unseres Verhaltens, bislang nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt wurde: „Reflexion auf und Kommunikation über das, was man für gut hält, und die angemessenen Umstände und Bedingungen seiner Umsetzung – genau darum geht es ja in der Ethik – scheint also alles andere als überflüssig“ (Meireis 2019b, 279). Torsten Meireis plädiert für eine „Ethik der Nachhaltigkeit“, welche nötig ist,

      weil Menschen sich nicht nur der Frage stellen müssen, worauf sich der Gegenstandsbereich der Nachhaltigkeit eigentlich erstreckt, sondern auch derjenigen, woher ihre Kriterien stammen und wem oder was gegenüber wer eigentlich aus welchen Gründen in welcher Weise verpflichtet ist. Ethik, so die vorläufige Definition, ist die Reflexion auf moralische Vorstellungen über das Gute und Richtige, das Böse und Falsche. […] Ethik kann die moralischen Konflikte nicht einfach auflösen, aber sie stellt Werkzeuge bereit, die bei der Lösung helfen können, indem sie normative Probleme identifiziert. (Meireis 2019b, 280–281)

      Eine stärkere Berücksichtigung kultureller Dimensionen der Nachhaltigkeit, die verstärkte Diskussion von Werten und die Entwicklung konkreter Verfahren normativer Abwägung würden der Tatsache Rechnung tragen, dass unsere Vorstellungen von Nachhaltigkeit und einem guten Leben in bestimmte Vorstellungen von Welt eingebettet sind. Daraus folgt, dass Kultur „den Horizont [bildet], in dem Wertorientierungen, normative Präferenzen, Vorstellungen und Bilder des richtigen und guten Lebens überhaupt gewonnen werden können“ (Meireis 2019b, 289; vgl. auch Rippl 2019b).

      3.3 Kulturerbe – Kulturelles Gedächtnis

      ‚Kulturelle Vielfalt‘ ist ein Begriff, der in Zeiten zunehmender Globalisierung eine neue normative Qualität erhalten hat und als positives Konzept von Universalisierungstendenzen abgesetzt wird. Wie bereits erwähnt, versteht die UNESCO Kultur und kulturelle Nachhaltigkeit in einem engeren Sinne als kulturelle Diversität, die es zu schützen gilt; dies impliziert die Förderung und Bewahrung des Kulturerbes – des materiellen (Landschaften, Bauten oder Kunstwerke) sowie immateriellen (überlieferte Traditionen, kulturelle Ausdrucksweisen wie Rituale und Feste, Wissensformen und -praktiken im Umgang mit der Natur) – und der regionalen kulturellen Vielfalt. Angesichts der zahlreichen vom Vergessen bedrohten Traditionen und der jüngsten Attacken auf materielle Kulturgüter – man denke an die vandalistische, aggressive Zerstörung von Kulturgütern in Palmyra durch den Islamischen Staat (IS) (A. Assmann 2019) – ist dieses Verständnis von kultureller Nachhaltigkeit zweifelsohne von großer Bedeutung.

      Ein kulturelles Nachhaltigkeitskonzept umfasst jedoch weitere Überlegungen, die seit den 1980er-Jahren in Debatten zum „kulturellen Gedächtnis“ zum Tragen kommen. Als Medien des kulturellen Gedächtnisses (A. Assmann 1999) reflektieren Archive, Bibliotheken und Museen, aber auch nicht-materielle Systeme wie Kanones (vgl. Rippl & Winko 2013) als Archive kultureller Werte kulturelle Wissensbestände. Sie bewahren Wissen, ermöglichen die Kommunikation über lange Zeiträume hinweg und reichen gespeichertes Wissen an spätere Generationen weiter. Da Datenträger im Laufe der Zeit ihre ‚Lesbarkeit‘ verlieren, sind gerade im digitalen Zeitalter Fragen kultureller Nachhaltigkeit von größter Bedeutung. Während sich die UNESCO im world heritage-Programm, d.h. in Weltkulturerbe-Projekten zum einen dem Naturerbe (z.B. in Form von singulären, gefährdeten Landschaften) und zum anderen dem Kulturerbe (hauptsächlich in Form von historischen Stätten und Bauwerken) widmet und Nationalbibliotheken (etwa die British Library) gleichermaßen wie Unternehmen (z.B. Google) Digitalisierungsprojekte von großem Umfang vorantreiben, um Wissensbestände für Nutzer*innen auf der ganzen Welt sowie spätere Generationen zu sichern, also eine vorwiegend materielle kulturelle Nachhaltigkeit betreiben, kann das Konzept des ‚kulturellen Gedächtnisses‘ als Projekt einer materiellen wie immateriellen, multimedialen Nachhaltigkeitsforschung verstanden werden. Theorien des kulturellen Gedächtnisses untersuchen Kultur „in einer diachronen Dimension als einen symbolischen Selbst-Reproduktionsprozess. […] Kultur erweist sich in dieser Sicht als ein langfristiges und dynamisches Projekt, bei dem Symbole kodiert, tradiert, bekämpft, durchgesetzt, verändert, rekonstruiert und nicht zuletzt: vergessen werden“ (A. Assmann 2013, 76). Im Zentrum der Theorien des kulturellen Gedächtnisses steht, so Aleida Assmann, „die Frage nach dem Kernbestand kultureller Überlieferung, der mit großem Aufwand über Generationen und Jahrhunderte tradiert wird“ (2013, 80). Das kulturelle Gedächtnis beruht – ähnlich wie die Kanonforschung – auf Verfahren der Auswahl und Wertzuschreibung und ist auf überzeitlichen, dauerhaften Bestand ausgelegt. Die Forschung zum kulturellen Gedächtnis untersucht folglich nicht nur dessen Inhalte, sondern auch die kulturellen Kontexte, die gesellschaftlichen Institutionen, mediale Überlieferungsformen, die komplexen Aushandlungs- und Stabilisierungsprozesse – kurzum die „Wertperspektive“ einer Gemeinschaft (J. Assmann 1988, 14).

      Mit der kulturellen Gedächtnisforschung ist eine weitere wichtige Funktion der (hier: historischen) Kulturwissenschaft mit Blick auf Nachhaltigkeit benannt: die Erforschung und das Aushandeln von Bedeutung der Vergangenheit für das Verstehen der Gegenwart sowie dem Bereithalten von Information, die beim Entwerfen einer lebenswerten Zukunft und der dafür nötigen Reflexion und Auseinandersetzung mit den leitenden Werten unverzichtbar ist. Das umfasst die kritische Reflexion auch der Werte, die Fehlentwicklungen wie Ausbeutung der Natur, Klimaerwärmung, Neoliberalismus etc. allererst ermöglichten. Gerade eine (historische) Kulturwissenschaft ist durch ihre Kompetenz in der Analyse kultureller Produkte dafür prädestiniert, mögliche Probleme der Zukunft, ja die Zukunftsfähigkeit der menschlichen Zivilisation zu verhandeln. Durch den Fokus auf die Vergangenheit und die Diskurse, die diese konstruieren, lotet sie verschiedene Vorstellungen von Zukunft aus (vgl. LeMenager & Foote 2012, 576).

      3.4

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