Скачать книгу

Auschwitz ist die Theodizeefrage nicht mehr in der Gestalt zu stellen, ob Gott das Leiden zulasse oder verhindern könne, sondern es ist zu fragen, wie überhaupt von Gott zu reden ist angesichts des Leidens in der Welt. Wie kann eine Sprache gefunden werden, die weder das Leid verharmlost und es zu einem bloßen Moment im größeren Ganzen reduziert, noch aber es mit einer solchen Schwere versieht, die jede Anstrengung, Leid abzuschaffen a priori verunmöglicht? Es könnte jene Sprache der Gebete sein, in der nicht primär über Gott, sondern zu ihm gesprochen wird95, und in denen sich die Frage stets neu stellt, wo Gott denn bleibe, wann er komme. Es kann auch die Sprache der Theologie sein, wenn sie die Theodizee-Empfindlichkeit herausbildet, die ihr von Grund auf eigen sein sollte, in der dann die Frage nach Gott und auch die Rückfrage an Gott, wenn er einst komme, wachgehalten wird, so dass Theologie zu einer eschatologischen Rechtfertigung Gottes drängt. Es könnte aber auch die Sprache einer Philosophie sein, die nicht sich beruhigt, bis die letzte Spur sinnlosen Leidens getilgt ist, und die keine Angst davor hat, „daß der Gedanke, der sich nicht enthauptet, in Transzendenz mündet, bis zur Idee einer Verfassung der Welt, in der nicht nur bestehendes Leid abgeschafft, sondern noch das unwiderruflich vergangene widerrufen wäre“96. Allemal ist es eine Sprache der Sehnsucht, nicht aber der Identität; eine Sprache, die das Ganze im Blick hat, ohne das Ganze zu repräsentieren; eine Sprache der Sympathie, die dem Ausdruck schafft, was seiner Stimme schon beraubt ist; eine Sprache, die sich nicht in der logisch stringenten Explikationen theologischer und philosophischer Erstannahmen beruhigt, sondern gegen sich selbst noch andenkt. Solche Sprache hält gegen alle Erklärungsversuche an der Sinnlosigkeit des Leids fest, als sei die Negativität des Leids in Wahrheit das Gute.

      „6. Die Grundlegung der Theologie und damit die Einführung der Rede von Gott wäre dann gebunden an die Analyse solchen Handelns und nur denkbar aus dem Vollzug solchen Handelns: erst aus so strukturierter intersubjektiver Praxis wird Gott als Wirklichkeit identifizierbar und benennbar. Das Wort ‚Gott’ kann und muß dann in diesem Zusammenhang eingeführt werden. Theologie insgesamt käme aus dieser Praxis und verwiese in diese Praxis. Theologie insgesamt wäre dann schon in ihrem theoretischen Ansatz und ihrer Grundbegrifflichkeit eine durch eine spezifische Praxis konstituierte praktische Wissenschaft.“

      Eben wurde schon der scheinbar banale Satz von Johann Baptist Metz zitiert, dass Christus immer so gedacht werden müsse, dass er nie nur gedacht sei. In engem Zusammenhand damit bindet Metz die gesamte Gottesrede in eine Nachfolgepraxis ein: „Nur ihm nachfolgend wissen Christen, auf wen sie sich eingelassen haben und wer sie rettet.“97 Diese Sätze geben ein ganzes theologisches Programm an, auf das Helmut Peukert sich hier beziehen kann, das aber freilich auch nicht einfachhin eine Erfindung der Politischen Theologie ist, sondern tief eingebunden in die Glaubens- und Denktradition des Judentums und Christentums. Es geht nämlich um die Verhältnisbestimmung von Orthodoxie und Orthopraxie. Es geht um die Rückbindung der Gottesrede an eine Praxis, in der das Erhoffte auch schon anfanghaft vorweggenommen wird. Wenn ich wirklich Gott sage, muss diese Gottesrede auch meine Wirklichkeit berühren und sie verändern, und nur von der Veränderung der Wirklichkeit her kann ich eine glaubhafte Verifizierung der Gottesrede erwarten. „Kehren wir Christen in diesem Lande“, so ließe sich mit Metz fragen, „um, oder glauben wir lediglich an die Umkehr und bleiben unter dem Deckmantel der geglaubten Umkehr die alten? Folgen wir nach, oder glauben wir nur an die Nachfolge und gehen dann unter dem Deckmantel der geglaubten Nachfolge die alten, immer gleichen Wege? Lieben wir, oder glauben wir an die Liebe und bleiben unter dem Deckmantel der geglaubten Liebe die alten Egoisten und Konformisten? Leiden wir mit, oder glauben wir nur an das Mitleiden und bleiben unter dem Deckmantel der geglaubten ‚Sympathie’ allemal die Apathischen?“98 Es reicht also nicht, einfach nur zu glauben. Ein nur geglaubter Glaube ist förmlich nicht der Glaube Jesu Christi. Das wird bereits in der markinischen Erzählung von der Auferstehungserfahrung deutlich, wo die Erfahrung der Auferstehung auch rückgebunden ist an die Praxis der Nachfolge, und zwar eine Nachfolge, die in die Brisanz der jesuanischen Geschichte einführt. Ist somit also der Glaube in wesentlichen Teilen eine Praxis, muss auch die Theologie als Reflexion dieser Praxis eine praktische Wissenschaft sein: eine Wissenschaft, die aus der Praxis heraus in die Praxis hineinführt, sie begleitet, irritiert, kritisiert und inspiriert. Das aber ist nicht eine wissenschaftspolitische Setzung, sondern folgt der inhärenten Logik der Theologie, wie sie in Punkt 7 deutlich wird.

