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mag es enttäuschen, dass unmittelbar pragmatische Fragestellungen erst so spät im Verlauf einer praktisch-theologischen Arbeit auftauchen. Und vielleicht ist die Enttäuschung stärker, insofern keine unmittelbar anwendbaren oder umsetzbaren Ergebnisse geliefert werden. Es ist das Anliegen dieser Studie, eine politische Theologie sakramentaler Praxis zu entwerfen, nicht aber diese Praxis selbst abzubilden. Es gilt auch hier zu bedenken: Die Theologie ist actus secundus und reflexus, keineswegs unmittelbare pastorale Praxis, gleichwohl aber doch immer als Praxistheorie für die ihr vorgängige Praxis relevant.22 Insofern werden Kategorien entwickelt, die, aus der pastoralen wie allgemeinen Praxis und der theologischen Theorie gewonnen, in diese zurückfließen.

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      Gerade hinsichtlich des vorigen Punktes sind einige Bemerkungen zur Methode notwendig, die dieser Untersuchung zugrunde liegt: Es gilt, das Verhältnis von Theologie und Praxis etwas genauer zu bestimmen. Die folgenden Ausführungen können jedoch zwei Dinge nicht leisten: sie können nicht ersetzen, diese Methode immer wieder auf neue Situationen hin zu aktualisieren, so dass also alle Akteure in einem pastoralen Handlungsfeld immer wieder eine methodisch geleitete Sitautionsvergewisserung vornehmen müssen; sie können auch nicht in Anspruch nehmen, mit diesen wenigen Anmerkungen schon eine Theorie des Verhältnisses von Theorie und Praxis zu leisten. Insofern können hier nur Marginalien zu Theologie und Praxis formuliert werden.

      Es mag vielleicht wie eine Anmaßung erscheinen, dies in so enger Anlehnung an einen Text von Theodor W. Adorno zu formulieren23, allerdings ist dies in mehrfacher Hinsicht gerechtfertigt: zum Einen kann es sich auch hier angesichts der Breite des Themas und der Relevanz der Fragestellung nur um Marginalien handeln, die jeweils eigene Untersuchungen nötig machten, die ja in mehrfacher Form auch schon vorliegen24, zum Anderen aber verdanken sich viele Überlegungen der vorliegenden Untersuchungen ohnehin grundlegenden Erkenntnisse der Kritischen Theorie im Allgemeinen, den Arbeiten von Adorno im Besonderen. Freilich ist der Kontext der Frage nach Theorie und Praxis, bzw. Theologie und Praxis ein deutlich anderer; dennoch können Adornos Überlegungen immer noch interessante und wichtige Gesichtspunkte liefern. Es wird daher unter (1) zunächst eine Rekonstruktion des Theorie-Praxis-Verhältnisses vor allem unter Rekurs auf die Philosophie versucht, auch um dem vor allem in der Praktischen Theologie starken Rückgriff auf das Verständnis von Theorie und Praxis von Jürgen Habermas ein kleines, aber notwendiges Korrektiv zur Seite zu stellen, woran sich anschließend unter (2) das in dieser Studie vorausgesetzte Verständnis von Theologie und Praxis noch einmal dezidiert entfaltet wird.

      Praxis, im praktisch-theologischen Diskussionszusammenhang, ist ein plurale tantum. Was so leichtfertig behauptet wird, wiegt doch in der wissenschaftstheoretischen Diskussion um ein adäquates Verständnis von Praxis schwer. Kaum ein Lehrbuch und kaum eine praktisch-theologische Publikation, die mit der Frage umzugehen versucht, wo nicht betont wird, praktische Theologie sei Theorie der Praxis; und im gleichen Atemzuge wird gefragt: aber welcher Praxis?

      Betrachtet man zunächst den kirchlichen Bereich, dann ergeben sich bereits sehr unterschiedliche Praxisfelder: Neben dem in unserem Zusammenhang, aber auch im kirchlichen Handeln generell zentralen Feld der sakramentalen Praxis, der gottesdienstlichen Feiern, in denen sehr unterschiedliche Praxisformen bestehen, sind auch alle Formen der katechetischen Unterweisung, des Religionsunterrichtes, der kirchlichen Jugendarbeit, der Hochschulpastoral, Gefangenenseelsorge, explizit caritativer Anstrengungen, kirchliche Akademien, außerliturgischer Verkündigung, Krankenseelsorge uvm. vorzufinden.25 Betrifft diese Praxis den kirchlichen Raum im engeren Sinne, so erschöpft sich das Handeln der Kirche darin freilich nicht. Immerhin befindet sich die Kirche immer auch im gesellschaftlichen Diskurs, so dass auch die Wechselbeziehung zwischen Kirche und Staat, zwischen Kirche und Zivilgesellschaft, zwischen Kirche und Öffentlichkeit als Formen kirchlicher Praxis verstanden werden müssen. Aber auch damit ist Praxis im tieferen Sinne noch gar nicht erfasst, weil sie immer noch bezogen ist auf das kirchliche Handeln im engeren, aber auch im weiteren Sinne. Immerhin gibt es doch auch ein Handeln von Menschen, die als Christinnen und Christen sich verstehen und auch ihr Handeln als christlich bezeichnen, die aber nicht immer überprüfen, ob die jeweilige Praxis in Übereinstimmung mit der verfassten Kirche sich befindet. Schließlich aber gibt es auch Praxis jenseits der bewussten Christlichkeit, die dennoch in großer Nähe zu christlichen Traditionen entfaltet wird, die aber gerade diesen Zusammenhang entweder überhaupt nicht wahrnimmt oder ihn auch zurückweist.

