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Obgleich er von der Hoffnung als einem Prinzip ausging, schien es dennoch nötig, das Hoffen zu lernen. Er beginnt daher das Vorwort zum Prinzip Hoffnung mit gewichtigen Fragen und Problemlagen: „Wer sind wir? Wo kommen wir her? Wohin gehen wir? Was erwarten wir? Was erwartet uns? Viele fühlen sich nur als verwirrt. Der Boden wankt, sie wissen nicht warum und von was. Dieser ihr Zustand ist Angst, wird er bestimmter, so ist er Furcht. […] Es kommt wieder darauf an, das Hoffen zu lernen.“61 Hoffen und Wollen sind an dieser Stelle durchaus verwandte Motive, insofern sie zum Ausgangspunkt für neue Praxis werden, die die bestehende transzendiert.

      In gewissem Widerspruch zum Sollensanspruch der Kantischen Philosophie betont daher die Erweiterung des methodischen Dreischritts die Rückbindung des Handelns an intrinsische Motivationen bei den handelnden Menschen. Sowohl Neurowissenschaften wie auch Forschungen zur Nachhaltigkeit in Bildungsprozessen zeigen sehr deutlich, wie sehr zur nachhaltigen Etablierung von Erkenntnissen und der Transformation in Praxis eine emotionale Dimension gehört. Nur wenn die Erkenntnis sich mit dem erkennenden Subjekt authentisch verschmilzt, wenn es das Erkannte auch in sein Handeln integrieren will, kann von einer authentischen Praxis des Subjekts gesprochen werden:

      Sowohl auf der Basis tiefenpsychologischer Einsichten, aber auch aufgrund neuerer neurobiologischer Erkenntnisse deutet sich die Bedeutung einer emotionalen Anschlussperspektive für Lern- und Veränderungsprozesse von Menschen an. Neues, so informiert uns die Neurowissenschaft, kann nur gelernt werden, wenn es mit emotionaler Bedeutsamkeit verbunden62 und sich an die bisherigen kognitiven Strukturen sinnvoll anschließen lässt. Aber nicht einfach nur die emotionale Anbindung ist erforderlich, sondern auch eine Wiederholung der Inhalte, denn um eine tiefere Verankerung zu erreichen, ist im Gehirn die Bildung bestimmter Rezeptorentypen notwendig, die sich aber nur dann herstellen, wenn entsprechende Regionen im Hippocampus innerhalb kurzer Zeit mehrfach stimuliert werden. Dabei stellt sich unter der Perspektive der Nachhaltigkeit natürlich die Frage, wie es gelingt, Lern- und Veränderungserfahrungen so tief zu gestalten, dass sie bis in tiefere Schichten des Bewusstseins eindringen. Hier sind zwei Unterscheidungen wichtig. Denn das Unbewusste (a), in dem sich die tiefsten Erfahrungen einlagern und das im limbischen System und der Amygdala als dessen Zentrum eingetragen werden, entscheidet sehr schnell und sehr effektiv in der Bewertung der Vergangenheit und damit verbunden auch der Frage, ob das, was wir tun gut oder schlecht ist. Dieser Bereich des Gehirns ist also zwar sehr effektiv und schnell aber relativ unflexibel, was auch plausibel ist, weil das Unbewusste eben nicht einfach zu verändern ist. Bei neuartigen und komplexen Fragestellungen kommen statt des limbischen Systems Netzwerke der Großhirnrinde (b) zum Einsatz, die als Sitz des Bewusstseins, also des eigenen Ichs gelten. Im Gegensatz zu (a) arbeiten sie eher langsam und fehleranfällig, haben aber den Vorteil, dass sie komplexe Probleme auf neuartige Weise bearbeiten können, indem sie Informationen verknüpfen und neu konstellieren. Dieser Teil des Gehirns benötigt vergleichsweise viel Energie, weshalb der Körper versucht, diese Hirnleistungen zu minimieren. Für die Frage der Lernvertiefung eine physiologisch problematische Ausgangslage.

      Bei der Wahrnehmung der Wirklichkeit, bei der Frage nach Urteilsstrukturen und im Bereich der Handlungsdimension gilt es folglich jedes Mal, diesem Dreischritt zu folgen und die Integration in das jeweilige Subjekt zu bedenken. Adorno weist schon auf die Verbindung von Erkenntnis und Wollen hin: „Ich meine, daß man überhaupt nicht einen richtigen Gedanken denken kann, wenn man nicht das Richtige will; das heißt, wenn nicht hinter diesem Gedanken, als die eigentliche ihn beseelende Kraft, das steht, daß es richtig sein soll, daß es mit den Menschen in einen Zustand kommen soll, in dem das sinnlose Leid aufhört und in dem, ich kann es immer nur negativ aussprechen, der Bann von den Menschen genommen sein wird.“63

      In der befreiungstheologischen Tradition wurde immer wieder betont, das Schema sei auch noch um den Aspekt des Feierns zu erweitern. Das ist durchaus richtig, wird aber hier nicht weiter verfolgt, weil es sakramentenpastoral ja immer unmittelbar auch um den Aspekt der Feier geht, so dass dies hier eine Verdoppelung vorliegen würde. Für andere Bereiche kirchlichen Handelns wär das freilich noch zu ergänzen.