      „7. Und praktische Theologie wäre die explizite Theorie eines Handelns, die in unserer konkreten Gesellschaft unter zerreißenden, aporetischen Erfahrungen eine Identität ermöglichen will, die sich der unbedingten Zuwendung Gottes an die Handlungspartner verdankt, einer Zuwendung, die im Handeln für den anderen jeweils schon immer vorausgesetzt und praktisch realisiert werden muß.“

      Die gesellschaftlichen Widersprüche als Herausforderungen sind der Theologie, ja der gesamten Glaubensgeschichte keineswegs fremd. Vielmehr ist der Glaube von Anfang an darin verwoben und versucht nicht allein die gesellschaftlichen Verhältnisse im Ganzen zu verändern – Stichwort wäre hier die Hoffnung auf das Reich Gottes, das nach dem Synodenbeschluss Unsere Hoffnung auch nicht den realen Verhältnissen abstrakt gegenübergestellt werden darf, da doch immerhin das Reich Gottes nicht indifferent sei gegenüber den Welthandelspreisen99 –, sondern schenkt auch und gerade der Zerstörung der Subjekte und deren Rettung eine besondere Aufmerksamkeit. Recht verstanden aber ist die Zuwendung zum anderen – insbesondere zum leidenden anderen – jeweils schon eine solche, die sich vorab der Zuwendung Gottes zu den Menschen verdankt, weil und insofern die Zuwendung Gottes einerseits die Bedingung der Möglichkeit jeglichen Verhaltens und Erkennens ist und andererseits diese Zuwendung auch die Radikalisierung unseres Handelns insoweit darstellt, als damit auch ein Handeln über den Tod hinaus denkmöglich und real erhoffbar geworden ist.

      „8. In seiner gesellschaftlichen Dimension würde dieses Handeln auf den Aufbau einer gemeinsamen Welt und damit auch gesellschaftlicher Institutionen zielen, in denen die unbedingte gegenseitige Anerkennung Bedingung der eigenen Identität und Ort der Erfahrung jener absoluten befreienden Freiheit ist, die in der christlichen Tradition Gott genannt wird.“100

      Dass die Hoffnung des Christentums keineswegs gesellschaftlich und politisch unschuldig ist, ist evident. Jenseits aber dieser eher noch negativ-abgrenzenden Formulierung besetzt Helmut Peukert hier ganz offensiv das Feld des Politischen, ohne jedoch in politische Programmatik oder gar in eine Instrumentalisierung des Politischen zu verfallen. Allerdings werden durchaus Leitideen oder Grundanforderungen, möglicherweise aber auch Konsequenzen eines gesellschaftlich verantworteten Handelns aus dem Glauben an den Gott der biblischen Traditionen deutlich. Es geht hier also nicht um das Herantragen einer gesellschaftlichen Praxis an die Theologie bzw. an das Christentum, sondern es geht um die Herausarbeitung des immanenten Anspruchs des Christentums. Im Gespräch mit der human- und sozialwissenschaftlichen Handlungstheorie hatte sich ja herausgestellt, dass die Anerkennung des anderen elementarer Bestandteil jeder kommunikativen Interaktion ist, die intentional alle möglichen Interaktionspartner mit ins Spiel bringen muss, die dann aber gleichfalls auch jene in den Blick nehmen muss, die von der realen Kommunikationsgemeinschaft faktisch ausgeschlossen oder aber auch schon ausgeschieden sind: die Toten –, was aber nur möglich ist, wenn eine Instanz angesprochen wird, die auch jenen noch eine Zukunft und eine Gerechtigkeit ermöglichen kann. Wenn diese Instanz, die wir Gott nennen, nicht alleine eine funktionale Umschreibung einer bloßen Hoffnung sein soll und darf, muss sie handelnd schon jetzt erwiesen und bewahrheitet werden als Vorschein auf die kommende Rettung, gleichsam als Hoffnung der Hoffnungslosen. Dieses kontrafaktische Handeln ist selbst noch einmal gespeist von der erinnerungsgeleiteten Hoffnung auf Gott und insofern kann Gott als jene Möglichkeit behauptet werden, die uns zu diesem Handeln befreit, das sowohl Individualität und Subjekthaftigkeit in den Blick nimmt wie auch die gesellschaftlichen Superstrukturen und das an deren Veränderung mitarbeitet. Interessanterweise wurde dies auch jenseits der eigentlichen theologischen Disziplinen sehr deutlich erkannt. In der Auseinandersetzung zwischen Max Horkheimer und Theodor W. Adorno wird dies ablesbar. In seinem Aufsatz „Zu Theodor Haecker. Der Christ und die Geschichte“, hatte Max Horkheimer 1936 geschrieben, die Jenseits-Hoffnung der Katholiken erscheine ihm ebenso wie das Handeln der bürgerlichen Materialisten wesentlich auf das Wohl der eigenen Person bezogen. Dazu antwortete ihm Theodor W. Adorno in seinem Brief vom 25. Januar 1937: „[…] die verzweifelte

Скачать книгу