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Signifikante Aspekte des breit gefächerten Nachhaltigkeitsbegriffs und -diskurses werden im Kompendium Nachhaltigkeit interdisziplinär von Kluwick & Zemanek 2019 detailliert und vertieft vorgestellt.

      Berbeli Wanning

      Der ökologische Umbruch

      Wie kulturökologische Literaturdidaktik Perspektiven verändern kann

      1. Einleitung

      Die Frage nach der Zukunftsfähigkeit und Identität des Menschen ist von hoher Aktualität. Mit Blick auf die Zukunft breitet sich häufig ein apokalyptisches Gefühl aus, ausgehend von einer als zerbrochen empfundenen Gegenwart, deren ökologische Gefahrenlage kaum eingrenzbar zu sein scheint. Schon vor zwanzig Jahren wies der Soziologe und Bildungswissenschaftler Oskar Negt auf die Umbrüche hin, die Kindheit und Jugend in diesem Jahrhundert prägen: Alte Identitätsmuster sind infrage gestellt, und die notwendige Identitätsbalance verschlingt immer größere Teile der kognitiven Energie (vgl. Negt 2002, 235), was neben Kraft auch Zeit kostet, Zeit, welche die Gesellschaft den Kindern und Jugendlichen kaum noch gewährt.

      Im wirkmächtigen Diskurs um die „Zukunft als Katastrophe“, die keine Hoffnung bietet (vgl. Horn 2014, 12), verschärft sich die Situation noch: Wir haben diese Zeit gar nicht mehr. Jeder Tag, um den die jetzt bestimmende Generation die ökologische Transformation hinauszögert, wird der nächsten fehlen und deren Handlungsspielraum zunehmend einschränken. Wenn solche Narrative größeren Einfluss auf die Gegenwart gewinnen, können sie zu einer Belastung für die Kinder und Jugendlichen werden, die ihr Heranwachsen und ihre Identitätsfindung mit ökologischen Gefahren wie Klimawandel und Artensterben notgedrungen verbinden müssen, jedoch unbedingt Hoffnung und Perspektiven brauchen.

      Literatur und ihre durch literarisches Lernen anzueignenden Inhalte und Verfahren können einen Ausweg aus der negativen Denkspirale aufzeigen und den benötigten Perspektivwechsel herbeiführen. Die kulturökologische Literaturdidaktik macht hierzu Vorschläge, wie Schüler*innen nachhaltig das einschlägige kulturelle Wissen erwerben können, das Literatur zum Thema bereithält. So trägt sie dazu bei, ethische und politische Zusammenhänge literarisch verstehbar zu machen, welche die Grundlage eines menschlichen Handelns bilden, das auf Zukunft gerichtet ist.

      Der Beitrag gliedert sich in drei Abschnitte, er stellt Konzepte vor, benennt die Wurzeln und gibt mit dem Hinweis auf Futures literacy einen Ausblick, der die Umbruchssituation nochmals deutlich macht, in der sich die Welt befindet.

      2. Konzepte

      2.1 Ökologische Herausforderungen für die Literaturdidaktik

      Die kulturökologische Literaturdidaktik beschäftigt sich als zeitgemäßer Ansatz der Literaturvermittlung mit der Frage, wie das Verhältnis von Sprache und Literatur zur Natur in aktueller, aber auch historischer Perspektive zu beschreiben, zu bewerten und für Kinder und Jugendliche vermittelbar ist. Damit wendet sich die Literaturdidaktik, die zuletzt wenig von inhaltlichen Lerngegenständen bestimmt war, verstärkt den Themen zu, die für Kinder und Jugendliche und deren Zukunft wirklich relevant sind. Die Beschäftigung mit literarischen, hybriden und medial transformierten Texten bringt für Lernende große Vorteile: Literatur generiert nicht nur einschlägiges Wissen und involviert Affekte und Emotionen, sondern hat Einfluss auf das (zukünftige) Handeln, indem konative Aspekte Handlungsmöglichkeiten aufzeigen, mit denen sich alle, die Literatur vermitteln oder rezipieren, auseinandersetzen können.