      Alle Akteure, also pastoral Handelnde wie beteiligte Subjekte, müssen jeweils sehen, urteilen, wollen und handeln, so dass auch diesem Modell ein Vielperspektivenschema folgt, das folgendermaßen dargestellt werden könnte:

      Das in der vorliegenden Arbeit leitende Schema von Sehen – Urteilen – Handeln, das wird im Verlauf der Arbeit an vielen Stellen, vor allem aber im 5. Kapitel deutlich, wird präzisiert durch die Gesellschaftsformationsanalyse (GFA). Entscheidendes Merkmal dabei ist die methodisch geleitete Wiederholung des Dreischritts auf unterschiedlichen Ebenen: Sowohl die pastoral Ermächtigten64 müssen ihren eigenen Standort gründlich analysieren, ihre Wahrnehmung präzisieren, die Situation erhellen und einer kritischen Beurteilung unterziehen, um dann Handlungsperspektiven zu entwickeln, wie dies aber auch die beteiligten Subjekte eines pastoralen Handelns tun müssen. Bei allen ist dabei die gründliche Wahrnehmung der gesellschaftlichen Praxisfelder Ökonomie, Politik und Ideologie/Kultur notwendig. Gleiches gilt es aber auch zu beachten, wenn Veränderungsprozesse anvisiert werden, sowohl auf der individuell-mikrostrukturellen, wie auch auf der gesellschaftlich-makrostrukturellen Ebene. Dieses methodische Vorgehen berücksichtigt dabei immer zentral die anamnetischen Tiefenstrukturen der christlichen Tradition selbst, die es zu vergegenwärtigen und auf Zukunft hin zu gestalten gilt. Bei all dem wird deutlich, dass Kirche immer im Spannungsfeld weltlicher Verantwortung sich befindet.

      Der Vorzug eines solchen Vorgehens gegenüber der Arbeit mit der sicherlich stabileren Datenbasis einer explizit empirisch ansetzenden Theologie liegt vor allem in der leichteren Transformierbarkeit ihrer Ergebnisse in pastorale Prozesse selbst, denn nur wenige beteiligte Subjekte dürften über die notwendigen Kenntnisse zur Erhebung empirischer Daten verfügen- Schon die Interpretation empirischer Studien dürfte für viele Beteiligte eher schwierig sein, wohingegen die Analyse von Ökonomie, Politik und Ideologie einfacher, transparenter und vor allem eigenständiger vorzunehmen ist. Dieses Vorgehen sieht sich in großer Nähe zu den Überlegungen Helmut Peukerts, für den die grundlegende Frage darin besteht, „ob die praktische Theologie den Rahmen ihrer Überlegungen so ansetzt, daß sie die bedrängenden Probleme menschlicher Praxis insgesamt im Blick hat, also die Praxis, in der Menschen als einzelne oder gemeinsam versuchen, aus einer bedrängenden Not heraus ein humanes Überleben zu sichern und den Sinn ihrer Existenz zu bestimmen“65.

      Wird das Selbstverständnis von praktischer Theologie und ihrer Teildisziplinen so gefasst, dann ist die Erwartung, es gebe ein univokes Verständnis von Pastoraltheologie, obsolet. Ebenso verfehlt aber wäre die Befürchtung, Pastoraltheologie löse sich in Beliebigkeit auf. Schließlich bleibt sie zentral verwiesen auf wenigstens zwei unhintergehbare Kontexte: zum einen den Kontext des realen Lebens der Menschen, vor allem natürlich der Armen und Bedrängten (GS 1), zum anderen aber auf den Kontext der biblischen und kirchlichen Traditionen, die wiederum jedem Versuch der Beliebigkeit einen kritischen Riegel vorschieben. Die großen Linien der Befreiung, der prophetischen Kritik, der apokalyptischen Hoffnung sowohl im Ersten wie auch im Zweiten Testament sind feste Anker im Strudel der postmodernen Pluralität.

      Unter einer solchen Perspektive ist dann aber auch eine anwendungsorientierte Version der Pastoraltheologie zu verabschieden. „Das Leben der Menschen ist also nicht ein ‚Ort von angewandter Theologie‘, sondern eine ‚Quelle der Theologie‘.66 Weiter unten (vgl. 2.4) wird verstärkt über das Problem einer ortlos gewordenen Theologie zu behandeln. Hier wird schon deutlich, wie wichtig es für die Theologie insgesamt ist, die Orte als theologiegenerativ zu begreifen: insofern „diese Lebensorte gleichzeitig – bewusst und unbewusst, explizit und implizit – auch Orte der Gottesbegegnung und gelebter Gottesbeziehung sind, kommt die Reflexion auf ihre Themen und theo-logische Qualität. Eine solche Theologie fragt nicht ‚Wer ist Gott?‘, ohne nicht vorrangig die Gottes- bzw. Sinnfrage als topische Frage gestellt zu haben: ‚Wo ist Gott?‘ Eine im Verständnis von Martin Luther insgesamt als praktische Wissenschaft konzeptionierte Theologie stellt diese vorrangig topische Frage nach Gott.“67 Eine politisch-theologisch angelegte praktische Theologie verschärft die topische Frage nach Gott allenfalls noch apokalyptisch, indem der Topik

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