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braucht es eine Transformation der üblichen disziplinären Herangehensweise an Problemstellungen. Der Klimawandel z.B. ist der Gegenstand der Klimaforschung, aber er hat etliche soziale, ökonomische und kulturelle Aspekte, die es mitzureflektieren gilt (Siperstein et al. 2017). Gleiches gilt für ein Thema wie das Wachstumsparadigma. Eine Fachgrenzen überschreitende Interdisziplinarität, so wie sie heute etwa von den Environmental Humanities gefördert wird, erlaubt es, komplexe Themen differenzierter und von mehreren Perspektiven aus zu betrachten. Die Environmental Humanities sind ein noch junges multidisziplinäres Forschungsgebiet, das sich vor ca. zehn Jahren herausgebildet hat, heute jedoch global präsent ist; es plädiert für innovative, integrative Forschungsansätze, welche dem technisch-naturwissenschaftlichen Verständnis der Umweltkrise eine sozial-, kultur- und geisteswissenschaftliche Sichtweise an die Seite stellen (Heise et al. 2017; Emmett & Nye 2017). So soll der zentralen Rolle der Kultur, der Geschichte, der Geisteswissenschaften und der Künste Rechnung getragen werden, denn es sind die Akteure dieser Felder, die unser Verständnis der ernsten globalen ökologischen Krisen (z.B. radioaktive Verschmutzung, bedrohliche Zunahme von Plastikabfällen nicht nur in den Weltmeeren, Artensterben, Ressourcenknappheit oder extreme Wetterbedingungen), d.h. unser ökologisches Imaginäres, unsere Vorstellungen (z.B. des Natur-Kultur-Verhältnisses), unsere Gefühle (Weik von Mossner 2017), unser Verstehen und Deuten, formen und uns zudem anhalten, uns mit ethischen Fragen auseinanderzusetzen.

      Die kritische, fächerübergreifende Auseinandersetzung mit Umweltdiskursen und der Bedeutung symbolischer Repräsentationen von Umweltproblemen in der heutigen multikulturellen, von neuen digitalen Massenmedien geprägten globalen Welt ist von großer Wichtigkeit, weil nur so dringend notwendige globale Transformationen ermöglicht werden können, die den Bedürfnissen aller Völker in einer vielschichtigen, durch Machtverhältnisse, ungleiche Ressourcenverteilung, Neokolonialismus und einen aggressiven Kapitalismus geprägten Welt Rechnung tragen. Neben der zentralen Rolle, die der Interdisziplinarität zugesprochen wird, gilt es auch transdisziplinäre Überlegungen miteinzubeziehen, welche auf eine verstärkte, engere Interaktion von Wissenschaft und gesellschaftlichen Prozessen und Akteuren setzen (Schneidewind & Singer-Brodowski 2014). Es gilt die Produktion und den Umgang mit Wissen neu zu denken, indem „auf die Integration von gesellschaftlichen Akteuren und ihren Wissensbeständen“ gesetzt wird, um die „Verbindung von Fakten und Werten“ (Ott 2019, 97) zu fördern. Cordula Ott fasst mit Blick auf nachhaltige Entwicklung zusammen:

      Insgesamt ist transformative Forschung also ein wertegeleitetes Arbeiten mit dem Zweck, die Zieldimensionen Ökologie, Gesellschaft und Wirtschaft gesamtgesellschaftlich auf allen Ebenen zu integrieren und dabei wirksame, legitimierte, gerechte Regelwerke für eine nachhaltige Entwicklung zu schaffen. Und dennoch: Transformative Forschung räumt die disziplinäre und interdisziplinäre Wissenschaft keinesfalls aus. Das Erarbeiten von wissenschaftlichem Wissen, Fakten und Beweisen bleibt ihre ureigene Aufgabe. (Ott 2019, 100–101)