      Auf diese Weise entsteht ein doppelter Fokus: Literatur nutzt die ihr zur Verfügung stehenden Mittel, um ökologische Themen, die sowohl gesamtgesellschaftlich als auch für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen bedeutsam sind, zu beschreiben, zu gestalten und zu verbreiten. Sie arbeitet dabei mit Sprache, nutzt literarische Zeichen- und Symbolsysteme und die diesen inhärenten Mehrdeutigkeiten. Daraus entstehen Einsichten und Erkenntnisse, wie sie nur das literarische Verstehen generieren kann: Kognitive, affektive und konative Aspekte werden in einem Lernprozess zusammengeführt. So kann Literatur dazu beitragen, Gegenbilder zu medial konstruierten Katastrophenbildern zu entwerfen. Die Aussicht besteht im Kontrast, der als desolat empfundenen Gegenwart mit dem Blick auf eine positiv besetzte Zukunft zu entkommen. Doch auch das Gegenteil, die dystopische Sicht, kann Impulse freisetzen. Verstanden als Warnliteratur, lösen die ästhetischen Lernchancen konative Intentionen aus, eine solche Zukunftsperspektive auf jeden Fall zu verhindern.

      Um das ökologische Bewusstsein weiter zu stärken, bedarf es zusätzlich eines Wissenstransfers, wenn z.B. einschlägige Fakten in einen Text integriert und durch Erzähler- oder Figurenrede vermittelt werden (vgl. Kappel 2015, 46). Im Ergebnis werden nicht nur Informationen zu ökologischen Sachthemen in ästhetischer Form weitergegeben, sondern auch Zukunftsszenarien entworfen, wertorientierte Positionen entwickelt und Empathie integriert. Auf diese Weise verbindet sich in der besonderen Form der Literatur ökologische Aufklärung mit der Entfaltung bestimmter Einstellungen, die insgesamt das ökologische Bewusstsein sowie die Identität generierende Bewusstheit unterstützen. Die Funktion des Literaturunterrichts verändert sich dadurch: Hinzu kommt die Weitergabe ökologischen Wissens in Verbindung mit nachhaltigen Werten an die nächste Generation.

      Die kulturökologische Literaturdidaktik greift dabei auf zwei andere didaktische Ansätze zurück, die sie zusammenführt. Der rezeptionsorientierte Ansatz setzt auf das Verstehen ökoliterarischer Texte durch kreative Verfahren, wobei das Schreiben bzw. das sprachlichliterarische Gestalten genuin literaturdidaktische Kompetenzen fördert. Sprachliche Sensibilisierung unterstützt das Verstehen kultureller Ökosysteme, die in Analogie zum natürlichen Ökosystem für Heterogenität und Individualität, Vielfalt und Besonderheit stehen. Demzufolge werden individuelle Lernwege besonders berücksichtigt. Der identitätsorientierte Ansatz wird kulturökologisch erweitert, wenn Literatur hilft, Ich-Konzepte in ökologisch prekären Zeiten zu entwickeln. Die Zukunftsinteressen der Schüler*innen stehen hier im Mittelpunkt, so dass literarisches Lernen durch (Natur)Wahrnehmung vielfältiger werden kann. Mithilfe der Beschäftigung mit literarischen Texten wird Bewusstsein geschaffen: Da jeder Text einen Vorstellungsraum öffnet, ist es möglich, diesen mit alternativen Kulturentwürfen und Naturkonzepten zu füllen und die kulturelle Phantasie zu schulen. Da sich Literatur sowohl an der Wirklichkeit orientieren als auch in phantastisch-visionäre Welten eintauchen kann, ergibt sich eine Fülle von Chancen, nachhaltige Themen anzusprechen und emotional-affektiv sowie konativ zu verinnerlichen. Leseförderung ist einer der Wege, hier Veränderungen herbeizuführen. Wie ökologisches Lesen gelingen kann, wird im nächsten Abschnitt erläutert.

      2.2 Ökologisch lesen

      Ökologische

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