      In jedem Falle, das wird an diesen kurzen Sichtungen deutlich, ist der Begriff Praxis, christlicher Praxis, ja kirchlicher Praxis schillernd. Theologie, die dies alles erfassen möchte und auf einen theoretischen Nenner zu bringen trachtet, ist möglicherweise von vornherein überfordert. Vielleicht war es aufgrund des überschaubareren Rahmens richtig, unter Praxis den Selbstvollzug der Kirche in der Gegenwart26 zu verstehen. Es ist aber deutlich geworden, dass diese ekklesiozentrische Verengung heute nicht mehr tragfähig ist. Viel mehr müsste heute die gesamte Praxis der Menschen in den Blick genommen werden, ob kirchlich oder nicht, ob christlich motiviert oder dieser Tradition kritisch gegenüberstehend, es müssten die gesellschaftlichen Vermittlungen ebenso berücksichtigt werden wie die ökonomischen Superstrukturen.27 Um so erfreulicher ist es, dass unter Papst Franziskus der Versuch unternommen wird, gerade diese ekklesiozentrische Verengung zu überwinden und sich wirklich der Welt mit all ihren Herausforderungen, Rissen und Schründen zuzuwenden. Von diesen Veränderungen ist sowohl die Kirche ad intra, etwa hinsichtlich der Neupositionierung und Neujustierung des kirchlichen Verständnisses von Ehe, Familie und Sexualität betroffen28 wie auch ad extra, indem Papst Franziskus zunächst mit seinem Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium und dann mit seiner Enzyklika Laudato si explizit sich an den Herausforderungen der Zeit abarbeitet.

      Kritischer Theorie im Allgemeinen, den Arbeiten Theodor W. Adornos im Besonderen ist oft der Vorwurf gemacht worden, die unhintergehbare Notwendigkeit von Praxis zwar zu betonen, letztlich aber in der Theorie zu verharren und damit der der 11. Feuerbachthese nicht zu genügen. Es ist daher wohl kein Zufall, dass Adorno die Negative Dialektik mit einer Kritik der elften These über Feuerbach beginnt.29 Zu berücksichtigen ist jedoch, dass Adornos Kritik an der Feuerbachthese keineswegs die abstrakte Bestreitung ihres Wahrheitsanspruchs ist. Vielmehr spiegelt sich in der Kritik eben die veränderte Situation wider, aus der kein unmittelbar praktischer Weg herausführt, die vielmehr eine genaue Reflexion erfordert. Dass dies durchaus nicht unmarxistisch ist, ließe sich am Beispiel der frühen Forderung Marx’ einer rücksichtslosen Kritik alles Bestehenden zeigen. Adornos Überlegungen zu einer Verhältnisbestimmung von Theorie und Praxis stehen nicht zuletzt dadurch in einer Traditionslinie mit Marx, dass sie diesem widersprechen, insofern Marx’ Anspruch einer „,praktischkritischen‘ Tätigkeit“30, die er selbst als revolutionäre auffasst, ausgerichtet ist auf eine begrifflich blinde Praxis der Philosophie, die an der Erfassung der Wirklichkeit nur bedingt Interesse hat. Die Enthüllung der Bewegungsgesetze des Kapitals ist daher gleichfalls Ausdruck praktisch-kritischer Tätigkeit. Verändern sich aber die gesellschaftlichen Verhältnisse, verändert sich auch die praktisch-kritische Tätigkeit. Adornos Explikation des Theorie-Praxis-Verhältnisses verdankt sich nicht zuletzt den veränderten Bedingungen. Vergisst man, dass die realen Möglichkeiten radikaler gesellschaftlicher Veränderungen dicht zugehängt sind, unterläuft man das Problem der Vermittlung von Theorie und Praxis unkritisch. Gegen jeden Aktionismus beharrt Adorno daher darauf, dass „Praxis ohne Theorie, unterhalb des fortgeschrittensten Standes von Erkenntnis“31, misslingen muss.

      Adornos Überlegungen zu Theorie und Praxis tragen, wie all seine Reflexionen, sowohl dem gegenwärtigen Stand von Theorie und Praxis Rechnung wie auch der theoretischen Antizipation einer ungeschmälerten Praxis, solange ihre reale Möglichkeit verstellt ist. Die Situation einer Verstellung der Praxis, die aufgeschoben und nicht warten kann, berührt freilich auch die Theorie.32

      „Die ungeminderte Dauer von Leiden, Angst und Drohung“, so Adorno in seinem Vortrag Wozu noch Philosophie, „nötigt den Gedanken, der sich nicht verwirklichen durfte, dazu, nicht sich wegzuwerfen. Nach dem versäumten Augenblick hätte er ohne Beschwichtigung zu erkennen, warum die Welt, die jetzt, hier das Paradies sein könnte, morgen zur Hölle werden kann. Solche Erkenntnis wäre ja wohl Philosophie. Sie abzuschaffen um einer Praxis willen, die zu dieser historischen

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