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Dein Reich komme. Jürgen Kroth
Читать онлайн.Название Dein Reich komme
Год выпуска 0
isbn 9783429063702
Автор произведения Jürgen Kroth
Жанр Документальная литература
Серия Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge
Издательство Bookwire
Helmut Peukert entwickelte auf der Basis der Metz’schen Politischen Theologie seine für die praktische Theologie äußerst produktive theologische Handlungstheorie, indem er den Erinnerungsgedanken wissenschaftstheoretisch, handlungstheoretisch und fundamentaltheologisch durcharbeitete. Thesenartig stellt er dar, was für die Praktische Theologie zu lernen wäre, und das erscheint zugleich für die hier vorliegende Arbeit bedenkenswert:
„1. Zunächst müßte das Grundprinzip intersubjektiven Handelns aufgewiesen sein, daß nämlich die eigene Identität nur im Bezug zum anderen gefunden werden kann und daß die Bedingung des eigenen Selbstseins das freie Selbstsein des anderen ist.“68
Eine individualistische Isolation ist in diesem Sinne schon a priori ausgeschlossen. Wenn wir ich sagen, so könnte man diese These vereinfacht auch umschreiben, sagen wir nie nur ich. Intersubjektivität unter Ausschluss des anderen ist nicht nur ein logischer Widerspruch, sondern stärker noch hängt auch die Frage des eigenen Selbstseins konstitutiv an der freien Bezugnahme auf den anderen. Wir finden schon in dieser ersten These ein reziprokes Verhältnis von Ich und anderem: Das Ich kann nicht ohne den/die anderen, wie auch der/die andere immer verwiesen ist auf die freie Anerkennung durch das Ich.
„2. Es müßte verstanden sein, daß diese intersubjektive Existenz streng zeitlich ist: Die Fähigkeit, jetzt und hier zu existieren und sich einander zuzuwenden, entspringt der Fähigkeit, auf den Tod als Grenze unserer Existenz vorausgreifend zuzugehen und von daher auf die Augenblicklichkeit von Existenz hier und jetzt zurückzukommen. Existenz müßte also sowohl in ihrer zeitlichen Erstrecktheit wie in ihrer die Zeit in Endgültigkeit verwandelnden Entscheidungsstruktur erfaßt werden. Sofern diese zeitliche Existenz aber streng intersubjektiv ist, bedeutet das Zugehen auf den eigenen Tod im Umgang mit dem anderen auch das Zugehen auf den Tod des anderen, die Anerkennung der zeitlichen Existenz des anderen als Möglichkeit der Ekstasis in Endgültigkeit.“
Unschwer zu erkennen greift Peukert in diesem zweiten Punkt die Grundthese Martin Heideggers auf, der in „Sein und Zeit“69 das Dasein zum Tode als die Bedingung eigentlicher Existenz beschrieb, wobei er immer und ausschließlich den je meinigen Tod meinte, den Tod des anderen aber philosophisch überhaupt nicht zur Kenntnis zu nehmen in der Lage war. Insofern war Heideggers Existentialontologie eine strikt individualphilosophisch ansetzende und genau dort auch verbleibende. Was aber richtig und wichtig an Heidegger bleibt, ist gezeigt zu haben, dass das Sein eine zeitliche Struktur hat, dass es also ein überzeitliches Sein nicht geben kann. Er hat zu Bewusstsein gebracht, dass das Dasein zeitlich ist. Gerade diese zeitliche Struktur des Daseins in seiner Begrenztheit durch den Tod ermöglicht, diese Grenze nicht einfach nur als Fatum hinzunehmen, sondern bewusst darauf zuzugehen. Damit aber ist immer eine Entscheidungssituation gegeben, mich so und nicht anders zu verhalten. Weit über Heidegger hinaus ist aber hier davon auszugehen, dass, insofern diese zeitliche Existenz intersubjektiv angelegt und gar nicht anders denkbar ist, ein Dasein zum Tode eben gerade nicht im emphatischen Sinne den je meinigen Tod meint, sondern wesentlich den des anderen.
„3. Dieses gemeinsame Zugehen auf den Tod als wechselseitiges Anerkennen der Existenz des anderen und als Möglichkeit der Verwandlung in Endgültigkeit wäre in der Unbedingtheit dieses Anerkennens zugleich die praktische Behauptung Gottes als der Wirklichkeit für den anderen, die ihn im Tod nicht vernichtet sein läßt und die deshalb Hoffnung gewährt, auch selbst im Tod bejaht zu sein. Das gemeinsame Zugehen auf den Tod wäre das hoffende Zugehen auf den Tod als Zugehen auf Gott als die Wirklichkeit, die sich im Tod als rettend erweist.“
Weiter unten gilt es, der Frage nach der epistemologischen Anknüpfung an die Auferstehung etwas weiter zu entfalten. Es wird dann zu verdeutlichen sein, dass diese zwar zentral und zugleich auch problematisch sein kann, wenn sie als Ausgangspunkt und nicht als Hoffnungsaussage verstanden wird. Es würde hier zu weit führen, den genauen Status dieses Abschnittes zu entfalten, da damit große theologische wie auch erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Fragen berührt sind hinsichtlich der Frage nach der Behauptung der Auferstehung.70 Gott wird jedoch gleichsam hoffend bewahrheitet, indem die Anerkennung des anderen einerseits ein Vorschein, eine Prolepse des kommenden Gottes ist und andererseits Gott als die Wirklichkeit behauptet wird, die im Tod Rettung verheißt.