      Damit rückt ein weiterer Aspekt kultureller Nachhaltigkeit in den Blick: Die Kulturwissenschaft sollte gemeinsam mit Bildungseinrichtungen zur Erarbeitung eines operationalisierbaren Begriffs von ‚kultureller Nachhaltigkeit‘ beitragen, den man in Curricula implementieren kann. Mit Blick auf Schulen stellt sich ebenfalls die kulturwissenschaftlich dringliche Frage, wie Schulkinder das Wechselverhältnis und „Spannungsfeld von Mensch und Natur“ (Wanning & Stemmann 2015, 258) in diachroner wie synchroner Perspektive zu analysieren lernen. Im Gegensatz zum naturwissenschaftlichen Nachhaltigkeitsunterricht kann die kulturwissenschaftliche Perspektive auf die Mensch-Natur-Verhältnisse, so wie sie kulturelle Produkte konstruieren, „durch die ästhetische Sensibilisierung ein vertieftes ökologisches Bewusstsein“ bei Schulkindern hervorbringen (Wanning & Stemmann 2015, 259–260), denn Lernen und das Gelernte können das Verhalten ändern und neue Wege in die Zukunft öffnen. Die Germanistin und Didaktikerin Berbeli Wanning betont den engen Zusammenhang zwischen Nachhaltigkeit und Bildung: „Bildung und Nachhaltigkeit gehören immer dann ganz eng zusammen, wenn es darum geht, den Menschen zu einem Teil der Lösung zu machen und nicht ausschließlich zur Ursache des Problems“ (Wanning 2019, 295). Nur so kann Umweltwissen in Umwelthandeln übersetzt und eine „new participative epistemology“ (Sterling 2001, 19) und eine „transformative literacy“ (Scholz 2011) entwickelt werden, die zu kontinuierlichen Transformationsprozessen führen. Denn es ist offensichtlich, dass Bildung und Erziehung, samt den Institutionen Schulen und Hochschulen, eine tragende Rolle im angestrebten Transformationsprozess hin zu einer echten nachhaltigen Entwicklung innehaben (vgl. Wanning 2019, 296–301). ‚Umwelterziehung‘, ‚globales Lernen‘ (Lernen mit einem Welthorizont) und ‚Global Citizenship Education‘ (Erziehung zur Weltbürgerschaft) sind wichtige Konzepte, die in diesem Zusammenhang intensiv diskutiert werden und auf die globale Problemstellung hinweisen, welche die gesamte Menschheit betrifft. Neben Wissen über die Verflechtungen ökologischer, ökonomischer und gesellschaftlicher Einflüsse werden zunehmend auch kognitive, emotionale, empathische und ethische Prozesse berücksichtigt, die sich aus dem gegenwärtigen Zustand der Natur und den damit einhergehenden wirtschaftlichen und technischen Problemen ergeben (vgl. Wanning 2019, 296). Insbesondere scheint eine Orientierung der Bildung an umweltbezogenem Wertebewusstsein und Wertevermittlung notwendig, da Werte die Haltung und das Handeln von Menschen formen und bestimmen. In diesem Bereich sind Fächer wie z.B. Literatur- und Kunstunterricht, Philosophie, Religion und Ethik von besonderer Bedeutung, da diese zudem vernetztes Denken und kritisches Reflektieren besonders fördern. Wie wichtig es ist, bei Überlegungen zur nachhaltigen Bildung den kulturellen Bereich miteinzubeziehen und damit die beiden getrennten Bereiche der Natur- und Geistes-/Kulturwissenschaften interdisziplinär enger zu verknüpfen, liegt auf der Hand, wird jedoch nicht immer von Bildungspolitiker*innen gefördert, wenn die Bildung für nachhaltige Entwicklung in Lehrplänen marginalisiert und einseitig MINT-Fächer ins Zentrum gestellt werden. Um die planetaren Grenzen unserer Erde ins Bewusstsein zu rücken, braucht es jedoch gerade ein interdisziplinäres Wissen, das die Reflektion von Naturwissenschaften durch die Geistes- und Kulturwissenschaften und umgekehrt erlaubt. Nur so kann die enge Vernetzung zwischen Mensch und Natur erkannt und der Dialog über Grundwerte wie Gerechtigkeit, Toleranz, Schutz der Schwachen, die Wahrung kultureller und biologischer Vielfalt, die Partizipation an gesellschaftspolitischen Entscheidungsprozessen und die Fokussierung auf die wichtige Frage nach dem guten Leben gefördert werden. Die Aufwertung der Künste und die Förderung des Bewusstseins von deren imaginärem, innovativem Potenzial und schließlich die Schulung interkultureller Kompetenzen, die den Dialog zwischen Kulturen ermöglichen und so den vielfachen Verflechtungen unserer globalen Welt Rechnung tragen, das sind auch die Charakteristika einer zukunftsfähigen Kultur, die Hildegard Kurt und Bernd Wagner benannt haben (2002, 14).

      4. Fazit

      Die zentrale Bedeutung der Kulturwissenschaft für eine nachhaltige Entwicklung dürfte deutlich geworden sein. Eine der dringlichsten Aufgaben von Politik, Medien, bildungspolitischen Institutionen, Schulen und Hochschulen wird es in Zukunft sein, die zahlreichen Facetten der Nachhaltigkeit – insbesondere auch der kulturellen Nachhaltigkeit – in interdisziplinären Gesprächen zwischen Öffentlichkeit und Spezialist*innen, zwischen Naturund Kulturwissenschaft auszuloten und dabei insbesondere eine vertiefte Diskussion der normativen, d.h. die Werte betreffende, Seite der Nachhaltigkeit anzustoßen. Gerade eine inter- und transdisziplinär agierende Kulturwissenschaft kann dabei helfen, „epistemologische Lücken“ der natur- und technikwissenschaftlichen Nachhaltigkeitsforschung zu schließen, eine kontinuierliche, „kreative[] Selbsterneuerung von Sprache, Wahrnehmung, Imagination und Kommunikation“ (Zapf 2015, 177) anzustoßen und das Gespräch über gesellschaftlich dringliche Themen wie die kulturellen Folgen der Umweltproblematik, der digitalen Revolution oder der sich rasch wandelnden Medienlandschaft mit der breiten Öffentlichkeit zu intensivieren (Wilke 2015, 102). Kultur ist die zentrale Kategorie in der Konzeptualisierung nachhaltiger Entwicklung, sie verlangt, wie Verena Holz und Ute Stoltenberg vorschlagen, dass „Nachhaltigkeitsfragen“ nicht nur „als akademische, politische oder Schulfragen“, sondern vielmehr als „Lebensfragen“ erkannt werden, weil nur so eine „Partizipation an der Gestaltung einer nachhaltigen Entwicklung“ erreicht werden kann (Holz & Stoltenberg 2011, 18; s.a. Sorgo 2011).

      Literatur

      Alaimo,

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