„4. Dann wäre zugleich deutlich, daß diese Art zeitlichen, intersubjektiven Handelns einen nicht begrenzten Horizont hat, und zwar nicht nur auf Zukunft, sondern auch auf Vergangenheit hin. Der Tod ist keine Grenze. Solidarität hier und jetzt kann es nur geben als Solidarität auch nach rückwärts, mit den Toten. Walter Benjamin nannte dies den revolutionären ‚Tigersprung ins Vergangene’.“
Eine weitere Ausweitung wird an dieser Stelle deutlich, denn das intersubjektive Handeln findet zwar in einem zeitlich endlichen Horizont statt, indem es ganz real die Grenze des Todes anerkennt, aber es überschreitet gleichzeitig diese Grenze nach vorne hin und eröffnet Zukunft. Ist aber dies möglich, dann kann und muss – dafür steht ja gerade der Gottesgedanke – auch der rettende Schritt nach hinten, zurück in die Vergangenheit, gedacht werden und eine Rettung auch für die Toten behauptet werden. „‚Erlösung‘ ist daher weder ‚objektiv‘ noch ‚subjektiv’, sondern intersubjektiv in geschichtlich-gesellschaftlichem Prozeß zu denken als Praxis von antizipierter und als ausständig erfahrener Versöhnung her, in welchem Vorgang auch der einzelne als Subjekt seine Identität finden kann.“71
„5. Und das würde bedeuten, daß solidarisches Bejahen des anderen hier und jetzt schon immer ausgeht von der Behauptung der Unzerstörbarkeit, ja der Rettung des Vergangenen, des Vernichteten, vom Tod des Todes. Dann wäre die Auferweckung Jesu als ein nicht zu isolierendes Ereignis verständlich zu machen, das die eigene Existenz gerade im Versuch zum Handeln in unbedingter und unbegrenzter Solidarität ermöglicht. Und dies würde umgekehrt bedeuten, daß diese Rettung im Tod nur begriffen ist, wenn sie sich in der unbedingten Anerkennung der anderen hier und jetzt bewährt.“
Wir haben uns längst daran gewöhnt, die Auferstehung Jesu als besonderen und exklusiven Fall der Auferstehung anzusehen. Das war freilich nicht immer so: Schon in den frühesten Auferstehungsfragmenten findet sich eine interessante Rückkoppelung, die auch in dieser These Peukerts wieder aufgegriffen wird. Paulus bindet nämlich in 1 Kor 15 die Auferstehung Jesu zurück an die Auferstehung aller Toten und umgekehrt. Gerade christologisch lässt sich daher die Auferstehung nicht als exklusives, isoliertes Ereignis lesen. Auferstehung ist vielmehr der Einstieg in diese universale Solidarität, die in der unbedingten Anerkennung des anderen – auch des toten anderen – gipfelt. Dies ist auch das Recht des Metz’schen Diktums, Christus müsse immer so gedacht werden, dass er nie nur gedacht wird.72 Hoffnung, so könnte man das ganze auch ausdrücken, ist immer nur wirkliche Hoffnung, wenn sie nicht im Modus der Hoffnung verharrt, sondern das auch anvisiert und praktisch vorwegnimmt, was sie erhofft. Insofern muss Hoffnung proleptisch und praktisch verstanden werden. Dass hier nun allerdings Hoffnung auch nach hinten denkbar wird, stellt eine tatsächliche Radikalisierung des Hoffnungsbegriffs dar, der bis dahin doch eigentlich immer nur als nach vorn hin extrapolierte Gegenwart gefasst worden war. Selbst in dem Grundlagenwerk der Hoffnung, in dem diese zum Prinzip wird,73 wird die Hoffnung über den Tod hinaus lediglich für jene anvisiert, die sich in revolutionäre Prozesse hineinbegeben, darin umkommen und dann in der zukünftigen kommunistischen Gesellschaft aufgehoben sein werden.74
Auch an der Kontroverse zwischen Max Horkheimer und Walter Benjamin lässt sich zeigen, dass innerhalb des philosophischen Denkens eine Rettung der Toten umstritten war. Der Gedanke an die mögliche Rettung der Verlorenen ist zwar ein in sich theologischer, worauf Max Horkheimer in seinem berühmten Briefwechsel mit Walter Benjamin hinwies75, er ist aber nicht notwendigerweise angestoßen von der biblisch tradierten Verheißung, sondern kann sich auch gewissermaßen philosophisch explizieren. Die Konstellation Max Horkheimer – Walter Benjamin – Theodor W. Adorno zeigt, dass materialistisches Denken von sich angetrieben wird, so weit über sich hinauszudenken, „bis zur Idee einer Verfassung der Welt, in der nicht nur bestehendes Leid abgeschafft, sondern noch das unwiderruflich vergangene widerrufen wäre“76. Die Auseinandersetzung